Auf Leipziger Stadtkarten sieht das, was man so landläufig Wilhelm-Leuschner-Platz nennt, meist grün aus. Wie eine große innerstädtische Parkanlage. Dabei ist es ein seit 1945 praktisch undefinierter Platz mit ein paar Straßenresten, provisorischen Parkplätzen und diffusen Raumkanten, die auch den Wettbewerb ums Freiheits- und Einheitsdenkmal noch schwammig machten.

Dass selbst die drei besten Entwürfe zu diesem Wettbewerb keine echte Kontur gewannen, liegt auch an der bis heute nicht nachvollziehbaren Entscheidung der Stadtverwaltung, das bis 2008 geltende Leitbild zur Wiederherstellung der alten Raumkanten über Bord zu schmeißen und den Westteil des Platzes für den Denkmal-Wettbewerb völlig zu öffnen.

In einer zur Dienstberatung der Verwaltungsspitze am Dienstag, 18. September, besprochenen Vorlage liest sich dieser Aufweichungsprozess so: “Bis 2008 war vorgesehen, im Bereich des Wilhelm-Leuschner-Platzes und der östlich angrenzenden Flächen den historischen Stadtgrundriss wiederherzustellen. In den Jahren 2008 und 2009 wurden vom Stadtrat jedoch mehrere Beschlüsse gefasst, mit denen das städtebauliche Leitbild für den Wilhelm-Leuschner-Platz/Ost geändert wurde: Wiedererrichtung einer Markthalle (weitgehend am historischen Standort), Bestandssicherung des Bowlingtreffs, Vorhaltung des Wilhelm-Leuschner-Platzes als möglicher Standort für ein Freiheits- und Einheitsdenkmal.

Als Ergebnis der anschließend durchgeführten Städtebauwerkstatt (März 2010) und des Bürgerforums (Dezember 2010) ergaben sich grundlegende Änderungen des städtebaulichen Leitbildes, das nun im Wesentlichen einen nach Osten vergrößerten Wilhelm-Leuschner-Platz und drei durch Straßen unterteilte Baublöcke an der Grünewaldstraße vorsieht.”Das Bürgerforum fand am 16. Dezember 2010 in der Musikschule statt. Es baute auf den Ergebnissen der Städtebauwerkstatt auf, die im März 2010 stattgefunden hatte. Im Wesentlichen wurde der schon im März 2010 von der Verwaltung favorisierte Entwurf von Prof. Wolf und Prof. Pelcak übernommen. “Dieser sieht einen großzügigen Platzraum mit einer Esplanade im Vorfeld der Stadtbibliothek, einer freien Fläche angrenzend an die City-Tunnel-Station und mit einem großzügigen Umfeld für den Bowlingtreff vor”, heißt es in einer Mitteilung der Stadt vom 22. März 2011.

“Großzügig” heißt im Architektendeutsch einfach: viel Platz. Viel Platz am Bowlingcenter, das der Stadtrat beschloss zu erhalten – in der Hoffnung, es findet sich mal ein Investor, der es mit neuem Leben erfüllt. Viel Platz an der City-Tunnel-Station, zusätzliche freie Fläche vor der Stadtbibliothek. Der Platz wird riesig – und verschlingt das komplette einst bebaute Gebiet zwischen der Ostseite des einstigen Königsplatzes (dem eigentlichen Wilhelm-Leuschner-Platz, unter anderem 13 dicht bebaute Grundstücke) und der Markthallenstraße. Damit ging logischerweise eine klare Platzdefinition für den Wilhelm-Leuschner-Platz verloren. Und auch die Denkmalsentwürfe uferten zwangsläufig aus. Wonach sollten sie sich auch orientieren in einem völlig strukturlos gewordenen Raum?Und da man diese Vorentscheidungen in quasi-öffentlichen Foren und Werkstätten gefällt hat, wird das Ganze jetzt in einem beschleunigten Verfahren in einen Bebauungsplan Nr. 392 “Wilhelm-Leuschner-Platz Ost” gegossen, der demnächst in den Stadtbezirk Leipzig-Mitte soll.

Relativ fest steht nach der Werkstatt im März 2010: “Zwischen den Baublöcken sollen die verlängerte Leplaystraße und die Brüderstraße als Stichstraßen ausgebildet werden. Die Erschließungsstraßen sind so bemessen, dass die Pflanzung von Straßenbäumen (wie auch in den übrigen Straßen) möglich ist. Stellplätze für die Nutzungen in den Kerngebieten dürfen nur in Tiefgaragen realisiert werden.” Es gibt zwischen Leplay- und Brüderstraße dann einen eigenen Baublock für die neue Markthalle.

Im Baublock zwischen Rossplatz und Leplaystraße und auf dem jetzt noch als Grünfläche gestalteten Dreieck zwischen Brüderstraße und Windmühlenstraße ist fünf- bis siebengeschossige Bebauung vorgesehen – maximal 21 Meter hoch. Mit 20 Prozent Wohnnutzung und Ladenflächen im Erdgeschoss, möglichst in Arkadenbauweise zum großen Leuschner-Platz der friedlichen Revolution hin.

“Der Bebauungsplan soll der Schaffung planungsrechtlicher Voraussetzungen für die gewünschte städtebauliche Neuordnung des Wilhelm-Leuschner-Platzes als ein wichtiges Bindeglied zwischen der Südvorstadt und dem Stadtzentrum auf einer der größten, unmittelbar am Stadtkern gelegenen Brachfläche dienen”, heißt es in der Vorlage.

Ob alle diese in Einzelteilen erfolgten Vorentscheidungen so umgesetzt werden, weiß man zwar nicht. Aber auch die ins Uferlose drängende Diskussion um das geplante Freiheits- und Einheitsdenkmal gehört in diese Debatte. Ein “großzügiger” Platz muss noch lange keine angenehme städtebauliche Lösung sein. Schon gar nicht an so zentraler Stelle im Stadtgebiet.

Eine öffentliche Informationsveranstaltung zu diesem B-Plan-Vorhaben findet am 4. Oktober 2012 um 18:00 Uhr im Neuen Rathaus statt.

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