Um 15 Uhr sind wir vor dem Rathaus Pankow angekommen, eine Stunde nach der vereinbarten Zeit. Das Rathaus ist verwaist und verrammelt, es hilft kein Rütteln und Klopfen. So wird improvisiert, und das Treffen mit Pfarrerin Misselwitz findet kurzerhand im Bus statt.

Seit 1981 als Seelsorgerin in der evangelischen Kirchengemeinde Alt-Pankow verwurzelt, hatte sich Ruth Misselwitz im Konflikt um den Moscheebau in Heinersdorf für eine Vermittlung zwischen den Parteien eingesetzt. Sie verabscheue jeglichen religiösen Fanatismus, habe aber auch damals als Bürgerin eine Pflicht zum Engagement gesehen: “Da hat einer das Recht, sein Gotteshaus zu bauen, und selbst der Verfassungsschutz hat keine Einwände. Dann haben Emotionen und Ängste nichts mehr zu suchen.”

Heute, acht Jahre nach Einweihung der Khadija Moschee, malt die Pfarrerin ein rundweg positives Bild von der Ahmadiyya Gemeinde in Heinersdorf und Imam Tariq. Man besuche sich gegenseitig, privat und zu kirchlichen Feiertagen, rede persönlich und theologisch. Der Umgang sei von tiefstem Respekt geprägt. “Unsere Stadt ist multikulturell, und wir haben uns mit den anderen Religionen auseinanderzusetzen. Das ist geschichtlich nicht immer einfach. Mit den Ahmadis sind wir auf einem guten Weg, und die Moschee ist eine große Bereicherung.”
Auch das Meinungsbild in der evangelischen Gemeinde habe sich über die Jahre zum Positiven gewandelt: “Ich höre keine Gegnerschaft mehr.” Die angeblich konservativen Tendenzen der Ahmadis müsse man relativieren: Die Kinder lernten den Koran in ihrer Muttersprache. Die Frauen der Gemeinde seien meist hoch gebildet, und es gebe eine selbständige aktive Frauengruppe. “Die erinnert in ihrem Handeln sogar an die feministische Theologie.” Als Rat für die Leipziger gibt die Heinersdorfer Pfarrerin mit auf den Weg: “Reden Sie frühzeitig mit dem Imam, und gehen Sie mit Mitgliedern Ihrer Gemeinde in die Moschee zur Begegnung.”
Alles schön also. Wirklich? Ob das die Mitreisenden aus Leipzig auch so sehen? Auf der Rückfahrt verteilt Frank Basten einen Fragebogen zu den Eindrücken. Kritische Stimmen bemängeln, der Imam habe Konflikte in der Nachbarschaft nicht wirklich offen benannt. Insgesamt gäben sich die Ahmadis als “zu harmlos”. Eine vergleichsweise moderate Kritik also angesichts der massiven Attacken der letzten Wochen. Ein Gegner des Moscheebaus in Gohlis hat sich auf der Fahrt nicht offen zu erkennen gegeben.

Auch Amtsleiter Karsten Gerkens zieht mit mir eine erste Bilanz: “Ich habe gelernt, dass Religion mit diesem Thema relativ wenig zu tun hat. Das ist eine Scheindebatte. Es geht vielmehr einfach um gute Nachbarschaft.” Im weiteren Verlauf sei die Stadt Leipzig als Dienstleister für die Bürger in der Pflicht. Das bedeutet: “Wir müssen absichern, dass es einen sauberen Diskussionsverlauf gibt. Bei weiteren Veranstaltungen wird es einen konsequenten Ordnungsdienst gegen Provokationen und klare Ansagen geben. Sonst werden weniger robuste Interessenten ausgeschlossen.” Das harte Durchgreifen gelte ebenso für theoretische Provokationen aus dem linken Spektrum. Auch die Gegner des Moscheebaus müssen nach Auffassung von Gerkens ihren Teil beitragen. Er fordert “eine massive Distanzierung gegenüber der NPD”, um eine Gleichsetzung kritischer Bürger mit den Rechten zu vermeiden.

An der Michaeliskirche angekommen, verteilen die drei Mitglieder der Ahmadiyya Gemeinde noch Infomaterial. Keiner lehnt ab. An meiner Pinnwand zu Hause hängt seit Monaten ein Flyer der Ahmadis: “Muslime für Frieden, Freiheit und Loyalität”, erstellt in den Wochen der politischen Debatte um die Zugehörigkeit des Islam zu Deutschland. Damals habe ich ihn in der Leipziger City mit Widerwillen angenommen. Auch ich habe gelernt.

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