Am 19. März soll der gemeinsame Antrag von CDU- und SPD-Fraktion endlich im Stadtrat entschieden werden: Soll die Landestalsperrenverwaltung (LTV) den Neubau des Nahleauslasswerks sofort stoppen oder nicht? - Den Antrag haben die beiden Fraktionen zwar schon im November eingereicht. Aber die LTV hat schon im Januar mit den Bauarbeiten begonnen. Als wolle man unbedingt vollendete Tatsachen schaffen.

Die Stadtverwaltung hat inzwischen auch so etwas wie einen Alternativvorschlag vorgelegt. Doch dieser Antrag ist im Grunde wieder nur eine Beschwichtigung: “Im Rahmen der Naturschutzwoche wird im Mai 2014 ein Auenwaldsymposium zum Thema ?Auesystem-Burgaue’ organisiert. Zur Vorbereitung wird sich der Oberbürgermeister an das Sächsische Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft (SMUL) und die Landestalsperrenverwaltung des Freistaates Sachsen (LTV) aufgrund der fachlichen Zuständigkeit wenden.”

Es ist die übliche Ausweichtaktik. Die Stadt ist eigentlich für das Naturschutzgebiet Burgaue zuständig, wälzt aber jede Verantwortung dafür mit dem Hinweis ab, für Gewässer 1. Ordnung wie die Nahle sei die LTV zuständig. Gleichzeitig wird hinterm Nahledeich mit Millionenaufwand das Projekt “Lebendige Luppe” betrieben, mit dem die Burgaue irgendwie wieder ein natürliches Vernässungssystem bekommen soll. Aber genau diese natürliche Vernässung wird mit dem neuen Nahleauslasswerk abgegraben.

Jetzt haben der BUND Regionalgruppe Leipzig, der Deutsche Alpenverein – Sektion Leipzig, der NABU-Regionalverband Leipzig, der Landesverein Sächsischer Heimatschutz e. V., der NuKLA – Naturschutz und Kunst Leipziger Auwald e. V., der Ökolöwe – Umweltbund Leipzig e.V., das Stadtforum Leipzig und der Verein Leipziger Wanderer e. V. eine gemeinsame “Bewertung des Verwaltungsstandpunktes zum Antrag Nahleauslassbauwerk” vorgenommen. Und unter die berechtigte Frage als Überschrift gestellt: “Lebendige Burgaue?”

Im Antrag von CDU- und SPD-Fraktion wurde gefordert, die Belange des Hochwasserschutzes und des Naturschutzes effektiv, hinsichtlich Wirkung und Finanzierung, miteinander zu verbinden. Dahingehend sei der Ersatzneubau des Nahleauslassbauwerkes anzupassen bzw. bis zur konzeptionellen Klärung zurückzustellen.

“Die unterzeichnenden Verbände und Initiativen unterstützen den Antrag der Fraktionen ausdrücklich, weil er verdeutlicht, dass für den Erhalt der Leipziger Nordwestaue häufige und flächige Überflutungen unabdingbar sind und dies dem Hochwasserschutz der Stadt Leipzig in keinster Weise entgegensteht”, heißt es in der gemeinsamen Erklärung.

Die auch deutlich macht, dass die von der Stadt – in diesem Fall dem Umweltdezernat – vorgebrachten Argumente falsch sind.

Diese lauteten, das Nahleauslassbauwerk sei für den Hochwasserschutz der Stadt Leipzig alternativlos, es gäbe bereits ausreichende Projekte zur Auenrenaturierung und vertiefende Untersuchungen würden dies bestätigen.”

Doch das Gegenteil ist der Fall. Für den Erhalt der Auenlandschaft sind häufige und flächige Überflutungen zur Förderung der Auendynamik unabdingbar. Dafür ist eine naturnahe, ungesteuerte und umfangreiche Wasserzufuhr erforderlich.

Kleine Zuflüsse über das Bauerngrabensiel oder das Projekt “Lebendige Luppe” – wie vom Umweltdezernat gedacht – könnten das nicht leisten. In der konzipierten Form seien diese Projekte nur erste Mosaiksteine für eine Auenrevitalisierung.

Durch eine Absenkung des Nahleauslassbauwerkes würden sich die dahinter liegenden, tieferen Gräben und Rinnen bereits bei kleinen Hochwassern wirkungsvoll anschließen lassen. Dadurch wäre eine großflächige Vernässung der Burgaue möglich, ohne dabei Leutzsch oder Böhlitz-Ehrenberg zu gefährden, stellen die Unterzeichner fest.

“Es ist an der Zeit, Hochwasserschutz und Auenentwicklung auch in Leipzig zusammen zu betrachten und dabei die anerkannten Entwicklungsziele für eine Auendynamik in den Vordergrund zu stellen”, erklären sie. “Die Unterzeichner fordern deshalb, alle Hochwasserschutz- und Naturschutzprojekte in der Nordwestaue glaubhaft an den Entwicklungszielen des FFH-Schutzgebietes auszurichten.”

Massiv zweifeln sie an, dass die Landestalsperrenverwaltung oder das zuständige Umweltamt überhaupt jemals die Flutungsszenarien in der Burgaue durchgespielt haben.

“?Weiterführende Untersuchungen zur Optimierung’ und ‘2D-Modellierungen’ zum Polderbetrieb werden zwar ständig erwähnt, wurden aber noch nie vorgelegt”, heißt es in ihrer Stellungnahme, die im Grunde eine Fundamentalkritik ist. Transparent arbeitet in diesem Fall von den Behörden keine einzige. “Es liegt die Vermutung nahe, dass dabei lediglich geprüft wurde, ob eine Absenkung der Wehrschwelle für die Ableitung großer Hochwasser hydraulisch notwendig ist. Echte Variantenuntersuchungen mit Aussagen zu ökologischen Flutungen bei kleinen Hochwässern sind das nicht. – Es wurden weder die verschiedenen Szenarien gemäß Hochwasserschutzkonzept (HWSK) untersucht, noch die Konsequenzen für Naturschutz oder Wirtschaftlichkeit offengelegt und nachvollziehbar abgewogen.”

“Der Verwaltungsstandpunkt (VSP) zum Antrag der Stadtratsfraktionen von CDU und SPD vom 13.11.2013 ist ein Musterbeispiel für eine ausweichende Antwort, die lediglich dazu dient das Verwaltungshandeln in den bisherigen ausgetretenen Bahnen zu rechtfertigen” fasst Wolfgang Stoiber, Vorsitzender des NuKLA e. V., die Situation zusammen. Irgendwie will man dann hinterm Auslasswerk, das das Wasser von der Burgaue fern hält, eine künstliche Auenvernässung schaffen.

“Absichtserklärungen und eine Beibehaltung des Ist-Zustandes mit Verweis auf alternativlosen Hochwasserschutz oder auch eine Mittelwaldbewirtschaftung allein werden die Austrocknung und Degeneration der Aue nicht verhindern”, heißt es in der gemeinsamen Stellungnahme. “Eine signifikante Änderung der Wasserverhältnisse ist entscheidend und die wird es nur bei konstruktiver Zusammenarbeit mit der LTV geben.”

Aber dazu darf das zuständige Dezernat nicht einfach der Pantoffelbringer der LTV sein. Da muss es selbst für den von ihm verantworteten Naturschutz im FFH Gebiet Burgaue einstehen. Und das, obwohl gerade in der Burgaue endlich möglich wäre, das an Auwaldrevitalisierung umzusetzen, was Leipzigs Stadtverwaltung immer nur verspricht, aber nie umsetzt.

“Für eine schadlose Ableitung von Hochwasser wird die südliche Luppeaue (Burgaue) als Überflutungsfläche benötigt, nicht jedoch das Nahleauslassbauwerk. Das Bauwerk selbst dient derzeit nur dazu, die Burgaue bei kleinen und mittleren Hochwässern abzuriegeln und in begrenztem Umfang den Wasserstand am Unterlauf zu steuern”, argumentiert Holger Seidemann, Vorstand des Ökolöwen.

Und der Vorsitzende des NABU-Regionalverbands Leipzig René Sievert: “Ein wichtiger Baustein für die Auenrevitalisierung ist das Projekt ?Lebendige Luppe’, an dem auch der NABU beteiligt ist. Bei der bisherigen Projektplanung können die Probleme des Auwaldes aber nur räumlich begrenzt gelöst werden. Deshalb setzen wir uns für die Ergänzung und Erweiterung der Maßnahmen mit deutlich mehr Wasser im Projektgebiet ein, um eine richtige Auendynamik zu erreichen.”

Und so lassen sich die Forderungen der Verbände auf vier Punkte konzentrieren:

1. Es müssen langfristige Szenarien zur Entwicklung einer nachhaltigen Auenlandschaft unter Einbeziehung der nördlichen Luppeaue erarbeitet, modelliert und projektbezogen umgesetzt werden. All das existiert bislang nicht. Und trotzdem behaupten Stadt und LTV die Alternativlosigkeit ihres Bauwerks.

2. Das Projekt “Lebendige Luppe” soll als umfassendes Auenrevitalisierungsprojekt mit entsprechenden Verbesserungen für den Naturschutz (FFH, SPA) und die Wasserwirtschaft (Umsetzung EG-WRRL u. EU-HWRM-RL) gestaltet werden.

3. Das Projektziel “Herstellung von Auendynamik” soll dabei nicht nur auf den neuen, kleinen Gewässerlauf beschränkt werden, sondern auf das gesamte Auengebiet bezogen werden.

4. Und anzustreben ist eine naturnahe, ungesteuerte Wasserzufuhr in die Burgaue mit mindestens 50 Prozent des natürlichen Wasserangebotes des Flusssystems einschließlich Hochwasser.

Die Unterzeichner appellieren vor allem an die Projektbeteiligten und Geldgeber der “Lebendigen Luppe” für eine entsprechende Ausweitung der bisherigen Planungen zu werben und Initiative zu ergreifen: “Zeigen Sie die Entwicklungschancen für eine dynamischere, nachhaltige und lebendige Fluss- und Auenlandschaft auf und gestalten Sie diese aktiv mit!”

Denn die Chance, die hier für 3,5 Millionen Euro verbaut wird, ist die erste seit Jahrzehnten, einem Stück Leipziger Auenwald wieder das benötigte Wasser zu verschaffen. “In der Leipziger Nordwestaue bestehen grundsätzlich günstige topografische und hydrologische Voraussetzungen, um eine naturnahe Fluss- und Auenlandschaft unterhalb des Elsterbeckens zu reaktivieren und zugleich Hochwasserschutz für die Stadt zu gewährleisten”, erläutert Martin Hilbrecht, Vorsitzender des BUND Regionalgruppe Leipzig.

“Den Stadträten empfehlen wir, den Verwaltungsstandpunkt zurückzuweisen und eine fundierte Überarbeitung unter ausgewogener Berücksichtigung des Naturschutzes zu verlangen”, regt Henry Balzer an, Vorsitzender des Deutschen Alpenvereins – Sektion Leipzig.
Der Antrag von CDU- und SPD-Fraktion als PDF zum download.

Die Gemeinsame Erklärung der Umweltverbände als PDF zum download.

Der Alternativvorschlag der Verwaltung als PDF zum download.

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