2016 hatte der Landtagsabgeordnete der Grünen Wolfram Günther bei der Sächsischen Staatsregierung nachgefragt, was sie über den Pestizid-Einsatz in sächsischen Naturschutzgebieten weiß. Natürlich wusste sie nichts. Es waren keine Anfragen zur Genehmigung der Ausbringung eingegangen. Was auch nicht nötig ist. Denn wenn Landwirtschaft in den Schutzgebieten stattfindet, zählt das eher zu den „zulässigen Handlungen“. Das aber müsse schleunigst beendet werden, fordert der BUND Sachsen.

Denn was der Landwirtschaftsminister Thomas Schmidt (CDU) damals als Beruhigungspille mitgab, trifft zumindest auf den Landwirtschaftsflächen in Leipziger Naturschutzgebieten nicht zu: „Es wird darauf hingewiesen, dass trotz dieser Zuordnung die Nutzungen in der Regel speziellen Maßgaben unterworfen sind.“

Erst Anfang des Jahres hatte die Grünen-Fraktion im Leipziger Stadtrat festgestellt, dass die Stadtverwaltung mitnichten die Stadtratsbeschlüsse von vor zehn Jahren umgesetzt hatte, die landwirtschaftliche Flächen vorrangig in ökologische Bewirtschaftung zu geben. Man hat einfach still und leise die alten Verträge verlängert. Es wird weiter nach den Maßstäben der industriellen Landwirtschaft geackert – nachweislich mit Gülleausbringung mitten im Naturschutzgebiet, wie der NuKLA e.V. feststellen konnte. Von Kontrollen zu Pestizideinsätzen hat man erst recht nichts gehört.

Der zuständige Minister hat sich also ein hübsches verbales Ruhekissen zurechtgelegt. Nicht einmal die Diskussion um das Insektensterben hat ihn aus der Ruhe gebracht.

Wolfram Günther hat sich auch die Liste der Naturschutzgebiete geben lassen, in denen Landwirtschaft für zulässig erklärt wurde. Natürlich gehören dazu auch mehrere Teile des sensiblen Leipziger Auensystems, ganz zentral natürlich die Burgaue, wo in DDR-Zeiten Landwirtschaftsflächen direkt auf dem einstigen Fließsystem der Luppen entstanden sind.

Aber wenn selbst in Schutzgebieten geackert wird, fehlen selbst diese wichtigen Schutzinseln für den Artenerhalt, stellt der BUND fest: „Es summt und brummt immer weniger in der Natur. Das Sterben der Insekten hat dramatische Ausmaße und ist wissenschaftlicher Fakt. Alle Forschungsergebnisse nennen für das Insektensterben zwei Hauptgründe: den Klimawandel und die intensive Landwirtschaft. Selbst in jedem dritten Naturschutzgebiet werden einer aktuellen Recherche des Politikmagazins Fakt zufolge Pestizide eingesetzt.“

Damit müsse Schluss sein, fordert der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) im Rahmen seiner Kampagne „Lass brummen“.

„Das Bundeskabinett muss in seinem Aktionsprogramm Insektenschutz den Einsatz von Pestiziden in Naturschutzgebieten, FFH-Gebieten, in besonders geschützten Landschaftsbestandteilen und in gesetzlich geschützten Biotopen konsequent untersagen“, fordert Felix Ekardt vom BUND Sachsen. „Der Schutz von Natur und biologischer Vielfalt muss in Naturschutzgebieten absoluten Vorrang haben vor allen wirtschaftlichen Interessen. Anders lässt sich auch das massive Insektensterben nicht aufhalten. Wir müssen die Agrarwirtschaft neu ausrichten: keine fossilen Brennstoffe mehr, weniger tierische Nahrungsmittel und weniger bis gar kein Einsatz von Pestiziden.“

Beim Einsatz von Pestiziden ist im Regelfall davon auszugehen, dass auch Nichtzielorganismen betroffen sind, die dem Schutzzweck des jeweiligen Schutzgebietes unterstehen. Denn viele Pestizide wirken nicht spezifisch auf eine Pflanzen- oder Insektenart, sondern allgemein auf mehrere Arten und Artengruppen. Glyphosat und andere Totalherbizide töten beispielsweise alle Pflanzen ab. Besonders die Gruppe der Neonikotinoide schädigen Honig- und Wildbienen. Das heutige Zulassungsverfahren für Pestizide berücksichtigt zudem Umweltaspekte nicht ausreichend und ist keinesfalls ein Garant für die ökologische Unbedenklichkeit der Stoffe.

Eine aktuelle, repräsentative Umfrage von Kantar Emnid für den BUND zeigt zudem, dass eine deutliche Mehrheit der Bundesbürger eine gesetzliche Änderung zum Einsatz von Pestiziden in Schutzgebieten fordert. 76 Prozent sprechen sich dafür aus, in Wasserschutzgebieten, Naturschutzgebieten oder geschützten Biotopen den Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln generell zu verbieten. Aus Sicht des BUND muss zudem das heutige Zulassungsverfahren für Pestizide geändert werden und Umweltaspekte mehr berücksichtigt werden.

„So wie die Pestizidzulassung aktuell geregelt ist, ist sie keinesfalls ein Garant für die ökologische Unbedenklichkeit der Stoffe. Wir müssen EU-weit schrittweise komplett auf Pestizide verzichten. Ein Pestizidverzicht in Schutzgebieten wäre ein Anfang. Bis dahin muss die Sächsische Staatsregierung Verantwortung übernehmen“, so Felix Ekardt weiter. „Sie müssen dafür Sorge tragen, dass der Einsatz von Pestiziden in Schutzgebieten nicht länger von den zuständigen Behörden genehmigt wird.“

Laut einer Befragung des BUND Sachsen bewirtschaften inzwischen 177 Städte und Gemeinden ihre kommunalen Flächen ohne Pestizide. Die Ergebnisse der Umfrage unter 421 sächsischen Kommunen hat der BUND Sachsen auf seiner Homepage in einer interaktiven Karte veröffentlicht. Wobei diese Umfrage nicht die landwirtschaftlichen Flächen betrifft, sondern die innerörtlichen kommunalen Flächen. Leipzig z. B. hat seit 2015 einen Stadtratsbeschluss, schrittweise auf den Einsatz von Glyphosat zu verzichten.

Risikobewertung von Pestiziden muss sich endlich an den konkreten Schutzgütern vor Ort ausrichten

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