Am 3. April dachte Wolfgang Münchau auf "Spiegel Online" einmal etwas deutlicher nach über die künftige Politik in der Bundesrepublik und Europa und die Rolle der Sozialdemokratie. Am 22. September 2013 ist die nächste Bundestagswahl, doch die Umfragewerte für SPD und ihren Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück sind nicht berauschend. "Zeit für eine neue Sozialdemokratie", meinte Münchau. Die L-IZ fragte deshalb mal die beiden Leipziger SPD-Bundestagsabgeordneten.

So sitzt auch Daniela Kolbe für die Leipziger Sozialdemokratie im Bundestag, hat sich in der Enquete-Kommission “Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität” als Vorsitzende intensiv mit Wegen zu einem anderen Wohlstand beschäftigt. Bei der Stabilisierung der ins Straucheln geratenen Mitgliedsstaaten der EU sieht man zwar eine strenge, fast zuchtmeisterliche Handschrift der neoliberalen Reparaturkunst – das sozialdemokratische Moment aber scheint völlig zu fehlen.

Hat Wolfgang Münchau also Recht mit seiner bissigen Analyse, Frau Kolbe? Fehlt der SPD nach Helmut Schmidt die makroökonomische Kompetenz? Hat sie nicht mehr die Leute, die in solchen Dimensionen denken können?

Nein, er hat nicht Recht. Die SPD hat die makroökonomische Dimension der Krise von Beginn an ins Zentrum gerückt. Wir waren es doch, die der schwarz-gelben Bundesregierung vorgehalten haben, dass deren rücksichtslose Kürzungspolitik EU-weit die Konjunktur abwürgt. Vor den Wirtschaftseinbrüchen und der Massenarbeitslosigkeit, die wir jetzt beobachten, warnen wir doch seit 2010, als die ersten Krisennachrichten aus Griechenland kamen. Wir sagen seitdem konsequent, dass die in die Krise geratenen Länder sich nicht einfach selbst aus der Krise heraus sparen können. Deshalb hat die SPD als Oppositionspartei – gegen den Willen der schwarz-gelben Bundesregierung – europaweite Wachstums- und Beschäftigungsprogramme und die Finanztransaktionssteuer durchgedrückt.

Richtig ist lediglich, dass diese Zusammenhänge schwieriger zu erklären sind als Merkels Kürzungspopulismus. Wir sind da gelegentlich nicht selbstbewusst genug, unser Konzept den einfachen, aber falschen Aussagen der Bundesregierung entgegen zu setzen.

Hat die SPD mit Peer Steinbrück nicht einen Kanzlerkandidaten gewählt, der die sozialdemokratische Dimension dieser Herausforderung gar nicht ausfüllen kann?

Das Gegenteil ist doch der Fall! Peer Steinbrück ist ein ausgewiesener und international anerkannter Fachmann für weltwirtschaftliche Zusammenhänge. Dort, wo die Große Koalition in der Krise richtig gehandelt hat, ist seine Handschrift zu erkennen. Und er hat den Mut, die Krise aus Sicht aller Europäer zu erklären. Wir wollen eine gemeinsame und ausgewogene Anstrengung aller Länder. Das geht nicht nur mit Merkels Spardiktaten, sondern die in Not geratenen Länder müssen auch wieder auf die Beine kommen. Keiner sagt das so klar wie Peer Steinbrück.

Wo bleiben die alternativen Konzepte der SPD für eine Lösung der Krise und die fundierte Kritik an den falschen Heilmitteln der Bundesregierung und der Troika?

Unsere Alternative heißt: Finanzmärkte bändigen, Verursacher der Krise beteiligen, Wirtschaft ankurbeln. Dieser Ruf tönt über Deutschland hinaus, viele Menschen in anderen europäischen Ländern hoffen auf einen Wahlsieg der SPD. Denn damit wird Deutschland den Irrweg in die Isolation verlassen, auf den es die schwarz-gelbe Regierung geführt hat, und auf einen konstruktiven Pfad in Europa zurückkehren. Das zeigt sich doch jetzt schon. Während Angela Merkel mit den Euroskeptikern aus Großbritannien gemeinsame Sache macht, um die EU weiter zu schwächen, weilt Peer Steinbrück in Paris, um mit Präsident Hollande Wege aus der Krise zu besprechen.Oder gibt es da irgendwo im Hinterzimmer eine Arbeitsgruppe, die an einem sozialdemokratischen “New Deal” für Europa arbeitet?

Wir arbeiten keine Hinterzimmer-Deals aus. Wir sagen den Leuten vor der Wahl, was wir danach tun wollen. Unser Konzept für eine bessere Europapolitik findet sich im Regierungsprogramm, das wir am 14. April endgültig beschließen werden. Wir wollen klare Regeln für Märkte in der EU. Das beinhaltet eine wirksame europaweite Bankenaufsicht, einheitliche Regeln gegen Steuerdumping, einen Schuldentilgungsfonds, Programme gegen Jugendarbeitslosigkeit und einen Europäischen Aufbaufonds. Wir haben ein klares Profil, das brauchen wir nicht in Hinterzimmern verstecken. Wir präsentieren es selbstbewusst und stellen es im Herbst zur Wahl.

Und wenn nein: Fehlt es da wieder an Know how? Fehlen die kompetenten Ökonomen, die nicht von der neoliberalen Schule verkrümmt sind und soziale und ökonomische Zusammenhänge (noch) begreifen können? Fehlen sie auch der SPD? Und: Gibt es überhaupt jemanden, der dem Kaputtsparen Europas eine belastbare Strategie entgegen setzt?

Die Konzepte liegen auf dem Tisch. Ich kann Sie auch darüber hinaus beruhigen. Bei meiner Arbeit im Deutschen Bundestag, gerade im Zusammenhang mit der Enquete-Kommission “Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität”, habe ich mit vielen originellen ökonomischen Denkerinnen und Denkern zusammengearbeitet. Verkrümmt kamen mir die nicht vor. Richtig ist aber, dass sich Versatzstücke des alten neoliberalen Denkens auch heute noch bei vielen finden, in der Wissenschaft und der Politik. Wir können die Krise aber nicht mit dem Denken lösen, das uns erst in dieses Unglück hineingeführt hat.

Gibt es Ansätze, aus der Arbeit der Enquete-Kommission neue Visionen für eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung in Europa zu entwickeln?

Oh ja. Insbesondere haben wir umfassende Vorschläge zur Regulierung der Finanzmärkte gemacht. Damit sollen diese wieder einer stabilen realwirtschaftlichen Entwicklung dienen, anstatt Hort der Spekulation zu sein. Die Vorschläge wurden sogar größtenteils von der Koalition mitgetragen. Anders sieht es bei Konzepten für zukunftsfähige Finanzpolitik aus. Die Koalition denkt, dass mit technischen Schuldenregeln alles geklärt sei. Im gleichen Sinne wollte sie auch mit dem Fiskalpakt die Krise des Euroraums lösen. Das ist aber zum Scheitern verurteilt.

Oder scheitert das Ganze schon daran, dass es in der Bundesrepublik eigentlich keine engagierten Europa-Politiker mehr gibt? Auch nicht in der SPD?

Sie haben wohl noch nie Martin Schulz zugehört, oder? Also im Ernst: Natürlich gibt es leidenschaftliche Kämpferinnen und Kämpfer für die europäische Sache. Gerade in der SPD. Die derzeitige Krise im Euroraum sorgt zudem dafür, dass sich praktisch alle Parlamentskolleginnen und -kollegen auch mit Europathemen beschäftigen. Vielleicht gab es noch nie so viele Europapolitiker.

Doch die Krise im Euroraum, die auch Deutschlands exportorientierte Wirtschaft bedroht, löst man nicht durch stramme Sparappelle. Es braucht eine gemeinsame, ausgewogene Anstrengung aller europäischen Partner. Wir glauben, dass dieser Weg richtig und auch moralisch geboten ist. Dafür werden wir auch im anstehenden Wahlkampf streiten.

Der Beitrag von Wolfgang Münchau auf “Spiegel Online”: www.spiegel.de/wirtschaft/rezession-im-euro-raum-wie-die-spd-aus-krise-kapital-schlagen-koennte-a-892286.html

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