Viele Stadträtinnen und Stadträte hatten es befürchtet - wenn der 2011 so vollmundig angeschobene Actori-Prozess erst einmal verschoben wird - bis nach der OBM-Wahl - dann ist er eigentlich tot. Dann war der Vorstoß des OBM, die jährlich wachsenden Ausgaben für die Hochkultur in den Griff zu bekommen, nichts als eine Schauveranstaltung. Im besten Fall ein Testballon zu der Frage: Wie weit würden die Leipziger gehen, wenn es ums Sparen bei Opern, Gewandhaus, Muko und Schauspiel geht?

Sehr schnell stand die Schließung ganzer Sparten und Häuser auf dem Programm. Denn 5 Millionen Euro im Jahr spart man nicht ein, wenn man überall ein bisschen spart. Das geht nur, indem man auf wesentliche Teile des Angebots verzichtet. – So weit, so melodramatisch.

Schnell stellte sich heraus, dass einige Fraktionen durchaus große Fusionen und Hausschließungen für überlegenswert hielten. Nur halt nicht alle dieselben. Und eigentlich war dieser Teil der Debatte auch schon mit den Sanierungsplänen der Verwaltung für die Musikalische Komödie beendet. Und nun sieht es ganz so aus, als sei auch am Gewandhaus die Debatte beendet. Und nicht nur das.

Die Verwaltung hat die anstehenden Vertragsverlängerungen des Gewandhauskapellmeisters Riccardo Chailly und des Gewandhausdirektors Prof. Andreas Schulz bis 2020 ins Verfahren gegeben. Bei Chailly scheint der für die Hochkultur zuständige OBM schon alles in trockenen Tüchern zu haben.

Aber die Linksfraktion will das Einfach-weiter-so nicht mitspielen. Dr. Skadi Jennicke, die kulturpolitische Sprecherin der Linksfraktion: “Die Fraktion Die Linke wird die vom Oberbürgermeister vorgeschlagene Verlängerung der künstlerischen Leitung des Gewandhauses nicht mittragen. Die Verdienste beider Herren sind ohne Zweifel außerordentlich und verdienen unseren Respekt und Hochachtung. Wir erkennen an, dass mit Riccardo Chailly ein Dirigent der Weltspitze in Leipzig tätig ist. Gleichwohl berechtigt dieser Umstand nicht, sich über Beschlüsse des Stadtrates hinwegzusetzen.”

Zunächst habe es einen faden Beigeschmack, dass die Welt bereits vor über einer Woche vom erfolgreichen Vertragsabschluss mit dem Gewandhauskapellmeister informiert wurde und die Beschlussfassung im Stadtrat als Formalie abgetan werde. “Beide Personalien unmittelbar aneinander zu knüpfen und im Paket zur Abstimmung zu stellen, ist aus unserer Sicht schlechter Stil”, stellt Jennicke fest. “Der schwerwiegendste Einwand ist jedoch, dass mit der Vertragsverlängerung beider Herren Strukturveränderungen am Gewandhaus ausgeschlossen werden. Das ist verständlich, geht aber zu weit, wenn es zur Bedingung wird und der Oberbürgermeister sich darauf einlässt. Wer hat denn hier das Heft des Handelns in der Hand?”Vor einem Jahr beschloss der Stadtrat, eine groß angelegte ergebnisoffene Strukturdebatte unter der Anleitung der Beratungsfirma Actori zu führen. Aktuell wird die verwaltungsseitige Zusammenlegung einzelner Häuser geprüft. Hintergrund der Strukturdebatte ist ein Defizit von mindestens 5,7 Millionen Euro in den Eigenbetrieben sowie die explizite Auflage der Landesdirektion, die Eigenbetriebe strukturell neu auszurichten. Im Ratsbeschluss (RB 1295/12) heißt es wörtlich: “Die Umsetzung des Vorschlages und die Betriebsaufnahme der neuen Struktur erfolgt zum 1. August 2015.”

Aber just für den 1. August 2015 sollen auch die neuen Verträge für Chailly und Schulz gelten.

“Die Verlängerung der Verträge mit Chailly und Schulz bis 2020 setzt sich über diesen Beschluss hinweg und schafft Tatsachen. Sie bedeutet den Ausschluss einer Verwaltungszusammenlegung von Oper und Gewandhaus und zementiert damit den Ausgang des Actori-Prozesses”, stellt Jennicke fest. “Die anderen Häuser, namentlich Oper und Schauspiel, werden die Folgen schmerzhaft spüren. Dabei ist aus Sicht der Linken nach wie vor ein verwaltungsseitiges Zusammengehen von Oper und Gewandhaus sinnvoll, da beide Häuser durch das Gewandhausorchester ohnehin künstlerisch eng zusammenarbeiten.”

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Die Konsequenz aus dem Vertragsabschluss wäre, die Strukturdebatte umgehend zu beenden. Jennicke: “Actori kann nach Hause gehen, das Honorar im sechsstelligen Bereich ist verbrannt.”

Die Linke sei aber nicht bereit hinzunehmen, dass Personalentscheidungen die Strukturen für die Gesamtheit der künstlerischen Eigenbetriebe festlegen. “Strukturen müssen unabhängig von Personen gedacht, entworfen werden und funktionieren”, betont die Stadträtin. “Hinzu kommt, dass auch der Vertrag von Riccardo Chailly, der seinen Wohnsitz in der Schweiz hat, erneut Verschlusssache bleibt. Wie das Honorar von Riccardo Chailly finanziert wird, weiß allein der OBM. Mit Transparenz gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern in der Armutshauptstadt Leipzig hat das nichts zu tun.”

Womit zumindest feststeht, dass die Linksfraktion dem Beschlussvorschlag des Oberbürgermeisters zur Ratsversammlung am Mittwoch, 10. Juli, nicht folgen wird.

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