Man weiß nicht recht, ob man es als gediegen, steif, klassisch und reineweg als Tohuwabohu empfinden soll, was an Werbeträgern im Leipziger Stadtraum herumsteht - mal mitten im Weg, dann wieder in der Sichtachse, mal als Toilette, Litfaßsäule oder Telefonzelle. Fast hat man sich daran gewöhnt. Seit 24 Jahren steht das alles im öffentlichen Raum herum. Aber das soll sich ändern. Irgendwie.

2013 hatte der Stadtrat die Leipziger Verwaltung aufgefordert, die alten Werbeverträge zu kündigen mit den beiden großen Werbefirmen, die in Leipzig Aufträge haben – das sind die Firmen JCDecaux Deutschland GmbH (JCD) und DSM Deutsche Städte Medien GmbH (DSM). Das ist passiert, teilt das Baudezernat jetzt in einer Informationsvorlage an die Stadträte mit. Für beide wurden die Verträge zum 31. Dezember 2016 gekündigt. Für JCDecaux fristgemäß, denn dann wäre der Vertrag sowieso ausgelaufen, für DSM wurde der alte Vertrag noch einmal um 18 Monate verlängt, um das komplette Leipziger Werbepaket zu einem Zeitpunkt neu ausschreiben zu können. Europaweit. Was eine kleine Überraschung ist.

Denn 1991 hätte die Stadt das auch schon tun müssen. Hat sie aber nicht, stellt sie jetzt fest: “Ein weiterer Grund zur  Beendigung der Verträge bestand darin, dass bereits mit Abschluss der beiden Verträge 1991 kein europaweites Wettbewerbsverfahren um die Vergabe der Werberechte der Stadt erfolgte. Die Stadt wäre schon 1991 laut EG-Vertrag  verpflichtet gewesen, die Werberechte entsprechend der europäischen Vorgaben in einem transparenten, diskriminierungsfreien Wettbewerb auszuschreiben.”

Nur 800.000 Euro Einnahmen pro Jahr

Was nicht unbedingt heißt, dass das nur die Bewerbungssituation von anderen – auch durchaus kleineren – Bewerbern erleichtert hätte. Es hätte möglicherweise der Stadt auch höhere Einnahmen beschert. Denn wirklich dicke verdient hat die Stadt mit den existierenden Deals die ganze Zeit nicht: 800.000 Euro dafür, dass die ganze Stadt zeitweise mit wirklich aufdringlicher Werbung zugepflastert ist, das ist wirklich ein Witz. Was freilich auch wieder damit zu tun hat, dass Leipzigs Verwaltung sich bei dem Vertrag insbesondere mit JCDecaux 1991 auch ein paar Serviceleistungen ausbedungen hat – zum Beispiel zwei Dutzend Toilettenhäuschen in der ganzen Stadt verteilt und die Instandhaltung von LVB-Wartehäuschen und 1.800 Meter Spritzschutzgeländer. Letzteres augenscheinlich ein Thema, bei dem Stadt und Werbefirma mehrfach heftig aneinander geraten sein müssen.

Denn in der Vorlage dazu heißt es speziell zu den Spritzschutzanlagen: “Schließlich stellt jede werbefremde Leistung, auf die die Stadt angewiesen ist, ein Drohpotential dar, wie es gegenwärtig der Fall ist.”

Toiletten und Spritzschutz übernimmt die Stadt

Weshalb schon jetzt feststeht, dass so etwas in künftigen Verträgen nicht mehr vorkommen wird: Die verbleibenden 1.800 Meter Spritzschutzgeländer von JCDecaux wird die Stadt Leipzig in nächster Zeit komplett durch eigene ersetzen. Weitere 1.300 Meter hat sie selbst schon in Eigenregie angebracht.

Die Fahrgastunterstände (FGU) der Leipziger Verkehrsbetriebe bleiben dafür in der Ausschreibung. Sie haben zwar einerseits einen Nutzwert, aber sie sind gleichzeitig auch ideale Werbeflächen. Und die Zahl der überdachten Haltestellen soll sich eher noch erhöhen – rund die Hälfte der Haltestellen will die Stadt auch künftig überdacht haben.

Werbefremd aber waren eindeutig die 17 Toilettenhäuschen, die JCDecaux unterhalten hat. Eine gleiche Anzahl soll erhalten bleiben, nicht immer an den selben Standorten. Ist nur die Frage: Least die Stadt die Häuschen oder kauft sie sie der Werbefirma ab und betreibt sie selbst? Das wäre deutlich billiger.

Die Reinigung der Toilettenhäuschen steht übrigens aktuell als Kostenblock bei der Stadt. Dafür zahlt sie jedes Jahr 70.000 Euro.

Auf Stromkosten bleibt größtenteils die Stadt sitzen

Die Kostenkalkulation von 1991 sieht das Baudezernat der Stadt heute sehr, sehr skeptisch.

“Die heute bestehenden zwei Verträge beinhalten unterschiedliche Werbeformen und Leistungen. Das jährlich erzielte Entgelt beläuft sich dabei auf ca. 1.062.500 EUR.  Im Vertrag mit JCD ist vertraglich vereinbart, dass Stromkosten für  die Großwerbeanlagen nur anteilig von JCD zu tragen sind. Die Verbrauchswerte wurden damals geschätzt und sind die  Grundlage für die jährliche Zahlung der anteiligen  Betriebskosten am Stromverbrauch der Werbeanlagen. Diese  betragen jährlich ca. 182.000 EUR. Parallel dazu besteht die vertragliche Verpflichtung, die verbleibenden Stromkosten zu übernehmen. Diese liegen heute bei ca. 356.700 EUR.”

Da staunt man eher, dass die Stadt nicht einfach nachts das Licht ausgemacht hat, um die Beleuchtung von fremder Werbung abzustellen, von der sie am Ende nicht viel hat.

Ob die 1.062.500 Euro, die die Stadt von beiden jetzigen Werbefirmen bekommt, tatsächlich das sind, was eine Stadt mit so viel Werbung im öffentlichen Raum verdienen kann, daran zweifelt das Baudezernat in der Vorlage recht deutlich.

Einfach um einmal die Größenordnung deutlich zu machen: 465  Litfaßsäulen betreibt DSR im Stadtgebiet, 656 Fahrgastunterstände gibt es, dazu kommen bei DSR (fusioniert aus Deutsche Städte Medien und Stroer) noch 200 City-Star-Werbesäulen und 190 City-Light-Poster-Säulen und 300 Ganzsäulen. Selbst das Baudezernat schätzt ein, dass das Maximum an Werbedichte in Leipzig längst erreicht ist.

Künftig werbefreie Zonen?

Die Verträge von 1991 sorgen bis heute auch für Unsicherheit, wieviel Geld die Stadt tatsächlich bekommt: “In einigen Fällen, wie z.B. dem Rückbau von Werbeanlagen, ist die  Zuständigkeit vertraglich nicht eindeutig geregelt. Dadurch besteht ein  hohes Maß an unterschiedlichen Vertragsauslegungen, die negativen Einfluss auf die zu zahlenden Entgelte haben. Allein 2014 hat die Stadt Nachzahlungen in Höhe von ca. 360.000 EUR gerichtlich und außergerichtlich von den Werbepartnern erhalten.”

So ein bisschen hat die Stadt auch die Hoffnung, ein bisschen mehr Ordnung in den Werbeträgerwirrwarr zu bekommen: “Mit der Neuvergabe von exklusiven Werberechten hat die Stadt nun die Möglichkeit, Werbeträgerarten im öffentlichen Stadtbild vorzugeben,  werbefreie Zonen unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben zu definieren und ein einheitliches Design zu bestimmen.”

Anfang 2016, so heißt es in der Vorlage, könnte die im April 2015 im Europäischen Amtsblatt erfolgte Ausschreibung dann ein Ergebnis haben und für die beiden ausgeschriebenen Lose jeweils ein Kandidat feststehen. Eine Hoffnung dabei ist natürlich, dass es deutlich höhere Einnahmen gibt. Und dass die Verträge eindeutiger und rechtssicher werden. Derzeit kann die Stadt nicht einmal einen Werbeaufsteller entfernen, der mitten im Weg ein Unfallrisiko darstellt, ohne möglicherweise eine Vertragsverletzung zu begehen. Über 1.500 Werbeträger im öffentlichen Raum und nur 800.000 Euro Einnahmen, das ist wirklich recht wenig.

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