Als Matthias Zimmermann, Sprecher der Bürgerinitiative "Gegen die neue Flugroute", den von CDU, CSU und SPD ausgehandelten Koalitionsvertrag durchlas, packte ihn das Grauen. Denn da haben die Koalitionäre eigentlich schon aufgeschrieben, was sie aus dem Flughafen Leipzig / Halle machen möchen: ein Frachtflugdrehkreuz mit Rund-um-die-Uhr-Betrieb und ohne Einschränkungen. Und ohne Einschränkungen heißt wohl auch: in jede Richtung und mit jeder Turbine.

Ein Satz im Koalitionspapier beschäftigt sich direkt mit dem Flughafen Leipzig / Halle. Der geht so: “Für den Flughafen Leipzig-Halle wollen wir die Frachtfluglanderechte erweitern und diesen generell als Landepunkt für den Luftfrachtverkehr in die assoziierten Dokumente und damit in die Luftverkehrsabkommen aufnehmen.”

“Lässt hier schon China grüßen?”, fragt Zimmermann.

Aber augenscheinlich steckt noch mehr hinter dieser Floskel. Denn wirkliche Frachtflugbeschränkungen gibt es ja am Flughafen Leipzig / Halle nicht. Zeitliche Beschränkungen gibt es nur für den Personenflugverkehr. Fracht darf hier zu jeder Zeit geflogen werden. Aber die Frachtflieger starten und landen größtenteils in der Nacht. Was Gründe hat. Denn so lasssen sich die nächtlichen Verbindungen weltweit optimal fliegen. Was man schon 2004 wusste, als man das ganze Regelwerk um den Flughafen so strickte, dass man mit ihm dem bis dahin in Brüssel heimischen Frachtflieger DHL geradezu goldene Stufen baute.

Er bekam eine eigene Startbahn mit passgenau zugeschnittenen Flugregeln. Und in Brüssel verlor man den Frachtverkehr gegen einen Konkurrenten, der jede Regel des Nachtflugverkehrs unterlief, an die sich Brüssel halten musste.

Nur im Planfeststellungsbeschluss für diese Startbahn standen ein paar kleine Einschränkungen, mit denen man damals die Betroffenen im Fluggebiet ruhigstellte. Dazu gehört die gleichmäßige Auslastung beider Startbahnen genauso wie die begrenzte Nutzbarkeit einer eigentlich nur für Notfälle gedachten “Kurzen Südabkurvung”.

Eine Route, die in niedriger Höhe über den Leipziger Westen und den Auenwald und damit direkt über Leipzig führt.

Als die Startbahn 2007 inBetrieb ging, merkten die Betroffenen bald, dass sich die Nutzer des Flughafens nicht die Bohne an diese kleinen Einschränkungen hielten, klagten vor Gericht und schrieben zwei Petitionen an den Bundestag. Die zweite wurde im Sommer vom Bundestag positiv entschieden, der Verkehrsminister hätte sie also umgehend umsetzen müssen. Was Alexander Dobrindt (CSU), der Verkehr allein als Betriebsvorrrecht großer Konzerne betrachtet, einfach nicht tat.

Ergebnis: Weder die “Kurze Südabkurvung” wurde vor den schweren Fliegern bewahrt, noch wurde die gleichmäßige Bahnverteilung auch nur angestrebt – nicht mal seit Herbst 2017, als Sachsens Verkehrsminister kundtat, die notwendige von der EU geforderte Sicherheitsechnik dafür sei vorhanden.

Tatsächlich sagt das Koalitionspapier nun: Im Osten Deutschlands gelten andere Regeln. Hier hat man sich zu fügen, wenn jemand entscheidet, Flieger direkt über die Stadt zu leiten und die Nachtruhe durch einen Ausbau des Frachtflugbetriebs gänzlich zu zerstören.

Die Zahlen für den Januar sprechen schon Bände.

Trotz vorhandener Sicherheitstechnik erfolgten wieder 93 Prozent aller nächtlichen Starts und Landungen von der stadtnahen Südbahn. Wahrscheinlich reicht ein Runzeln der Augenbraue bei DHL und die Deutsche Flugsicherung springt und weist die Frachtflieger alle auf die Südbahn ein. In der Kernnacht von 0 bis 5 Uhr starteten und landeten hier sogar 97 Prozent aller Flieger.

Das ganze Palaver über die fehlende Sicherheitstechnik in der “Fluglärmkommssion” und im Dialogforum war also nichts als Blendwerk.

Amtliche Legendenbildung

Mit 1.833 Starts und Landungen in dieser Zeit wurde übrigens ein neuer Rekord verzeichnet. Ob da noch Ohrstöpsel reichen, wie Zimmermann meint, darf wohl bezweifelt werden. Vor allem, weil nach wie vor schwere, laute und alte Maschinen im Einsatz sind. Was DHL nicht mehr fliegt, fliegen eben andere Gesellschaften, die ihre Maschinen möglichst billig einkaufen oder chartern. Oder auch gern wieder mit teuren lauten Militärfrachtern landen. Der Irak-Krieg ist zwar lange vorbei, aber augenscheinlich haben die Amerikaner wieder einen erheblichen Teil ihrer Militärtransporte nach Leipzig verlegt.

Vielleicht nach der Trumpschen Devise, man sei zwar irgendwo präsent, beteilige sich aber auf keinen Fall an den dort stattfindenden Kriegen. Die Zahl der schweren Frachter, die in Leipzig starten und landen, hat sich seit 2008 übrigens mehr als verdoppelt.

Und wie ist das mit der “Kurzen Südabkurvung”, über die eigentlich nur kleine Maschinen in seltenen Ausnahmefällen fliegen dürfen?

Allein 115 Maschinen nutzten diese Route direkt über Leipzig und Auenwald im Januar 2018, womit man die Zurückhaltung der Vorjahre wieder aufgegeben hat. Auch DHL nutzte die Route zehn Mal, fünf Mal war die laute AN 12 auf dieser Route zu hören. Dann wackeln auch in Connewitz die Wände.

Ergebnis: Auf diesen Flughafen haben die Bürger keinen Einfluss. Sowohl “Fluglärmkommission” als auch Dialogforum haben sich als reine Placebo-Maßnahmen erwiesen. Politiker, die in Wahlkämpfen noch ankündigen, sie würden den Bürgern wenigstens zum Einhalten der vereinbarten Regeln verhelfen, verstummen und tauchen ab, Petitionen werden einfach ignoriert. Stattdessen beschließen SPD und Union im Koalitionspapier einen massiven Ausbau des Flugbetriebs.

Was natürlich vor dem Hintergrund des strukturschwachen Ostens und der wichtigen Rolle Leipzigs als Metropolknoten verständlich ist. Natürlich braucht es hier so einen Flughafen, der dafür sorgt, dass wenigstens rund um Leipzig die Post abgeht.

Aber das funktioniert nur wirklich, wenn die Politik dem Mumm hat, die wichtigsten Lärmschutzregeln auch durchzusetzen. Und die Frage zu beantworten, wer eigentlich dafür geradesteht, wenn so ein Brummer in der Leipziger Südvorstadt in der Luft havariert einschlägt.

Der Fluglärmreport für Januar 2018.

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