Als Gisela Kallenbach jüngst 70 wurde, waren selbst Parteikollegen verblüfft: So agil sind selbst viele jüngere Landtagsabgeordnete nicht. Dabei hat sie schon seit 1982 für den Umweltschutz gekämpft, war nach 1990 Stadträtin in Leipzig, internationale Bürgermeisterin in Pec im Kosovo, Europaabgeordnete. Und seit 2004 ist sie im Landtag und naturschutzrechtliche Sprecherin ihrer Fraktion. Auch sie bekam die sieben Fragen der L-IZ gestellt.

Welches war aus Ihrer Sicht der größte Erfolg in dieser Legislatur? Und aus welchen Gründen?

In Sachsen gab es während meiner Zeit im Landtag fünf Hochwasserereignisse mit erheblichen Schäden, die bis heute teilweise nicht behoben werden konnten. Wir müssen den Flüssen mehr Raum geben. So auch unisono die Botschaft der Staatsregierung nach jeder Flut – passiert ist wenig. Da, wo es zum technischen Hochwasserschutz keine Alternativen gibt, soll man ihn nutzen. Aber Sachsen braucht mehr natürliche Überschwemmungsflächen. Dafür scheint es inzwischen auch in den Reihen der Koalitionsfraktion Fürsprecher zu geben. Eine dezente Trendwende deutet sich an. Das wäre ein bescheidener, aber für mich wichtiger Erfolg. Ich hoffe, ich täusche mich nicht.

Welches war für Sie die größte Enttäuschung? Und warum?

Ein Umweltminister, der aktiv und massiv die Bedingungen für den Umwelt- und Naturschutz schwächt, ist an sich schon eine herbe Enttäuschung. Frank Kupfer wird als der Minister in die Geschichte eingehen, der eine drastische Verschlechterung der Bedingungen für den Umwelt- und Naturschutz verantwortet. Und einige Ministerkollegen stehen ihm wenig nach. Umwelt hat in Sachsens Regierung eine mehr als schwache Lobby.

Die konkrete Liste der Ärgernisse ist schier endlos: das reicht von der Abschaffung des für Gewässer-, Natur- und Waldschutz wichtigen kommunalen Vorkaufsrechtes über das Beschneiden der kommunalen Baumschutzsatzungen, den Tornado-Erlass zu Abholzung von tausenden Bäumen auf Sachsens Deichen bis zur geplanten Freigabe der Gewässer für den Motorbootverkehr. Besserer Lärmschutz in den Städten und ein Nachtflugverbot – weitgehend Fehlanzeige. Wo bitte leistet Sachsen seinen Beitrag zum Klimaschutz? Mit der Fortsetzung der Kohleverstromung wohl kaum.

Zuletzt wurde unser Antrag zum Biotopverbund abgelehnt. Ich sehe nicht, wofür ich Schwarz-Gelbe Regierung in guter Erinnerung behalten sollte.

Welches Projekt hätten Sie gern umgesetzt gesehen? Und woran scheiterte es?

Ich bedauere, dass es bisher nicht gelungen ist, mehr naturnahen Hochwasserschutz durchzusetzen. Woran lag’s? Ich meine, vor allem an dem in der schwarzgelben Koalition und dem Staatsbetrieb Landestalsperrenverwaltung vorherrschenden Technikglauben. Man vertraut auf immer höhere Deiche und Mauern, die im Übrigen hohe langfristige Unterhaltungskosten mit sich bringen. Es fehlt nach wie vor der politische Wille, sich mit den Landwirten auseinanderzusetzen. Deren Ernteverluste im Überflutungsfall auszugleichen wäre ja auch noch eine sinnvolle Alternative zu großen Baumaßnahmen. Schließlich ist viel Geld im Spiel. Die Bauwirtschaft wird’s gefreut haben.

Welches Projekt müsste in der nächsten Wahlperiode unbedingt angegangen werden? Und: Wäre es bezahlbar?

Sachsen tut viel zu wenig für den Klimaschutz und hat seine ohnehin wenig ambitionierten Ziele immer wieder nach unten korrigiert. Ich sehe nicht, dass sich das mit der CDU grundlegend ändert. Dabei gäbe es so viel zu tun, vor allem in der Verkehrs- und Energiepolitik. Weniger CO2-Emissionen bei der Energieerzeugung, Energiesparen, mehr Energieeffizienz, energetische Sanierung, der Einsatz regenerativer Energien für die Wärmeversorgung von Gebäuden. Hier müsste mal jemand richtig “Gas geben”. Dass Klimaschutz sich rechnet, wissen wir spätestens seit Nicolas Sterns Bericht: Nicht-Handeln kostet jährlich 5 % des globalen BIP. Da haben wir auch die Verbindung zum Hochwasserschutz. Hier Schäden beklagen und zugleich so gut wie nichts für den Klimaschutz tun – das passt nicht zusammen.

Zweites existenzielles Thema ist für mich der Erhalt der biologischen Vielfalt. 40 % der heimischen Arten stehen in Sachsen auf der Roten Liste. Vor allem dank der in Sachsen dominanten industriellen Landwirtschaft. Die kommt nicht ohne Pestizide aus, Opfer sind nicht nur die Bienen. Wir sägen an dem Ast, auf dem wir sitzen. Das trifft auch die Landwirte selbst, denn tote Bienen können auch nichts mehr bestäuben.

Denken Sie, dass Leipzig im Landtag gut genug vertreten war? Oder ist Leipzig als wachsende Großstadt eher benachteiligt – auch dann, wenn es um die Mittelzuweisungen geht?

Ich habe schon das Gefühl, dass Dresden in vielen Bereichen Vorteile hat, z. B. wenn in den Unis Fakultäten in Leipzig seit Jahren abgebaut und in Dresden neu aufgebaut oder gestärkt werden. Eine Landeshauptstadt kann sich natürlich auch bei der Finanzierung der Kultureinrichtungen und Verkehrsinfrastruktur besser auf den Landeshaushalt verlassen.

Mir fällt ein anderer Aspekt auf: Mitglieder der Koalitionsfraktion sind durchaus im Vorteil gegenüber anderen Mitgliedern des Landtags. Das reicht vom Zugang zu Informationen bis zur öffentlichen Präsenz bei medienwirksamen Terminen, zu denen die Minister/innen gerade in Wahlkampfzeiten selten Abgeordnete der Opposition einladen.

Welches sind aus Ihrer Sicht die drängendsten Probleme für Sachsen?

Wenn Sachsens Regierung wirklich was besser machten will, dann muss mehr in Bildung, Jugendhilfe und soziale Projekte investiert werden. Bei allem “Jubel” über die Pisa-Erfolge: Wir haben eine viel zu hohe Schulabbrecherquote, tun viel zu wenig für die Inklusion. Auf die Handlungsfelder Klimaschutz, Hochwasserschutz, Lärmschutz und Artensterben verweise ich hier nur.

Haben Sie Vorschläge, wie sie angepackt werden können?

Durchaus. Das erste wäre: Augen auf, ein nüchtern-kritischer Blick auf die tatsächlichen Zustände in Sachsen statt der rosaroten Erfolgsbrille, die die Koalitionsfraktion momentan trägt. Ich wünsche den neuen Abgeordneten mehr Mut für eine präventive, vorausschauende Politik. Zu viele Abgeordnete verschließen die Augen vor den Folgekosten der Rotstiftpolitik für Bildung und Soziales. Es ist unterlassene Hilfeleistung, Kinder nicht vor Bildungsarmut zu schützen, sagt Jutta Allmendinger vom Wissenschaftszentrum Berlin und das sehe ich genauso.

Es gäbe aus meiner Sicht bessere politische Entscheidungen, wenn die Regierungskoalition nicht jede Idee, jeden Änderungsantrag schon deshalb abbügeln und wegstimmen würde, weil er eben aus der Opposition kommt. Die Qualität der Landespolitik könnte durchaus gewinnen, wenn gemeinsam um beste Lösungen gerungen würde.

Website von Gisela Kallenbach:
www.gisela-kallenbach.de

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