Am 15. Dezember, wenn der Fahrplan für das Mitteldeutsche S-Bahn-Netz in Funktion tritt, wird noch nicht Bilanz gezogen. Dann rollen zwar die neuen Talent-Züge auf den neuen S-Bahn-Linien durch den Leipziger City-Tunnel. Fürs Erste wird alles ganz gut funktionieren. Erst nachher wird so langsam festgestellt - auch von den Fahrgästen - was noch so alles fehlt. Oder eingespart wurde.

Denn die 960 Millionen Euro, die Sachsens Verkehrsminister Sven Morlok (FDP) kurz nach seinem Amtsantritt 2009 als Kostengrenze für den City-Tunnel genannt hat, sind nur ein Deckel. Eine Strategie, mit der er geschafft hat, diesen Deckel bis heute zu halten, ist eine straffe Kostenkontrolle und eine strenge Aufsicht auf das Projekt. Aber das ist nur ein Drittel der Geschichte.

Das zweite Drittel ist der Bauablauf. Die wichtigsten Kostensteigerungen gab es vor dem Regierungswechsel 2009 durch neue Gesetze zum Brandschutz im Tunnel, durch die Insolvenz eines Baubeteiligten und durch unerwartete Schwierigkeiten bei der Tunnelbohrung. Zur Erinnerung: Leonie vollendete die zweite Tunnelbohrung 2008. Seitdem ist das Baugeschehen relativ überschaubar. Das Kostenregime des Verkehrsministers funktionierte.

Dritter Teil der Wahrheit ist aber auch, das im Lauf der Überprüfung des Projekts einige Bausteine – insbesondere aus den “tunnelbegleitenden Maßnahmen” entweder vertagt oder vorläufig gestrichen wurden. Dazu gehört zum Beispiel der Haltepunkt in Paunsdorf. Aber es sind auch solche “Kleinigkeiten” wie einige Maßnahmen zur Barrierefreiheit, wie die fehlenden Fahrstühle in Großstädteln und Gaschwitz.

Und im Grunde Teil der Wahrheit ist auch die Tatsache, dass das Tunnelprojekt – wie so viele deutsche Großprojekte – von Anfang an aus politischen Gründen zu knapp kalkuliert wurde. Erinnert sei an den Ausspruch des damaligen sächsischen Wirtschaftsministers Kajo Schommer (CDU): “Ich will die Milliarde nicht sehen!” Und damals ging es um D-Mark. Aus den kühnen Plänen, einen für S-Bahn- und Fernverkehr geeigneten Vierfachtunnel zu bauen, wurde eine doppelte Tunnelröhre, durch die nur vorübergehend auch ein paar Fernzüge rollen.Die lange Vorlaufzeit und die über Jahre stetig steigenden Kosten geben dem Grünen-Bundestagsabgeordneten aus Sachsen Stephan Kühn Anlass, die Akzeptanz solcher Großprojekte neu zu bedenken.

“Zum Fahrplanwechsel am 15. Dezember geht das mit Investitionskosten von rund einer Milliarde Euro bisher teuerste Nahverkehrsprojekt Sachsens in Betrieb. Der gesprengte Kosten- und Zeitrahmen des Vorhabens wirft ein Schlaglicht auf Planung und Bau von Großprojekten in Deutschland”, sagt Kühn. “Für zukünftige Infrastrukturprojekte müssen daher Lehren aus Leipzig gezogen werden: Wir werden in Deutschland nur dann Akzeptanz für große Infrastrukturvorhaben in der Bevölkerung erreichen, wenn Kosten und Nutzen von Anfang an realistisch ermittelt werden. Mit dem Prinzip ‘Kosten kleinrechnen und Nutzen durch die rosarote Brille betrachten’ muss endlich Schluss sein. Damit gewinnt man dauerhaft keine Akzeptanz für Bauvorhaben, sondern verspielt das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. Außerdem führt es dazu, dass knappe Mittel in Prestigeprojekten versickern, statt in tatsächlich notwendigen Vorhaben ihren Nutzen zu entfalten.”

Was natürlich hohe Transparenz – auch über alternative Lösungen – schon in der Planungsphase voraussetzt. Übrigens etwas, was die Bundesbürger nach der nun seit geraumer Weile fortgesetzten Hitschfeld-Studie dringend erwarten von der Politik. Immerhin sind sie diejenigen, die mit ihren Steuern die ausufernden Projekte bezahlen – und gleichzeitig auch erleben, wie das aufgewendete Geld andernorts fehlt und ältere Infrastrukturen erodieren.

“Auch beim Leipziger Citytunnel kam die Wahrheit über die tatsächlichen Kosten nur scheibchenweise ans Tageslicht, am Ende wurde alles doppelt so teuer wie geplant. Der Nutzen des Tunnelprojekts wurde mit fiktiven Fernverkehrszügen schöngerechnet obwohl klar ist, dass dieser eher eine untergeordnete Rolle spielen wird. Daran ändern auch die ab Fahrplanwechsel baustellenbedingt umgeleiteten ICE nichts”, sagt Kühn. “Für Sachsen müssen wir feststellen, dass der Leipziger Citytunnel das letzte Nahverkehrsprojekt dieser Art ist. Künftig kommt es darauf an, die knappen öffentlichen Gelder in hochwirksame Maßnahmen im Netz zu investieren, so dass möglichst viele Fahrgäste davon einen Nutzen haben.”

Womit man bei der notwendigen Alternative wäre. Denn oft verzweifeln Bahnreisende nicht an der (fehlenden) schnellen Zugverbindung, sondern an der Tatsache, dass die Zugverbindungen nicht logisch vertaktet sind und schlicht keine sinnvollen und schnellen Übergänge existieren. Man wartet zu oft auf windigen Bahnsteigen irgendwo in der Provinz stundenlang auf den Anschlusszug.

Die Lösung haben die Grünen schon mehrfach angemahnt. Stephan Kühn: “Deshalb wollen wir im Freistaat schrittweise den Sachsentakt einführen, der vom Anrufbus in der Fläche bis zum ICE durchgehende und verlässliche Mobilitätsketten schafft. Das Geld wird für den Ausbau des Eisenbahnnetz so investiert, dass in den Knoten immer garantierte Anschlüsse in möglichst alle Richtungen bestehen. Netzweit verkürzen sich so die Fahrzeiten.”

Und sein abschließendes Wort zum City-Tunnel: “Zum Fahrplanwechsel geht mit dem Tunnel unter der Leipziger Innenstadt auch das Mitteldeutsche S-Bahn-Netz in Betrieb. Auf einigen Relationen profitieren Fahrgäste von kürzeren Fahrzeiten und einer verbesserten Erreichbarkeit der Leipziger City. Nach einer unrühmlichen Planungs- und Baugeschichte wünschen wir dem neuen Nahverkehrsangebot auf der Schiene jetzt viele neue Fahrgäste und allzeit gute Fahrt!”

Website von Stephan Kühn: www.stephankuehn.com

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