Die S-Bahn-Strecke zwischen Halle und Leipzig wird von zahlreichen Berufspendlern genutzt. Viele sind auf die Mitnahme ihrer Fahrräder angewiesen. Doch seit der Umstellung des S-Bahn-Verkehrs auf die neuen Personenwagen vom Typ Talent 2 gibt es Beschwerden wegen fehlenden Platzes. Doch in den beiden betroffenen Bundesländern ticken die Uhren mittlerweile komplett anders.

Denn während man in Sachsen-Anhalt längst begriffen hat, dass zum Pendeln heutzutage auch das Fahrrad zwingend dazu gehört, um am Ankunftsort flexibel sein zu können, hat Sachsen im Jahr 2009 die Uhren zurückgedreht in ein Zeitalter, in dem nur das Automobil als statusträchtiges Transportmittel für Pendler und Ausflügler galt. Entsprechend gleichgültig ist dem zuständigen Minister, wie es um die Mitnahmekapazitäten für Fahrräder in den regionalen Zügen und S-Bahnen bestellt ist. Das drückt Verkehrsminister Sven Morlok in den einschlägigen Antworten an die Landtagsabgeordneten mittlerweile mit der Floskel aus: “Von einer Beantwortung der Staatsregierung wird daher abgesehen.” Versehen mit Hinweis auf Artikel 50 der sächsischen Verfassung.

Der Artikel ist mittlerweile zur gängigen Ausrede geworden, wenn Sachsens Minister zu Themen keine Stellung mehr nehmen wollen. Sein Wortlaut: “Die Staatsregierung ist verpflichtet, über ihre Tätigkeit den Landtag insoweit zu informieren, als dies zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist.”

Irgendjemand in der sächsischen Staatsregierung hat den Sinn des Artikels irgendwie umgedreht und hat aus “Erfüllung seiner Aufgaben” (der des Landtages) sinngemäß “zur Erfüllung ihrer Aufgaben” (der der Regierung) gemacht. Sven Morlok reibt diese Umdeutung des Artikels auch Eva Jähnigen unter die Nase, als er auf ihre Anfrage zur Fahrradmitnahme in den S-Bahnen zwischen Halle und Leipzig nicht antwortet: Die Staatsregierung “ist daher nur zu solchen Angelegenheiten zur Auskunft verpflichtet, die in ihre Zuständigkeiten fallen und muss nicht auf Fragen eingehen, die Vorgänge oder Umstände außerhalb ihres Verantwortungsbereiches betreffen.”

Das ist dann gleich doppelt falsch, denn das, was in Verantwortung des Landtages liegt, ist nicht deckungsgleich mit dem, was in der Verantwortung der Regierung liegt. Was gerade auch beim Thema regionaler Schienenverkehr eine Rolle spielt, der zwar in Verantwortung der regionalen Zweckverbände passiert – aber die Mittelverteilung läuft über das sächsische Verkehrsministerium. Und mit radikalen Mittelkürzungen hat Sven Morlok in den vergangenen Jahren massiv in die Arbeit der Zweckverbände hineinregiert. Da war es irgendwie sein Aufgabenbereich. Bei der Frage nach der Fahrradmitnahme aber kneift er und verweist darauf, dass man ja die Zweckverbände angeregt habe, Konzepte zu Mitnahmemöglichkeiten für Fahrräder zu entwickeln.Ganz anders hat die Regierung von Sachsen-Anhalt auf eine ähnliche Anfrage der Grünen im sachsen-anhaltischen Landtag reagiert.

Sie hat auch zugestanden, dass sie um die Beschwerden über die Probleme bei der Fahrradmitnahme in der S-Bahn von Halle nach Leipzig weiß und verweist in ihrer Antwort auf die derzeit noch nicht durchgängig vertragsgemäße Bereitstellung von Fahrzeugkapazitäten durch die DB Regio AG. Doch Sachsens Staatsregierung hat von Beschwerden bisher nichts vernommen, staunt Eva Jähnigen, die verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion in Sachsen.

Laufen diese Beschwerden nur noch bei den Grünen ein, weil die Radfahrer mit irgendeiner Reaktion aus dem Verkehrsministerium schon gar nicht mehr rechnen?

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“In den vergangenen Monaten erreichen auch uns immer häufiger Bürgerbeschwerden, dass Passagiere und Fahrräder wegen Überfüllung der Wagen nicht mitgenommen werden können”, sagt Eva Jähnigen. “Im zuständigen Wirtschaftsministerium will man von den Problemen nichts vernommen haben. Jegliche Verantwortung wird auf den Zweckverband für den Nahverkehrsraum Leipzig (ZVNL) geschoben.”

Für sie gehören die Auskunftsverweigerung und die Politik des sächsischen Verkehrsministeriums zusammen.

“Wer eins und eins zusammenzählen kann, braucht sich jedoch über die Situation nicht wundern”, erklärt die Abgeordnete. “Auch wenn formal die Zweckverbände verantwortlich sind, sollte sich ein Wirtschaftsminister, der den Zweckverbänden in den vergangenen Jahren das Geld gekürzt hat, deutlich engagierter zeigen. Zumal der Freistaat insgesamt 470 Millionen Euro in den City-Tunnel-Leipzig investiert hat. Da sollte die Strecke doch für alle nutzbar sein. Die unhaltbare Situation und die daraus folgenden Probleme muss ein künftiger Wirtschaftsminister ernst nehmen und im Dialog mit den Zweckverbänden Abhilfe schaffen”, fordert Jähnigen.

Kleine Anfrage Drs 5/14907 “Kosten netzergänzende Maßnahmen am City-Tunnel Leipzig”: http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=14907&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=202

Die Kleine Anfrage der Grünen Sachsen “Fahrradmitnahme im S-Bahn-Verkehr zwischen Leipzig und Halle” (Drs 5/14906) als PDF zum Download.

Die Antwort der Landesregierung als PDF zum Download.

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