Sonnenschein. 18 Grad Celsius. Die Wolken haben sich verzogen. Und Ralf Scheler hat gute Nachrichten: Dem Leipziger Handwerk geht es gut. Die Zahlen für die Frühjahrs-Konjunkturumfrage liegen vor. 2.000 von den mittlerweile 12.264 Handwerksbetrieben im Kammerbezirk Leipzig wurden angeschrieben. Rund 600 haben geantwortet. Ergebnis: ein Index von 91 Prozentpunkten.

Fast genauso viel wie im Herbst 2011. Und damit das zweithöchste Ergebnis seit Beginn der regelmäßigen Befragungen im Jahr 1993. 90 Prozent der Unternehmen beurteilen ihre Geschäftslage als gut. Die Kapazitäten sind zu 84 Prozent ausgelastet. Die Auftragsbücher sind auf fast acht Wochen hinaus voll. Und der kurze und knappe Winter hat auch die Beschäftigtenzahlen nicht einbrechen lassen, wie das in den Krisenjahren vorher durchaus stets der Fall war.

Im Gegenteil: Die Handwerksbetriebe haben ihr Personal gehalten. Das bedeutet was in einer Zeit, in der sich ein ganz anderes Szenario am Horizont abzeichnet: Mit den geburtenschwachen Jahrgängen ist der drohende Fachkräftemangel in die Wirtschaft eingezogen. Das ist im Leipziger Handwerk schon viel länger Thema als in den anderen Wirtschaftsbereichen. Und man hat das Thema schon seit Jahren bei den Hörnern gepackt. Hat intensive Kooperationen aufgebaut zu den Schulen. Hat eine Lehrstellenbörse ins Netz gesetzt. Am 26. April ist auch eine Praktikumsbörse ins Netz gegangen.

“Die Unternehmen haben erkannt, dass sie mit der Nachwuchsgewinnung und der Bindung der jungen Leute an ihr Unternehmen so früh wie möglich anfangen müssen”, sagt Reinhard Schröter, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer zu Leipzig. “Die Unternehmen wissen, dass sie ihre Fachkräftesicherung selbst in die Hand nehmen müssen.”

Indem sie ausbilden. Und weil sie so früh am Ball sind wie andere Unternehmen nicht, haben sie sogar 2011 die Zahl der Lehrverträge steigern können. Um 8 Prozent, wie Reinhard Schröter erzählt. Da staunt selbst Handwerkskammerpräsident Ralf Scheler. Denn mit den Gehältern etwa in den großen Leuchtturmunternehmen der Industrie kann das Handwerk nicht mithalten. Auch nicht mit den Gehältern, die im Süden Deutschlands gezahlt werden. “Aber irgendetwas muss da sein, was einen Handwerksberuf trotzdem attraktiv macht”, sagt er. Vielleicht ist es die Überschaubarkeit der Firma. Man ist keine Nummer unter vielen, wie Scheler sagt. “In manchen Unternehmen ist man ja sogar wie in einer Familie”, so Scheler. Auch weil’s meist Familienbetriebe sind. Die durchschnittliche Belegschaftszahl im Frühjahr 2012: 9,1. Mit Chef und meistens auch Chefin.

Vielleicht auch ein Pluspunkt: Wer im Handwerk arbeitet, hat mehr Kundenkontakt, arbeitet – wie im Bauhaupt- und Ausbaugewerbe auf unterschiedlichsten Baustellen, muss oft auch früh schon Verantwortung übernehmen. Kann das auch. Denn die meisten Handwerksberufe sind anspruchsvoll. Was auch im Handwerk zu einem Engpass führt.

“Die Ausbildungsberufe sind heute in der Regel so anspruchsvoll, dass wir gar nicht umhin kommen, dass den jungen Leute so früh wie möglich klar zu machen”, sagt Scheler. “Es hilft ihnen gar nichts, wenn sie am Ende der Lehre die Prüfungen nicht bestehen oder danach erst merken, dass sie an ihre Grenzen kommen.”Was auch bedeutet: Wer die Schule ohne Abschluss beendet, landet nicht zwangsläufig doch im Handwerk. Dazu sind die Anforderungen zu komplex. Und: 13 Prozent Schulabgänger ohne Abschluss sind eine Katastrophe. An dieser Stelle hat ein Schulsystem versagt. “Wir sind nicht die Reparaturwerkstatt für das, was da versäumt wurde. Können wir auch gar nicht sein”, sagt Scheler.

Was Leipzigs Handwerksmeister trotzdem machen: Sie binden die geeigneten Bewerber immer früher per Lehrvertrag an sich. Im Frühjahr 2012 sind schon 27 Prozent mehr Lehrverträge abgeschlossen worden als vor einem Jahr zu diesem Zeitpunkt: 265 Stück. Weitere 300 offene Lehrstellen stehen aktuell in der Online-Lehrstellenbörse. Die Konkurrenz um die jungen Leute hat begonnen. Und jetzt stehen sie alle in Konkurrenz um den raren Nachwuchs: die Handwerksbetriebe, die Industriebetriebe, die Universitäten.

Und wenn man’s verraten darf: Auch der Freistaat steht in dieser Konkurrenz, der nach Jahren des Einstellungsstopps und der Spar-Phrasen gerade mit prallen Segeln in eine akute Personalnot hineinrauscht – nicht nur bei Lehrern, auch bei Polizisten und Verwaltungsangestellten. Dafür sorgen schon allein die hohen Abgänge in den Ruhestand.

Ein Problem, das in nicht ganz so verschärfter Form auch das Handwerk kennt. In den nächsten zehn Jahren suchen rund 4.000 Handwerksbetriebe in der Region einen Nachfolger, weil der jetzige Inhaber aus Altersgründen in den Ruhestand geht. Und in vielen Fällen gibt es keinen Nachfolger in der Familie. “Das wird eins unserer Hauptarbeitsgebiete in den nächsten Jahren werden”, sagt Schröter. Denn da werden mutige Leute gesucht, die nachrücken. Oder einsteigen und übernehmen.

Und: “Die Belegschaften sind in den letzten 23 Jahren gemeinsam mit uns um 23 Jahre älter geworden.” Sagt Scheler, selbst Inhaber eines erfolgreichen Handwerksbetriebes. Heißt aber auch: Im Leipziger Handwerk werden in den nächsten Jahren um die 40.000 neue Leute gebraucht. Das ist mit Lehrlingsnachwuchs allein nicht abzudecken. Deswegen sei man auch – so Schröter – intensiv mit Arbeitsagentur und Jobcenter in Gesprächen, um ältere Arbeitssuchende eventuell wieder fit zu machen für den Wechsel ins Handwerk. “Aber so viel Reserve ist da nicht wirklich mehr”, sagt Schröter.Ein anderes Problem wächst an der Energie-Front. Insbesondere die steigenden Preise für Sprit und Heizenergie haben auch im letzten Jahr die Beschaffungs- und Herstellungskosten in 76 Prozent der Leipziger Handwerksbetriebe steigen lassen. Nur rund 28 Prozent haben die gestiegenen Preise an die Kundschaft weitergeben können.

“Das kann man natürlich auch nicht ewig machen”, sagt Scheler, “und die gestiegenen Beschaffungspreise vom Gewinn abziehen. Das überlebt man nicht.” Was logischerweise heißt, dass die Verkaufspreise im Handwerk spürbar steigen werden in nächster Zeit. Was auch möglich ist, wenn die Kapazitäten so ausgelastet sind.

Nicht überall gleichermaßen. Dem Bau- und Ausbaugewerbe geht’s aktuell gut. Das profitiert derzeit vom Wunsch vieler Hausbesitzer, ihren Besitz zu sanieren, möglichst auch noch energetisch auf Vordermann zu bringen. Die meisten Aufträge kommen derzeit von Privatleuten, die Aufträge der Kommunen sind seit Auslaufen des Konjunkturpakets II rückläufig.

Das Auslaufen des Konjunkturpakets I bekommen derzeit die Kfz-Dienstleister heftig zu spüren. Denn die massenhafte Neuanschaffung von sparsamen Autos macht sich jetzt in der Auftragslage der freien Werkstätten bemerkbar: Wenn diese neuen Autos mal in die Werkstatt müssen, dann in der Regel in die Vertragswerkstatt der entsprechenden Marke – da gilt meist die fünfjährige Garantiebindung. Auch die Einführung der Umweltzone hat viele Autobesitzer gezwungen, sich ein neues Fahrzeug zuzulegen. So dass die Betriebe aus dem Kfz-Bereich derzeit mit recht gemischten Gefühlen in die Zukunft schauen.

Gemischte Gefühle hat auch das verarbeitende Handwerk, das in der Regel als Dienstleister oder Zulieferer an die exportorientierten Unternehmen des Automobil- und Maschinenbaus angebunden ist. Und dort scheinen sich die Aussichten derzeit einzutrüben. Die Finanzkrisen in Griechenland und Spanien haben erste Auswirkungen auf die Exportaussichten der Unternehmen – eine dunkle Wolke am Horizont, die auch in der Umfrage zu diesem Segment sichtbar wird.

Ein anderes Thema, das auch beim Ostdeutschen Energieforum eine Rolle spielen wird, das am 10. und 11. Mai auf der Neuen Messe stattfinden wird, ist die Energiefrage. “Auch wir waren an der Vorbereitung beteiligt”, betont Scheler. Weist aber darauf hin, dass etliche energiepolitische Entscheidungen der Regierung dem Handwerk mittlerweile schwer im Magen liegen. Denn überall dort, wo die Bundesregierung so forsch drauflos gekürzt hat, sind auch Handwerksbetriebe involviert.

Ralf Scheler: “Die Betriebe investieren vorrangig in Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz. Doch die Politik entlastet energieintensive Großunternehmen bei EEG-Umlage und Netznutzungsentgelten und wälzt die Kosten des Netzausbaus auf die kleinen und mittleren Betriebe und Privathaushalte ab. So kann man die Energiewende nicht bewältigen. Die energetische Gebäudesanierung muss steuerlich gefördert werden. Eine weitere Verzögerung verhindert Investitionen zur Steigerung der Energieeffizienz.”

Er fordert Verlässlichkeit ein und eine nachvollziehbare Strategie in der Energiewende. “Das seh ich derzeit nicht”, sagt er.

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