Wünsche sind etwas für den Weihnachtsmann. Und gelbe Westen bringt der eh nicht. Die kommen vermutlich auch nicht an, weil bei Amazon mal wieder gestreikt wird. Also versuchen wir es etwas philosophischer. Und zitieren erst einmal den Barden Reinhard Mey …

Ich glaube, ich lerne
Erst hier aus der Ferne,
Die Welt und mich selber versteh‘n.
So vieles wird klarer,
So viel offenbarer,
Im richtigen Abstand geseh‘n.

Knapp 3.000 Kilometer liegen zwischen unserem aktuellen Ab – und Zu- Wohnort und der – durchaus im Frust – verlassenen Heimatstadt. Genervt von einem Wachstum, das mehr oder weniger auf unvorbereitete Strukturen und Entscheidungsträger trifft. Genervt von einer Verkehrs-, Stadt- und Bauplanung, die mehr durch groß Hüte als durch große Ideen auffällt.

Hier an der portugiesischen Westalgarve tobt das Leben leiser, Entschleunigung ist angesagt. Nicht als neuer Hipster-Trend, sondern – und das ist mehr als ein Klischee – aufgrund der sogenannten „Saudade“-Mentalität, umschrieben als sanfte Melancholie. Dazu kommt, die in Deutschland so oft eingeforderten Werte sind hier einfach überlebenswichtig. Denn nur mit Solidarität und Zusammenhalt kann man in einem Land überleben, in dem das frische (wir würden Bio sagen) Gemüse für Pfennige angeboten wird, der Benzinpreis aber fast deutsches Niveau erreicht und ein Lehrergehalt kaum zum Leben reicht.

Gelassenheit als Lebensgrundlage, Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft als uneigennützige Selbstverständlichkeit. Das schärft den Blick fürs Wesentliche und Existenzielle.

Aus der Ferne sieht man vieles klarer, der Lokalpatriotismus schrumpft ein wenig. Es wird einem klar, das Schlimme ist gar nicht so schlimm – nein, es wird so schnell keinen Faschismus geben – und das Gute ist gar nicht so gut – nein, Leipzig ist lange nicht so anders, wie es gerne vor sich herträgt.

Dazu fehlt vielleicht der Mut?

Den wünsche ich mir künftig von den Entscheidungsträgern. Für eine großzügige und dauerhafte Förderung der freien Kulturszene, die ja nicht unwesentlich zur Stahlkraft beiträgt. Für einen Schutz der Kreativen vor Immobilienspekulanten und Gentrifizierern. Für eine grüne Verkehrspolitik, die echten Umweltschutz verspricht.

Für eine aktive und konsequente Politik gegen den Rechtsruck, die weniger die böse, böse Antifa verdammt, sondern dafür sorgt, dass mehr als die üblichen Verdächtigen den Arsch hochkriegen, wenn es gilt, auf der Straße Haltung zu zeigen. Dann braucht‘s auch keine gelben Westen.

Nun habe ich mir doch was gewünscht, ich Idealist!

Zur Reihe „Wenn Leipziger träumen“: Wie schon im Jahr 2017 und manchen Jahren zuvor, sind sie wieder unter uns – die Leipziger Träumer. Mal visionär oder fragend, mal ganz nah bei sich haben Menschen ihre Wünsche und Träume frei von redaktionellem Eingriff unsererseits aufgeschrieben. Für die Stadt in der sie leben, für sich und für alle Leser der L-IZ.de und der Leipziger Zeitung. Ein unverstellter Blick auch auf die, die im Alltag oft eher leisere Stimmen als haben oder bekanntere Namen, die sich zur Abwechslung mal ganz persönlich äußern wollen.

Dabei ist es logisch, dass jeder der bereits 2017 und in den folgenden Tagen auf der L-IZ.de veröffentlichten Träumer durch Beruf, das persönliche Umfeld und eigene Erlebnisse verschiedene Ansätze bei der Beantwortung der Frage nach einem besseren Miteinander, wichtigen Vorhaben und einer gemeinsamen Zukunft in unserer Gesellschaft haben muss. Vor allem aber: viele voller Hoffnung auf ein besseres Miteinander in unserer Stadt.

Alle Träume, welche bereits veröffentlicht sind, finden Sie unter dem Tag l-iz.de/tag/traeume.

Wenn Leipziger träumen: „ … wenigstens eine halbe Stunde für ihre Kinder am Tag“

Wenn Leipziger träumen: „ … wenigstens eine halbe Stunde für ihre Kinder am Tag“

 

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