Der Prenzlauer Berg ist eine Legende. Hier brodelte der Berliner Widerstand gegen den DDR-Staatsapparat, hier waren die unangepassten Künstler zu Haus, hier lebte das ganze bunte Völkchen, das den alten Arbeiterwohnbezirk zu einem Tummelplatz der Avantgarde machte. Bis der Herbst 1989 und die Öffnung der Grenze am 9. November 1989 - justament im Prenzlauer Berg - alles veränderten. Es war der Grenzübergang an der Bornholmer Straße, wo tausende Berliner die Grenzpolizisten in Nöte brachten.

Natürlich lohnt sich ein Ausflug in diesen besonderen Berliner Kiez immer. Auch wenn längst nicht mehr alles so ist, wie es die begnadeten Fotografen der DDR-Zeit in Schwarz-Weiß festgehalten hatten. Wenn ein Stadtteil einen Ruf hat, wird er auch für Investoren attraktiv. Dann kommt die Sanierungswelle in Gang und es wird aufgeräumt. Und es ist im Prenzlauer Berg genauso wie im restlichen Berlin: Dann kommen jene, die sich das tolle Flair leisten können, mit höheren Mieten zu bezahlen. Und die ehemaligen Bewohner müssen weichen. Berlin hat für dieses Problem genauso wenig eine Lösung wie Leipzig. Denn es ist ja erst einmal nichts Unerwünschtes, was man bekommt: junge Bewohner, die auch wieder Kinder in den Kiez bringen und noch dazu mehr Kaufkraft haben, was dann wieder den Läden und Kneipen und Kultureinrichtungen zugute kommt.

Im Jahr 2013 ist der Prenzlauer Berg fast komplett saniert. Den Thälmann-Park, der nach 1990 weggerissen werden sollte, gibt es immer noch. Den Mauerpark auch. In der Gethsemanekirche, die einst Zentrum des friedlichen Widerstands war, geht es nicht mehr ganz so rebellisch zu. Natürlich erinnert Vieles an Leipzig. Es sind ganz ähnliche Entwicklungsphasen, die beide urbanen Räume durchmachen. Alte Industriearchitekturen suchen nach einer neuen Nutzung. Clevere Unternehmer ziehen ihre Projekte auf.Auch der Prenzlauer Berg hat sein Stadtbad – es befindet sich in der Oderberger Straße. Es hat seine legendären Friedhöfe und Berühmtheiten. Und es hat gleich zwei Museen, die sich mit der Geschichte des Stadtteils beschäftigen. Für Marika Bent ist das Museum “Zimmermeister Brunzel” das spannendere – eine original erhaltene Wohnung von vor 100 Jahren, als sich in so einer Wohnung oft bis zu 20 Familienmitglieder drängten. Das vergessen heutige Leipziger Stadtplaner auch gern, wenn sie daran erinnern, dass Leipzig ja mal über 700.000 Einwohner hatte. Damals lebte man in den Berliner und den Leipziger Arbeitervierteln um ein Vielfaches beengter als es heute üblich ist.

Und auch in Berlin begannen weiterblickende Architekten wie Bruno Taut sich intensiv Gedanken zu machen über ein modernes, gesünderes Wohnen. Wofür heute zum Beispiel die Wohnstadt “Carl Legien” steht. Aber da und dort erinnert so manches auch daran, dass der Prenzlauer Berg noch im frühen 19. Jahrhundert vor allem Ackerland und Ausflugsgebiet im Norden Berlins war. Der Prater – 1837 eröffnet – ist Berlins ältester Biergarten und ist “wieder so belebt wie eh und je”. Und nicht nur Erich Honecker und Genossen rasten dereinst die Schönhauser als Protokollstrecke entlang. Noch viel früher – 1825 – gründete Simon Kremser hier die erste öffentliche Pferdeomnibuslinie Berlins. Mit dem “Kremser” fuhren die Berliner also raus ins “Jriene”, auf den Prenzlauer Berg, der tatsächlich auf einem Berg liegt. Der Berg ist eine Endmoräne. Oben drauf steht der Wasserturm.

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Prenzlauer Berg
Marika Bent, Lehmstedt Verlag 2013, 4,95 Euro

Mit Marika Bent lernt man den Prenzlauer Berg in 36 Stationen kennen – vom Senefelder Platz (man erfährt dabei natürlich auch, wer Alois Senefelder war) bis zum ehemaligen Kreditwarenhaus Jonaß & Co., wo die SED einst ihr Zentralkomitee sitzen hatte und wo heute das “Soho-Haus” als exklusiver Privatklub residiert. Im Klappeinband gibt es dann wieder die Karte mit den eingezeichneten Stationen – an die man sich halten kann oder auch nicht. Das Schöne an diesen Ein-Tages-Stadtführern ist, dass man sie einfach in die Jackentasche stecken kann und dann je nach Lust und Laune und Witterung entscheiden kann, was man aus dem Tag macht. Ob man von 1 zu 8 – vom Senefelder Platz zum Kollwitzplatz springt oder gleich zur 10 radelt, zur Kulturbrauerei. Oder ob man einfach irgendwo hängen bleibt in einem der Straßencafés. Wo man dann auch die kleine Chronik kurz durchliest und so nebenbei bemerkt: Eigentlich müsste ja die Hochbahn in der Schönhauser in diesem Jahr schon bunt geflaggt sein. Sie ist jetzt 100 Jahre alt.

Aktuelles vom Prenzlauer Berg: www.prenzlauerberg-nachrichten.de

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