Ja, was ist es nun, was der LTM und die Initiative "Do it at Leipzig" da aufgelegt haben als "Verborgenes Leipzig"? Das Durchblättern zeigt schnell: Eigentlich ist es kein Stadtführer. Keiner, wie man ihn klassisch versteht. Eher das, was man inzwischen als Guide kennt: Shopping-Guide, Event-Guide, Erlebnis-Guide.

Eine Zwischenform im Pocket-Format. Reich bebildert. Es sind die Fotografien von Tom Schulze aus 60 “verborgenen” Orten der Stadt, die dem 140-Seiten-Paket sein Flair geben. Diese Fotos bilden den Hintergrund für kleine, fünfzeilige Texte, die launig auf die Besonderheit des Ortes hinweisen. Hinter der Bilderstrecke folgt dann das Adressverzeichnis. Alles in vier Kapitel geordnet, die Leipzig in seine Himmelsrichtungen teilen. Jeder Tipp hat eine Nummer, die man auf kleinen Karten wiederfindet.

In gewisser Weise ist es wirklich das verborgene Leipzig – wenn auch nicht das den Leipziger verborgene. Wer in seinem Stadtteil unterwegs ist, kennt diese kleinen Besonderheiten, denn sie machen den Ort zu etwa Unvergleichlichem – und zwar nicht immer erst seit gestern. Der Historische Straßenbahnhof in Möckern, der Schlosspark Lützschena und die Parkeisenbahn etwa gehören seit Jahrzehnten zu den Attraktionen des Nordens.

Anderes – wie das Café Fleischerei in der Jahnallee, Chocolaterie und Restaurant Drogerie – sind jüngeren Datums. Viele der 143 gesammelten Tipps zeigen, mit welcher Kreativität Leipziger immer wieder neue Geschäftsideen entwickeln – und darunter immer wieder auch solche, die tatsächlich passen, die binnen kurzer Zeit nicht mehr wegzudenken sind aus dem Ortsteil. Das geht oft so schnell, dass Straßen, die eben noch “angesagt” waren, in diesem Pocket-Guide schon gar nicht mehr auftauchen.

Manchmal auch einfach, weil sie zu nah an der City liegen, die von vielen Leipziger Nachtschwärmern schon als viel zu überlaufen angesehen wird. Wie lang oder kurz ist es her, dass das Barfußgässchen sich als neue Kneipenmeile etablierte und Leipziger Innenstadtwirte den Drallewatsch aus der Taufe hoben? Heute eigentlich kein Grund mehr, es überhaupt noch zu erwähnen. Hier ist in Sommernächten kaum noch ein Platz zu finden, weil auch Geschäftsleute, Touristen und viele Ausflügler aus Leipzigs Umgebung hier das Flair der Großstadt genießen.
Deswegen war ein Anliegen dieser Broschüre auch: raus aus der City. Richtig raus. Deswegen kommt auch die etwas neuere Kneipenmeile, die Gottschedstraße nicht mehr drin vor. Ebenso überlaufen mittlerweile wie das Barfußgässchen.

Natürlich kann so ein Ratgeber für Leipzig-Besucher immer nur eine Auswahl sein. Mit ganz knappen Informationen, Anreiserouten, da und dort ein paar Worte zu Flair, Attraktion, Stil. Ob man das Szene nennt – geschenkt. Das Durchblättern zeigt: Es ist eigentlich für fast alle Alter und Geschmäcker etwas dabei. Was nicht stattfindet: Klassik und teure Cuisine. Das, was man in der Regel in der City findet.

Hier geht es wirklich in das Leben in den lebendigen Stadtteilen. Von der multikulturellen Eisenbahnstraße bis zur bunten Karl-Heine-Straße, vom versteckten Geyserhaus bis zum UT Connewitz. Vieles, was sich hier wiederfindet, hat in den letzten Jahren die aufmerksame Begleitung der Medien gehabt, weil eben nicht nur die Macher an diesem Projekt hängen, sondern auch ein großes Interesse der Stadtgemeinde, das sich auf diese kleinen bunten Leuchttürme immer mitgefreut hat – das Westwerk und und den Westflügel genauso wie auf Handwerkerhof und Pöge-Haus. Oft sind es unermüdliche Vereine und Initiativen, die sich hier seit Jahren einbringen. Manchmal mit Unterstützung der Stadt, oft genug ohne. Deswegen sieht mancher Stadtteil noch ein wenig durchlöchert aus. Andere haben die Autoren des Heftes nicht mit unterbekommen – und man vermisst sie wohl zu recht wie die Georg-Schwarz-Straße oder die Könneritzstraße.

In gewisser Weise ist dieser Tipp-Geber auch ein kultureller Ausflug-Ratgeber in die verschiedenen Phasen Leipziger Stadtteilentwicklung, die sich mittlerweile überlagern. Von den Pionieren der 1990er Jahre – Südvorstadt und Connewitz (das sich wohl deutlich unterrepräsentiert fühlen wird) über die Pioniere der 2000er Jahre wie Plagwitz und Karl-Heine-Kanal bis zu den ersten Keimen dessen, was die 2010er Jahre zum Leben erwecken. Immer sind es junge Leute mit pfiffigen Ideen, die sich gesagt haben: Das musst du jetzt mal ausprobieren, das passt. Und irgendwann gehören die Namen ihrer Galerien, Läden und gastronomischen Einrichtungen zum Unverzichtbaren. Sie geben einer zuvor farblosen Straße ein Gesicht.

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Darunter sind mittlerweile auch viele Farbtupfer aus aller Welt. Umso erstaunter ist man ja über einige Diskussionen aus neuerer Zeit, bei denen sich “Bürgerinitiativen” und Politiker zu Wort gemeldet haben, die aus einem Leipzig von vor 80 Jahren zu stammen scheinen. Als hätten sie die letzten 25 Jahre gründlich verpennt. Was ein anderes Erstaunen mit sich bringt: Warum ist dieses hier in 143 Tipps zusammen gefasste Leipzig ein “verborgenes”? Wird nicht andersherum ein Schuh draus? Denn dieses bunte, lebendige Leipzig ist unübersehbar. Anders als dieses seltsame Leipzig, das sich da aus dem wirklich Verborgenen zu Wort meldete und gegen Asylbewerberheime und Moscheen mobilisierte.

Auch so kann Wahrnehmung auf dem Kopf stehen.

Und man versteht das Bedürfnis der Kongressteilnehmer, für die die Broschüre in erster Linie gedacht ist, dieses lebendige Leipzig abseits der von Touristen überlaufenen City zu entdecken, das Leipzig, wie es die (jungen) Leipziger aufregend finden. Da und dort auch über die Stadtgrenze hinaus gehüpft – wie bei Beucha, Bistumshöhe und Bergbautechnik-Park.

Irgendwie ist es ein kleiner Szene-Guide fürs Leipziger Nacht- und Freizeitleben, der versucht, Leipzig aus junger Perspektive zu beschreiben. Nicht alles erfassend, da und dort sicher von Vorlieben geprägt. Aber das gehört bei der entstandenen Fülle wohl dazu.

LTM (Hrsg.) “Verborgenes Leipzig. Tipps abseits bekannter Wege”, Leipzig 2014, 6 Euro Schutzgebühr.

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www.verborgenes-leipzig.de

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