Sachsen könnte ein modernes Land sein. Im Grunde weiß man es auch in den politischen Kabinetten, dass der wertvollste Rohstoff der Gegenwart Bildung ist. Kreative kluge Köpfe werden in der Kindheit geprägt. Und das beginnt früh. Auch das wissen Sachsens Politiker. Sie handeln nur nicht danach. Und so ist frühkindliche Bildung eher eine Frage von klammen Kommunalkassen, von Elternengagement oder von Omis, die nicht still daheim sitzen wollen. Wie Oma Brigitte.

Brigitte Ettmann ist so eine echte Leipziger Omi, die sich noch “nützlich machen” wollte, wie das hierzulande heißt. Als sie gefragt wurde, ob sie mal ehrenamtlich jede Woche ein bisschen aushelfen könne im Kindergarten – beim Essen, An-und Ausziehen – sagte sie zu. Und wer so regelmäßig mithilft, der merkt so nebenbei, dass auch in engagierten Kindergärten so manches Kind ein klein bisschen unterfordert ist. Die Jahre vor der Schule sind Jahre der Neugier, des Ausprobierens und Austestens. Kindererzieherinnen wissen das. Deswegen gibt es in fast allen Kindergärten auch kleine Werkstätten, Bau- und Bastelangebote. Manchmal stehen die Handarbeitskisten in der Kammer. Die Erzieherinnen kommen gar nicht dazu, sie bei ihrer Rasselbande einzusetzen.

Und Oma Brigitte dachte sich so: Wenn schon ein Koffer mit Wolle und Nadeln und Spannrahmen da ist, kann ich das Mädchen, das sich da so schrecklich zu langweilen scheint, ja mal fragen. Vielleicht will sie ja Knüpfen, Knüppern, Sticken, Nähen, Weben. All diese Dinge, die man mit Stoff und Wolle so machen kann. Im Buch erzählt Brigitte Ettmann das Ganze, das dann schnell eine Eigendynamik entwickelt. Denn nicht nur das eine Mädchen war hellauf begeistert, auch andere Kinder fanden das auf einmal auch mächtig spannend, wollten es selbst ausprobieren. Die Sache war ansteckend, denn die Geduld, dieses aufregende Arbeiten mit voller Konzentration, wurde belohnt. Die Kinder erlebten, wie unter ihren Händen witzige Ideen Gestalt annahmen. Manchmal verzweifelten sie auch, denn Techniken lernen ist ja nicht ganz einfach. Schulärzte wissen das und vermelden jedes Jahr hohe Zahlen von Kindern, deren Feinmotorik zum Schuleintritt grottenschlecht ist.
Feinmotorik muss man trainieren. Nicht mit Joystick oder Fernbedienung. Basteln und Malen sind ein gutes Training. Und der Umgang mit bunter Wolle, mit Webrahmen und Strickliesel erst recht. Was Brigitte Ettmann schnell merkte, war, wie sehr dieses Lernenwollen und Ausprobieren auch den Ehrgeiz der Kinder wachmacht. Sie wollen das können. Hier sitzt noch keine Meute von Mitschülern, die aus trister Erfahrung heraus ruft: “Streber!” Hier ist die Tür zum Ausprobieren noch ganz weit aufgestoßen. Selbst Jungen sitzen mit “Oma Brigitte” am Tisch, knüppern Bommeln und Schnüre, weben und sticken.

Der Stolz, wenn das Arbeitsstück fertig ist, ist unübersehbar. In ihrem Buch hat Brigitte Ettmann nun die Erfahrungen aus sechs Jahren “Handarbeitsspaß” im Kindergarten zusammengefasst, erzählt von ihrer Rolle als geduldige Helferin, von der Phantasie der Kinder, die ihr Arbeitsmaterial ja selbst bestimmen können, und von der Steigerung der Schwierigkeitsgrade, die von den Kindern so kurz vorm Schuleintritt geradezu gefordert wird.

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Es ist also nicht nur ein Buch über “Handarbeiten im Kindergarten”. Denn die selben Regeln gelten ja auch zu Hause. Dass viele Kinder so große Probleme mit der Feinmotorik haben, liegt auch daran, dass sie zu selten mit ihren eigenen Händen etwas schaffen. Vielleicht fehlt vielen auch die Oma daheim und die Eltern haben nicht die Zeit und nicht die Geduld, sich so intensiv mit den kleinen Schöpfern zu beschäftigen. Das Buch verrät ihnen, wie sie damit umgehen können. Da lohnt es sich auch, auf den Kauf all des teuren Fertig-Spielzeugs zu verzichten, mit dem die Kinder am Ende doch nichts “machen” können – außer es zu zerstören. Da lohnt die Investition in ein paar Wollknäuel, in feste Schnüre, ein bisschen Stoff, Nadeln, Scheren, Strickliesel. Vieles kann man sogar – aus Ästen oder Pappkartons – selber basteln – Webrahmen zu Beispiel. Was die Kinder alles lernen beim Selbermachen, das erzählt Brigitte Ettmann recht ausführlich.

An jedes einzelne Arbeitsgerät fährt sie die Kinder geduldig heran, stellt ihnen Aufgaben, die – zwar mit Geduld – aber leicht zu bewerkstelligen sind. Das Wichtigste ist der sichtbar werdende Erfolg. Er zeigt der kleinen Handwerkerin, dem kleinen Handwerker, wie ein zielgerichtetes Tun tatsächlich zu einem sichtbaren Ergebnis führt. Es geht nicht Husch-husch und Jetzt-sofort-gleich. Auch das muss man ja erst einmal lernen, wenn ringsum alle Welt schreit: “Der Wunsch wird sofort erfüllt!”

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Handarbeitsspaß mit Kindern
Brigitte Ettmann, Buchverlag für die Frau 2014, 12,90 Euro

Das ganze Abenteuer auf dem Weg dahin, bis die Bommel, das Webbild, das Häschenkissen fertig sind, die fehlen ja, wenn alles “gleich” fertig ist. Jedes ihrer einzelnen Projekte erläutert Brigitte Ettmann, erklärt, wie man das Material zusammenbekommt, welche Geräte man braucht und dann natürlich, wie es gemacht wird. Mit großen Bildern und vielen kleinen Tipps. Tipps übrigens auch zum Umgang mit den kleinen ungeduldigen Künstlern. Die wollen zwar gern alles alleine machen, freuen sich aber, wenn sie dabei ein klein bisschen begleitet werden. Gemeinsamer Erfolg ist auch ein Erfolg. Und die Erwachsenen, die den Kleinen bei ihrem emsigen Arbeiten zuschauen, lernen auch noch was über den Einfallsreichtum der Kinder, denn deren Phantasie ist unerschöpflich, wenn es um den Umgang mit Farben geht. Und das Schöne dabei: Es ist immer spielerisch. Fast wie nebenbei entwickeln selbst Kinder eine Feinmotorik, denen der Schularzt vorher reines Ungeschick attestieren musste. Es ist wie so oft: Man muss es einfach tun. Bloß vom Zugucken wird keiner schlau.

Und selbst für sonst so gestresste Eltern ist das Handarbeiten mit Kindern gewiss eine Chance, nicht nur mal “aus dem Laufrad” rauszukommen, sondern auch mit ihren Kindern gemeinsam etwas zu tun. Das Plaudern dabei kommt von ganz allein.

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