Er war eher ein Außenseiter in der DDR-Literatur. Kein Dissident, auch keiner, der seine Bücher lieber im Westen veröffentlichte. Lieber legte sich Eberhard Hilscher mit Lektoren und Kritikern an, die mit seinen eigenwilligen Romanen und Geschichten nichts anfangen wollten. Nicht nur, weil sie nicht in den verordneten Kanon des richtigen Schreibens im gut verwalteten Staat passten, sondern auch, weil sie Ansprüche stellten. Und dabei in literarischen Traditionen standen, die aus der Parteizentrale mit argwöhnischen Augen betrachtet wurden. Moderne Literaturströmungen waren dort ein Graus. Aber die Funktionäre konnten es nicht verhindern.
Denn auch in der DDR gab es immer ein utopisches Moment. Man wollte ja ein modernes Land sein, Anschluss halten an die Spitze der technologischen Entwicklung. Und wenn es nicht gelang, dann war natürlich immer irgendwer anders schuld. Aber mit der Idee dieses immerfort verheißenen Fortschritts spielten dann etliche Autoren nur zu gern und mit Lust. Das satirische Moment lag ja quasi gleich daneben.
Und zur satirischen Kritik am vorgefundene Ländchen und seinen doch eher simplen Bewohnern eignete sich dieser Stoff sowieso. Und auch Eberhard Hilscher (1927–2005) nutzte diese Form der Welt-Beschreibung – manchmal ein bisschen fantastisch, manchmal ein bisschen grotesk. Auch wenn diese Geschichten dann nicht mehr in der DDR erschienen.
1993 war die Sammlung von 22 Erzählungen eigentlich komplett. Aber dann wurden sie doch kein Buch, sondern landeten mit dem Nachlass des 2005 verstorbenen Autors in der Handschriften-Abteilung der Staatsbibliothek in Berlin.
15 aus 22
Der Literaturwissenschaftler Volker Oesterreich hat 15 davon für diesen Band ausgewählt, der nun auch den Kurzgeschichtenerzähler Eberhard Hilscher etwas bekannter macht, der mit dem Literaturbetrieb nicht nur im Osten haderte. Stammt die früheste Geschichte aus dem Jahr 1961 und reflektiert auf humoristische Weise auch noch die Zeit des Mauerbaus, so stammen die jüngsten Geschichten aus dem Jahr 1993. Zum Beispiel „Superstar oder Anleitung zum Schreiben eines Reißers“.
In der man genau diese Anleitung natürlich nicht findet. Denn die Massenproduktion gut verkäuflicher Reißer war Hilscher ebenso ein Graus wie die geforderte Parteilinie zuvor.
Ein gewisses Hadern mit den Lesern steckt natürlich auch darin. Denn wenn die Verlage mit Reißern ihre guten Geschäfte machen, dann heißt das ja auch, dass die meisten Leser sich mit Fastfood zufriedengeben und all die Mühe für anspruchsvolle Romane, in denen Autoren auch noch mit neuen Stilen experimentieren, für die Katz ist. Damit wird auch ein Ulrich Hergt nicht berühmt und nicht reich. Sondern muss sich von seinem Verleger am Kaminfeuer erklären lasen, wie wichtig er für den Verlag ist. Aber er sollte wohl doch mal andere Bücher schreiben.
Kritik und Bitterfeld
Gerade in seinen Kurzerzählungen hat Hilscher sein Hadern mit der literarischen Welt in Worte gefasst. Was echte traumatische Begegnungen nicht ausschließt, wie er sie in „Trunkener Schmock und Liederabend“ zeichnet, in der es eigentlich um einen Germanistenkongress auf einer alten Burg im Rheinland geht. Aber dass so ein Mittelalter-Kongress auch selbstgefällige Herren beinhaltet, die sich dann hochnäsig über „blöde Ossis“ mokieren, es überrascht nur, wenn man alle Märchen glaubt. Man hat auch das fast vergessen.
Wie fühlt sich da die Mittelalter-Expertin aus dem Osten, die so abgekanzelt wird? Eine Geschichte wie aus dem Leben. Der Hochmut lebt noch heute. Das Vorwurfs-Vokabular auch. Ein kleines Kabinettstück, das zeigt, dass die deutsch-deutsche Einheit immer an deutscher Borniertheit scheiterte. Daran hat sich nichts geändert.
Hilschers Geschichten sind zeitlos. Auch all jene, die vor 1990 entstanden. Weil auch sie die Enge im Denken und Handeln der Menschen zum Thema machen. Das Kleinliche im gepriesenen Land der Dichter und Denker, die sich immer mehr dünkten, als sie wirklich waren.
Ihnen lässt er traumhafte Dinge geschehen, lässt die Geister aus dem Bücherregal lebendig werden, lässt sie im Traum immer jünger werden, wie Dagobert Schaetzel aus der ersten Geschichte „Im freien Fall zwischen Ende und Anfang“ oder einen Rezensionapparat bauen, der den Sprachmulch von wissenschaftlich daherkommenden Kritiken automatisiert und damit so erfolgreich ist, dass dem Erbauer die Rezensionen geradezu aus den Händen gerissen werden.
Geschrieben nicht ganz zufällig im Jahr 1961, als der Bitterfelder Weg schon eingeleitet war und sich die Kritiker im Ländchen längst schon bemühten, ihre Kritiken mit scheinwissenschaftlichem Vokabular anzureichern, das ihre hingeschriebene Meinung in den Rang unumstößlicher Expertise erhob. Wissenschaftlich verbrämte Abstrafungen, die längst schon vorausahnen ließen, mit welch rabiater Geste vier Jahre später das 11. Plenum des ZK der SED durch Literatur und Filmschaffen fegen würde.
Ferro, Olberich und Hottibaal
Wer keine Tomaten auf den Augen hatte, sah diese immer neue inszenierte Bevormundung. Noch deutlicher wurde Hilscher in der 1991 geschriebene Geschichte „Gedächtnisprotokolle eines Diktaturspielers“, in der sich ein Diktator namens Ferro (in dem man durchaus Stalin erkennen darf) einen Doppelgänger zulegt, der ihn vertreten soll, wenn es mal gefährlich wird oder er mal keine Lust hat.
Aber was, wenn der Doppelgänger die Macht übernimmt und der Doppelgänger des Doppelgängers? Die Geschichte liest sich – wie kann es sein – erstaunlich gegenwärtig. Das Dilemma der Diktatoren bleibt wohl für immer: Wie sichern sie sich ihre Macht, wenn diese nur auf der Angst ihrer Untergebenen beruht? Und wie überleben sie dabei?
In „Wand an Wand mit einem Mörder“ thematisiert Hilscher 1978/1990 das von Ängsten durchsetzte Leben im Überwachungsstaat. Und lässt mit Olberich auch einen einst allgegenwärtigen Staatsratsvorsitzenden herumgeistern. Und auch dessen Nachfolger kommt in „Hottibaals Verewigung“ nicht besser weg, eine Geschichte, die Hilscher tatsächlich 1989 schrieb und mit dem markanten Datum 7. 10. 1989 versah.
Und in „Dichter im Visier“ zeichnet er im Grunde ein wenig sein eigenes Schicksal als Autor, verwandelt sich in Linus Horand, dessen „intellektuelle, symbolische, ja ‚hermetische‘ Darstellungsweise“ die Kritiker beklagen. Allein die Vokabel „Ästhetizismus“ konnte im sozialistischen Kanon bedeuten, dass ein Autor in Grund und Boden verdammt wurde. Nur dass dieser Linus Horand sich auch nach der vollzogenen Einheit nicht ändern mag. Die neue Literatur-Welt ist ihm so unheimlich wie die alte. Er mag nicht „wie ein jodelnder Zirkusclown durch die Lande tingeln, schnöseligen Redakteuren die Hände küssen, um Aufträge betteln und sich mokant abkanzeln lassen“.
Literatur als Eulenspiegelei
Aber das alles erzählt Hilscher nicht vorwurfsvoll, sondern mit einer unbändigen Liebe zu plastischen Bildern, fantasievollen Wortfügungen, der reinen Lust am Erzählen. Immer mit dem Schalk im Nacken. Ein Augenzwinkern für die Leser, die ihm dabei genießend folgen können, egal, wie verrückt die Geschichte dann wird, die er erzählt. Aber darauf kann er vertrauen. Es ist im Grunde die alte Nähe von Autor und Leser, die einige der schönsten Satiren in der DDR-Literatur hervorgebracht hat.
Die Wirklichkeit in fantastische Verkleidungen stecken, überdrehen und überzeichnen, und schon stehen die Zensoren ratlos da. Denn da versagt ihr Wortgebimmel der „wissenschaftlichen“ Ver- und Beurteilung. Da wird Literatur zur Eulenspiegelei. Und gewinnt jene Leichtigkeit, die in der Leser tatsächlich die eigentliche „Unbeschwertheit des Seins“ wiederfinden, die Freude am Erzählen und Ausfabulieren.
Auch wenn es ein Spagat ist, ein Widerspruch letztlich, den auch Hilscher nicht auflösen kann. Denn er ist ja wie sein Hergt – er kann sich nicht aufraffen, dem Markt zu geben, was dort verlangt wird. In „Superstar oder Anleitung zum Schreiben eines Reißers“, lässt er den Verleger ein paar wahre, aber auch kalte Worte sagen, die für den armen Hergt die Sache auf den Punkt bringen: „Um Himmels willen! Wer soll das lesen? Beruhen rhetorische Wirkung und Werbung nicht seit alters her auf der Magie des Papperlapapp und der gebetsmühlenartigen Wiederkehr? (…) Ei ja, der zeitgenössische Mensch erwartet von der Belletristik hübsche Freizeitthemen zum Freizeitspaß.“
Sprachspiel und Sprachwitz
Möglicherweise – so deutet Hilscher an – wird sich sein Hergt „bald zum Psychothriller entschließen“. Oder wählt er auch weitehin die „unbeugsame wertschaffende Einsamkeit“? Hilscher arbeitete lieber weiter an der Fortsetzung seines 1983 erschienen Romans „Die Weltzeituhr“, der dann 2008 – postum – erschien: „Glücksspieler und Spielverderber.“
So wird man zwar nicht reich und berühmt, aber das Geschriebene beschäftigt auch nach dem Tod des Autors noch Herausgeber und Leser. Bleibt lebendig und auf eine erstaunliche Weise sogar aktuell. Auch deshalb, weil seine Kurzgeschichten Beispiele dafür sind, wie man lustvoll erzählen kann, wenn man einfach mit Leserinnen und Lesern rechnet, die auch Sprachspiel und Sprachwitz lustvoll genießen können. Auch wenn die Geschichte dann meist eher endet wie fast alles, was einem im Leben so passiert – unverhofft und offen.
Wer so erzählt, braucht keine Happyends. So ist das Leben auch nicht. Eher ist es wie das Aufwachen aus einem Traum, bei dem man Ende nicht mehr weiß, wie es darin ausgegangen ist. Oder ob es überhaupt ausgegangen ist und man nicht doch in einer Schleife festhängt, aus der einen dann der experimentierfreudige Doktor wecken muss. „Vergebliche Mühe, fürchte ich. Nun haun Sie bloß ab. Tschüß.“
Jedenfalls lädt diese Auswahl ein, Hilscher nun auch als lustvollen Kurzgeschichtenerzähler zu entdecken. Ein bisschen spät. Aber vielleicht wäre das Buch, wäre es 1993 erschienen, auch einfach untergegangen im deutsch-deutschen Literaturgezänk.
Eberhard Hilscher, „Rendezvous der Träumer, Narren und Verliebten“ Flur Verlag, Heidelberg 2025, 24 Euro.
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