Mit seinen Romanen hat er schon Bestsellerlisten erobert. Seine Kurzgeschichte erschienen bislang vor allem in diversen Magazinen. Und manchmal schreibt er auch für die L-IZ. Für die Edition Outbird hat David Gray jetzt seine Kurzgeschichten aus den vergangenen Jahren in einem Band gesammelt. Aber es sollte nicht einfach ein Sammelsurium werden. Denn ihm ist nur zu bewusst, dass die verschiedenen Genres der Kurzgeschichte auch mit klassischen Filmgenres verwandt sind. Und genau so hat er die kurzen Geschichten in diesem Band auch sortiert.

Von Fantasy, Thriller und Melodram bis Western, Dark-Comedy und Filmessay. Wobei es eigentlich fünf Filmessays sind. Und wirklich friedlich geht es darin auch nicht zu. Die dunkle Seite des menschlichen Miteinanders ist seine Spezialität. Was da auf der Leinwand zu sehen war in den vergangenen 100 Jahren, spiegelt ja auch nur das Abgründige in den Köpfen der Menschen.

Vielleicht aller. Aber wenn man sich heute umschaut bei all den Triumphgesängen rabiater Patriarchen, die glauben, sie müssten die Welt einfach nur mit Härte und Grausamkeit in Angst und Schrecken versetzen und würden alle Eingeschüchterten würden dann nach ihrer Pfeife tanzten, dann kommen einem all die dunklen Filmgenres gar nicht mehr so abwegig vor.

Dann erkennt man die Logik von Zynismus, Narzissmus, gekränkten Männerphantasien und gnadenlosen Moralaposteln (wie in der Western-Story „Boot Hill“). Als hätte David Gray lauter bitterböse Kommentare zur Gegenwart schreiben wollen. Dabei sind einige Storys schon Jahre alt. Nur: Das, was sie thematisieren, war längst da, verwüstete die westlichen Gesellschaften, suchte nach Aufmerksamkeit und der Gelegenheit, alles niederzutrampeln, was in den Jahrzehnten friedlichen Aufschwungs an menschlichen Freiheiten entstanden ist.

Die Helden der westlichen Welt

Logisch, dass die Typen, die Gray auftreten lässt, wie Wiedergänger aus dem 19. Jahrhundert wirken. Nur dass wir wissen: Sie leben noch heute unter uns. Sie schaffen sich Raum und versammeln jubelnde Anhänger um sich. Vielleicht ist es auch eine Rache der modernen Unterhaltungsmaschine, die von Anfang an auch immer den kriminellen Outlaw gefeiert hat, Verbrecher, Mörder, korrupte Aufsteiger zu ihren Helden gemacht hat. Und damit eben auch zu Helden der westlichen Welt.

Hätte keine Western-Story ins Buch gefunden – man hätte sie vermisst. Aber auch die anderen Geschichten sind ein Blick in eine Gesellschaft, die ihre Korruption nur zu gern hinter Kulissen verbirgt. Aber Korruption bedeutet auch Macht und Verführung. Und so wird eben auch fleißig gemordet. Manchmal aus Rache, manchmal auch, um den Fängen des Bösen zu entkommen.

Denn wenn es kein verlässliches Recht mehr gibt, hilft nur noch die Gegenwehr. Auch wenn es die Heldinnen – wie in „Tee für Mrs. Stapleton“ – eher aus heiterem Himmel dazu bringt, einen zündenden Schluss zu setzen. Diese Story bedient das Genre „Dark Comedy“. Nur dass es auch ein wenig den Slapstick berührt, wenn die Heldin immer wieder daran gehindert wird, ihre Tat zu gestehen. Denn vorher war sie auch so naiv, gar nicht mehr zu bemerken, was ihr Ehegemahl da eigentlich alles trieb, wenn er das Haus verließ und sie ihm als brave Hausfrau den Haushalt besorgte.

Willkommen in der Gegenwart, wo die Altgestrigen ja genau mit diesen Rollenbildern wieder hausieren gehen und verängstigte Frauen dem auch noch auf den Leim gehen. Auch das thematisieren ja diese kleinen, scheinbar nur gut ausgedachten Geschichten: Wie verhängnisvoll die alten patriarchalischen Bilder von Mann und Frau sind. Wie sie aus lebendigen Menschen platte Rollen machen.

Aber wehe, eine fällt mal aus der Rolle und stört die starren Einbildungen der Männer. Nur dass David Gray eben eher ein Faible für kluge, selbstbewusste Frauen hat, die die – späte – Rache wie in „Damenwahl“ eben selbst in die Hand nehmen. Und zwar gründlich und gut durchdacht. Weil die Johns dieser Welt ihre Übergriffigkeiten ja nur zu gern vergessen und dann den biederen Ehemann spielen und den braven Mitbürger, der scheinbar kein Wässerchen trüben kann.

Die Abgründe des Alltags

Wenn sie nur wüssten, welchen Stoff sie den Autoren von Horror und Crime bieten. Eben auch, weil sie das in der Realität ja auch tun – nur dass sie dort meistens nicht belangt werden, wenn Polizisten und Richter genau so verbohrte Vertreter einer verstaubten Moral sind. Einer Moral freilich, die unsere Gesellschaft noch immer durchdringt. Denn diese Männer drängen genau in diese Machtpositionen. Macht über Andere – das ist der Honig, der sie anzieht. Und sie auch in ihren trauten Heimen zu Tyrannen werden lässt. Gern in der Maske des Biedermannes.

Aber Gray greift teilweise auch ganz tief in die Geschichte, lässt sogar Marquis de Sade in der Geschichte „Herzragout“ im Jahr 1797 persönlich auftreten. Das freilich ist auch eine Geschichte, die den alten und falschen Glauben konterkariert, dass man Mördern ansieht, dass sie Mörder sind. Denn das Böse hat oft genug eher ein unschuldig aussehendes, glattes Gesicht. Das mussten auch Polizisten erst lernen. Die Monster sehen meist gar nicht wie Monster aus, sondern laufen mit Unschuldsmiene durch die Welt und predigen anderen auch noch Sitte und Anstand.

Die Geister aus Vergangenheit und Gegenwart

Und dass das alles eben nicht nur Kopfgeburten sind, wird im Essay „Umarmung der Barbaren“ deutlich, in dem Gray in fünf Teilen auch eigene biografische Rückblenden mit einbaut. Denn wer wie er die vergangenen 50 Jahre zumeist in Leipzig erlebt hat, weiß, dass auch die ganz normale Wirklichkeit voller Abgründe, Risse und dünnen Stellen war, durch die das Finstere in den Alltag treten konnte. Und manchmal auch trat. Die Wiedergänger der Baseballschlägerjahre tauchen darin genauso auf wie die „Milch der Kanzlerstagnation“, eine Formel, mit der man die bleiernen 1990er Jahre auch beschreiben kann.

Da müsste er gar nicht die brennenden Asylbewerberheime, PEGIDA und das „Hasi-Video“ erwähnen, um den Schrecken eines Ostens ins Bild zu bannen, in dem die finsteren Kräfte schon seit Jahren aktiv sind, den so schwer errungenen Frieden zu stören und das Land in Entsetzen zu stürzen.

Das Entsetzen ist durchaus gegenwärtig. Gray benennt es auch. Und macht so am Ende deutlich, dass der künstlerisch verarbeitete Horror eben auch von der realen Angst lebt, die die finsteren Gestalten der Gegenwart sogar ganz bewusst schüren. Denn daraus gewinnen sie ja ihre „Macht“ – durch Einschüchterung, Lärm, brutale Übergriffe. Und das ist eben leider alles noch da.

Oder eben wieder, weil die Profiteure der Angst von den Krisen der Gegenwart ebenfalls profitieren. Und Grays kurze Geschichten leuchten ja ein bisschen in diese Mechanismen der Angstmache hinein. Meist freilich mit einem guten Ende, weil die „Guten“ irgendwie doch das letzte Wort haben. Oder den Fängen der gekauften Handlanger entkommen können.

Lesestoff für alle, die gern mal ein paar unruhige Nächte genießen wollen. Oder die es beruhigt zu wissen, dass die Autoren sich schon seit langer Zeit sehr kenntnisreich mit den Abgründen unserer Mitmenschen beschäftigt haben. Ein gutes Mittel gegen die Wirklichkeitsverleugnung. Das Böse ist immer noch da. Und es ist gut, sich davon nicht einschüchtern zu lassen, sondern gegenzuhalten, wenn es wieder seine Zähne fletscht.

David Gray „Umarmung der Barbaren“ Edition Outbird, Gera 2025, 15 Euro.

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