Macht ist verführerisch. Und zieht deshalb vor allem Typen an, die man für gewöhnlich nicht in seine Wohnung lassen würde. Typen, die geradezu dazu neigen, diese Macht zu missbrauchen. Auch das macht Geschichte so unlogisch, oft genug apokalyptisch. Im Jahr 1946 veröffentlichte der bekannte SF-Autor Aldous Huxley einen Essay, in dem er sich – noch unter dem Eindruck des gerade überstandenen Krieges – Gedanken machte über die Männer, die es zur Macht drängt. Und über die Bereitwilligkeit von Wissenschaftlern, ihnen dann auch noch die technischen Mittel zur Umsetzung ihrer wilden Träume zur Verfügung zu stellen.
„Science, Liberty and Peace“ nannte Aldous Huxley seinen Essay. Das ist nicht ganz so zündend wie der vom Hanser-Verlag gewählte Titel „Zeit der Oligarchen“. Um die Oligarchen unserer Gegenwart – schwerreiche Männer, die mit ihren oft rabiat zusammengerafften Vermögen massiven Einfluss auf die Politik nehmen, geht es eigentlich nicht. Auch wenn der Keim zu dieser Übergriffigkeit auch 1946 schon gelegt war.
Den Begriff Oligarchie benutzt Huxley erst ganz zum Schluss selbst, wenn er – auf die Rolle von Wissenschaftlern und Technikern bezogen – fragt: „Oder werden sie, wie in der Vergangenheit so häufig geschehen, zu den wissentlichen und unwissentlichen Werkzeugen von Militaristen, Imperialisten und einer herrschenden Oligarchie der Bosse von Staat und Wirtschaft?“
Eine berechtige Frage. Die auch mit Huxleys Erschrecken über den völlig sinnfreien Einsatz der Atombombe in Hiroshima und Nagasaki zu tun hat. Und seiner Verstörung darüber, wie sich hochkarätige Wissenschaftler überhaupt für das Manhattan-Projekt hatten hergeben können.
Krieg und technologischer Fortschritt
In seinem Essay plädiert Huxley für eine internationale Selbstverpflichtung der Wissenschaftler, sich für solche tödlichen Forschungen nicht mehr einspannen zu lassen. Und für eine Art Weltregierung, die das würde kontrollieren können.
Denn ein Ergebnis des Zweiten Weltkriegs war ja auch die Gründung der UNO, die die Rolle so einer Art gemeinsamer Weltregierung hätte einnehmen können – wäre sie nicht selbst zum Spielball der Herren in Nadelstreifen geworden, die hier ihre machtpolitischen Spielchen spielen und das internationale Gremium als Friedensstifter quasi lahmlegen.
Weshalb eigentlich ganz andere Aspekte aus Huxleys Essay heute aufhorchen lassen. Denn er dachte über die bloße Existenz der Atombombe hinaus, sah die Rolle der Militärtechnik insgesamt in den Allmachtsträumen der modernen Nationen. Von diesen waffenstarrenden und egoistischen Nationen hielt er überhaupt nichts. „Technischer Fortschritt schafft den Krieg nicht ab, er verändert ihn nur“, schrieb er.
„Im Falle der Atombombe ist es gut denkbar, dass es keine Verteidigung gibt. Die Mentalität sämtlicher Nationen – die Mentalität, die ansonsten vernünftige Erwachsene einnehmen, wenn sie in der internationalen Politik wichtige Entscheidungen treffen – ist die eines vierzehnjährigen Straftäters: hinterhältig und kindisch, bösartig und einfältig, manisch egoistisch, überempfindlich und gierig – und gleichzeitig lächerlich angeberhaft und eitel.“
Zu starker Tobak? Aber Huxley beschreibt ein Phänomen, das uns heute wieder nur zu vertraut ist: „Solange es um nichts geht, dürfen sich die Erwachsenen, die die Politik des Landes beherrschen, nach den Regeln dieses sonderbaren Spiels wie Erwachsene verhalten. Doch kaum stehen wichtige wirtschaftliche Interessen oder das Ansehen des Landes auf dem Spiel, verschwindet der erwachsene Dr. Jekyll und an seine Stelle tritt Mr. Hyde mit den ethischen Maßstäben eines Boy Gangsters …“
Die verlockendste aller Lüste
Aber Huxley zeigt nicht nur auf „die da oben“. Er weiß, dass dieser Delinquent „in jedem von uns lauert“. Wobei er einen Aspekt nicht auslässt, der auch damals schon in der Politik der westlichen Staaten zu beobachten war: Dass Politiker und Wirtschaftsbosse nur zu gern gemeinsame Geschäfte machten und die Bosse der Konzerne alle Möglichkeiten nutzten, um mit ihrer wirtschaftlichen und finanziellen Macht Einfluss auf politische Entscheidungen zu bekommen.
Und dazu eignet sich der zentralistische Staat am besten. Beiden – den „starken Männern“ in der Politik – und den Wirtschaftsbossen – geht es um Macht. Um ungeteilte, absolute Macht. Und haben sie erst einmal davon gekostet, wachsen ihre Gelüste ins Unermessliche: „Die Machtgier wächst mit jeder Befriedigung dieser verlockendsten und verderblichsten aller Lüste. Gegen die Versuchung des Machtmissbrauchs gibt es keinen Schutz außer der Heiligkeit.“
Und da nur „wenige Heilige Interesse an der Macht haben, verlangt schon der gesunde Menschenverstand, dass die Macht, über die Einzelpersonen oder Organisationen verfügen, streng begrenzt werden muss …“
Durch Gewaltenteilung. Anders geht es nicht. Genau das, was Autokraten und Oligarchen mit enthemmter Wucht angreifen, weil es ihre Macht nun einmal begrenzt. Und damit eben auch verhindert, dass sie einfach wieder die Militärmaschine anwerfen, um ihre Interessen gegen Andere mit Gewalt durchzusetzen.
Denn wenn sie auch nur glauben, die bessere militärische Technologie zu besitzen, kennen sie keine Skrupel mehr, die Flotten loszuschicken. Und Huxley war es nur zu bewusst, wie eng die Entwicklung immer verheerenderer militärischer Technologien nicht nur mit der Profitgier diverser Aktionäre zu tun hat, sondern auch mit der Unfähigkeit regierender Politiker, tatsächlich verlässliche Friedenssysteme zu bauen.
Rohstoffe, Einfluss und Absatzmärkte
So stellt er auch die gar nicht so abwegige Frage, was eigentlich passiert, wenn damals noch rückständige Länder wie China und Indien denselben Weg beschreiten wie Japan und technologisch und wirtschaftlich ihren Platz am Tisch beanspruchen. Reagieren die Männer in den westlichen Ländern dann wieder mit den alten kriegerischen Reflexen? Erst recht, wenn es um Rohstoffe und Absatzmärkte geht, also die Dinge, nach denen es den Oligarchen gelüstet, die keinerlei Skrupel kennen, ihre Interessen in die Regierungsgeschäfte hineinzutragen.
Die Stärke des Essays liegt weniger in der vorgeschlagenen Lösung, Wissenschaftler und Techniker eine Art Gelöbnis wie die Ärzte sprechen zu lassen, sich nicht den „zerstörerischen Kräften der Welt“ anzudienen. Wie soll das funktionieren? Jeder Autokrat hat bislang noch die Wissenschaftler gefunden, die für ihn Raketen und Atombomben konstruieren.
Die Stärke liegt im Grunde in Huxleys kritischem Blick auf die Rolle von Nationen und die auch damals schon enge Verquickung der „Bosse von Staat und Wirtschaft“, die Wissenschaftler und Techniker zu ihren Werkzeugen machen. Denn sie verfügen ja auch über das Geld, sprich: Kapital. Und so steht am Ende eigentlich die Frage, wie man diese Allianzen einhegen kann.
Allianzen, die dem Wahlvolk nur zu gern unter dem Label „die Wirtschaft will“, „die Wirtschaft fordert“ verkauft werden. Als würden hinter den in den Lobbys vorgebrachten Sonderwünschen der Bosse nicht eigentlich pure Eigeninteressen und simple Profitgier stecken. Aber kein Interesse daran, dass der Staat für alle funktioniert und in den Regierungsbüros tatsächlich vernünftige Politik für alle und im Interesse aller gemacht wird.
Big Business und irrationale Politik
Huxleys schreibt es einfach so hin, als wäre es längst normal, dass Oligarchen mit am Regierungstisch sitzen. Ist es aber nicht. Und so spricht Huxleys Essay in gewisser Weise auch von einer Ratlosigkeit im Angesicht seiner eigenen Gegenwart und den vor aller Augen rasant gewachsenen Militärtechnologien. Und es geht auch nicht nur um immer wirkungsvollere Waffen für das Militär.
Die Bosse der übermächtigen Konzerne nutzen ihren gewaltigen Einfluss auch, um eine ganze Reihe von Technologien, die ihr Business stören, zu verhindern. Schon zu seiner Zeit sah Huxley, wie der Krieg um die Ölvorräte der Erde – insbesondere im Nahen Osten – künftig die Politik der Staaten bestimmen würde. Während gleichzeitig längst an Techniken geforscht wurde, die Energie aus Sonne und Wind nutzbar zu machen.
Mit Huxleys Blick verändert sich auf einmal auch das, was wir in den vergangenen Jahren als Geschichte erlebt haben. Und es wird das Irrationale daran sichtbarer, das Affektive, als wären Nationen tatsächlich nur 14-jährige Kleinkriminelle, die auf Pfiff übereinander herfallen, wenn es um Rohstoffe und nationale Eitelkeiten geht.
Eigentlich Zeit zum Erwachsenwerden, könnte man meinen. Aber irgendwie ist auch 80 Jahre später alles beim Alten. Außer dass es noch bessere Technologien gibt, mit denen man Kriege führen und das Volk verblöden kann, professionell vermarktet und den Leute angedreht wie ein Heilsversprechen für die Zukunft. In der dann doch wieder fette alte Männer am Steuer sitzen und die gewonnene Macht als simples Mittel betrachten, sich selbst nach Strich und Faden zu bereichern.
Aldous Huxley„Zeit der Oligarchen“ Hanser Verlag, München 2025, 14 Euro.
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