Es hätte ein spannender Essay werden können. Einer, der sich letztlich mit der Frage hätte beschäftigen können, wie sich unsere politische Vorstellung von rechts und links in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat. Und was das mit Verschiebungen im politischen Spektrum zu tun hat. Na ja – und auch mit medialen Vereinfachungen. Das stimmt schon. Aber sie würden nicht funktionieren, wenn die Zuschauer und Leser nicht eine Vorstellung davon hätten, was jeweils mit rechts und links gemeint ist.
Es geht um sprachliche Eindeutigkeiten. Und natürlich ein uraltes Orientierungsmuster, das tief in der menschlichen Selbstwahrnehmung verwurzelt ist. Einem Muster, dem der Würzburger Historiker Peter Hoeres auf den ersten 150 Seiten dieses Essays nachspürt.
Denn ein Rechts-Links-Schema in Bezug auf den eigenen Körper, auf Kult und Weltorientierung kennen praktisch alle Kulturen. Es hat direkt mit unseren körperlichen Befindlichkeiten zu tun und mit einer Bevorzugung der rechten Seite. Die meisten Menschen sind Rechtshänder. Die rechte Seite wird mit Stärke und Gottesnähe assoziiert. Aber auch mit Macht und Männlichkeit.
Das wieder korrespondiert mit Begriffen wie Recht, Gerechtigkeit, richtig und rechtschaffen. Bis in die Sprache hinein also zeigt sich dieses Urmuster, das dementsprechend die linke Seite nicht nur eher dem Weiblichen zuordnet, sondern auch mit eher negativen Eigenschaften in Verbindung bringt. Von linkisch bis hin zu link selbst als Abwertung: linkes Ding, linker Mensch.
Links, rechts, Mitte
Das ist alles noch da, stellt Hoeres fest. Wenn auch eher auf tieferen emotionalen Ebenen. Denn seit der Französischen Revolution gibt es eben auch die politische Rechts-links-Orientierung, die seinerzeit mit der Platzierung der Fraktionen in der Nationalversammlung zu tun hatte – die Königstreuen ganz rechts, die Republikaner ganz links. Ein Schema, das sich seither in praktisch allen Demokratien durchsetzte. Die Konservativen ganz rechts, die Progressiven ganz links. Und in der Mitte dann die Parteien, die sich selbst irgendwie als Mitte definieren. Was immer das heißt.
Dazu kamen dann die politischen Verschiebungen der letzten 200 Jahre. Royalisten gibt es in den Parlamenten quasi nicht mehr, konservative Parteien aber trotzdem noch. Solche, die den status quo bewahren wollen, und solche, die gern wieder in frühere gesellschaftliche Zustände zurückwollen. Da wird dann aus dem Konservativen das Reaktionäre. Ein Wort, das Hoeres nicht benutzt. Was verblüfft.
Aber es zeigt, dass die Diskussion nicht so einfach läuft, wie es sich Hoeres im letzten Teil seines Essays macht. Denn so wie das rechte Spektrum in den Parlamenten changiert und sich auch zersplittert, so geht es auch dem linken Spektrum, wo dereinst die Republikaner und Nationalisten saßen und heute eher die Sozialisten, Grünen und Sozialdemokraten zu finden sind.
Der Begriff dafür, den Hoeres ebenfalls meidet, wäre: die Progressiven. Parteien also, die die Gesellschaft verbessern wollen. Fortschrittsparteien könnte man auch sagen.
Gefühle und Moral
Und da landet man dann in den landläufigen Vorstellungen der Wählerinnen und Wähler, was sie jeweils als konservativ, reaktionär oder progressiv empfinden. Immer gekoppelt mit der ganz ursprünglichen Rechts-links-Orientierung, die in jedem Menschen steckt: Was wird als rechtmäßig und richtig begriffen und was als falsch und verstörend?
Und wer die Wahlkämpfe der letzten Jahre auch gefühlsmäßig verfolgt hat, weiß, was für eine moralische Wucht das entfalten kann, wenn jedes Ansinnen auf Veränderung als verwerflich und inakzeptabel gebrandmarkt wird. Vor allem von rechts und ganz rechts.
Es ist kein Wunder, dass die Wähler durcheinander kommen und aus lauter Verzweiflung Parteien wählen, die ihnen letztlich überhaupt nicht guttun. Aber der Wunsch, das Richtige zu wählen, sitzt tief. Politische Entscheidungen sind ohne diese tiefe Eingebundenheit in unser moralisches Selbstverständnis nicht denkbar.
„Warum war die Rechts-links-Orientierung überall, in ganz unterschiedlichen Kulturen und Kontexten so erfolgreich?“, fragt Peter Hoeres. „Raum-Metaphern sind essenziell für das menschliche Denken und überall zu finden. Die dualistische Ordnung ist dabei erstens grundsätzlich einfach, verständlich und strukturgebend, was auch für die Polaritäten oben und unten, innen und außen gilt, abstrakter für männlich und weiblich oder Gut und Böse.“
Genau das projizieren wir nun einmal auch auf die Politik und ihre Spieler. Wahlkämpfe rühren an das ganz Grundlegende. Und an unsere Sehnsucht nach simplen Orientierungen. Rechts und links, gut und böse.
Waren die Nazis links?
Dass das in der Politik dann ganz und gar nicht so eindeutig ist, reißt Hoeres zumindest an und diskutiert es dann am Beispiel der Nationalsozialisten recht ausführlich. Denn bis heute hält ja unter einigen Historikern und manchen Politikern die Diskussion an, ob die Nazis denn nicht eigentlich links einzuordnen wären.
Sie nannten sich doch sogar selbst nationale Sozialisten. Und dazu kommt dann auch noch der Versuch nationalsozialistischer Großdenker, in der faschistischen Bewegung die alte Links-rechts-Spaltung der Gesellschaft aufgehoben zu sehen. Eine Bewegung also, die das ganze Volk unter einer Klammer versammelt.
Eine ziemlich irre Diskussion, die sich oft an Begriffen festmacht, die von den Propagandisten der nationalsozialistischen Bewegung meist ganz bewusst verdreht wurden. Aber natürlich steht der deutsche Faschismus auch für die Widersprüche, die sich ergeben, wenn ein Land technisch auf Innovation setzt, gesellschaftlich aber auf Rückschritt und Entrechtung von Minderheiten, Frauen und Andersdenkenden.
Aber in der Politik zählt nun einmal zuallererst der Umgang mit den Menschen. Weshalb man Menschenrechte, Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit eben eher nicht im rechten Spektrum verortet, sondern im linken. Daran hat sich seit der Französischen Revolution nichts geändert.
Geändert haben sich Parteienfarben und politische Schwerpunkte, die Selbstverortung einzelner Parteien und unser Umgang mit den Begriffen rechts und links in der Politik. Wobei den meisten Wählern gefühlsmäßig recht klar sein dürfte, wie sich die Parteien da einordnen.
Und dass es dabei nicht nur um rechts und links und Mitte geht, sondern einige politische Strömungen eben auch zur Radikalisierung neigen. Weshalb es nicht nur ein Begriff für Verfassungsschützer ist, wenn von Radikalismus gesprochen wird. Oder – da, wo es staats- und demokratiegefährdend wird – von Extremismus.
Alle gegen rechts?
Und da beginnt der Kampf um Begriffe. Denn wenn die Demokratiegefährdung festgestellt wird, werden Parteien eben nicht nur zu Beobachtungsobjekten für den Verfassungsschutz, sie geraten auch in die Gefahr, ein Verbotsverfahren über sich ergehen lassen zu müssen.
Nur bleibt die Frage: Was verstehen heutige Wählerinnen und Wähler tatsächlich unter rechts und links? Welche Partei ordnen sie wirklich wo ein? Da dürfte es spannend werden, wenn Demoskopen die Leute tatsächlich einmal dazu befragen würden. Denn spätestens da dürfte klar werden, dass die Einordnung von Parteien ins Links-rechts-Spektrum direkt von der eigenen Positionierung abhängt. Und damit eben auch die Einschätzung, was als radikal oder gar extrem eingeschätzt wird.
Das wäre die Diskussion, die sich an die grundlegenden Ausführungen in Essay anschließen müsste, aber das tut Hoeres leider nicht. Er weicht aus, lässt seinen Essay im Kapitel „Der ‚Kampf gegen Rechts‘“ geradezu in eine Polemik abkippen. Eine Polemik, die er mit einer steilen These beginnt, die er aber nicht untermauert.
Das klingt dann so: „Dementsprechend wird überall undifferenziert das Feindbild ‚Rechts‘ und ‚Rechte‘ entdeckt, und das hat längst Einzug in staatliche und öffentlich-rechtliche Anstalten gehalten, wo man jede sprachliche Zurückhaltung und Präzision aufgegeben hat.“
Autsch. Das tut weh.
Nur eines stimmt daran: Dass sich die Diskussion um Rechtsextremismus und Rechtsradikalismus in der öffentlichen Debatte oft genug auf das Schlagwort „rechts“ verknappt. Aber kein Mensch würde bei „Rock gegen Rechts“ meinen, damit wäre ein Rockkonzert gegen CDU oder CSU gemeint, also die Parteien, die sich eher als Mitte-Rechts im parlamentarischen Spektrum verorten. Jeder assoziiert damit ein Konzert gegen rechtsextremistische Umtriebe und Gewalttaten.
Was meint man, wenn man rechts sagt?
Aber Hoeres geht noch weiter. „Der ‚Kampf gegen Rechts‘ droht in der Konsequenz, zu einer Zerstörung der bürgerlichen Freiheit zu führen. (…) Der Zug ins Totalitäre wird daran deutlich, dass auch vor dem Privatleben nicht haltgemacht wird. Im Zuge einer umfassenden Politisierung der Lebenswelt gibt es keine Privatsphäre, keine Privatsache mehr, wo man in einem Rückzugsraum politische Gegensätze ausblenden und einander menschlich begegnen könne.“
Noch einmal: Autsch.
Es stimmt einfach nicht. Auch wenn es Hoeres als Lehrstuhlinhaber für Neueste Geschichte und damit als eine teilweise öffentlich präsente Person so empfinden mag und Studierende durchaus gnadenlos sein können, wenn sie verquere Äußerungen mancher Professoren öffentlich anprangern.
Aber es macht einen Unterschied, ob Positionen als konservativ markiert werden oder als „rechts“ im Sinne von homophob, ausländerfeindlich, demokratieverachtend. Und da ist man dann bei der schwammigen Konturierung des Begriffes „rechts“.
Hoeres meint: „Die Ausgrenzung der rechten Seite des politischen Spektrums trifft also auch Personen, die nur Beziehungen oder Kontakte zu dieser pflegen und nur vage mit ‘rechts’ assoziiert werden.“
Nicht wirklich. Wer Mitglied einer als „gesichert rechtsextrem“ eingestuften Partei ist, ist nun einmal „rechts“ und akzeptiert und toleriert wenigstens rechtsextreme Einstellungen. Daran ist nichts zu beschönigen. Aber zu diskutieren. Natürlich. Soll man diese Leute ausgrenzen oder freundschaftlich umarmen? Oder in der Nutzung von Begriffen noch genauer werden?
Oder ist der Sprachgebrauch um Worte wie Rechts, Rechte und Rechtsparteien längst so eingeschliffen, dass man dabei tatsächlich jedes Mal rechtsextreme Politiker, Parteien und ihre Mitläufer meint?
Eine verschobene Debatte
Es geht um Sprache und um Genauigkeit. Und natürlich um die Debatte darum, welche politischen Positionen innerhalb der Demokratie auszuhalten sind und welche nicht. Und damit eben auch eine längst sichtbare Verschiebung der Debatte, in der immer mehr radikale Inhalte sich in den gesellschaftlichen Mainstream verschieben. Stichwort: Overton-Fenster.
Was dann den Anschein ergibt, als wären zuvor noch als extrem und inakzeptabel eingeschätzte Äußerungen jetzt auf einmal normal, also ganz gewöhnliche „rechte“ Meinungsäußerungen. So wie der üble Begriff „Remigation“ etwa.
Aber es stimmt: Wir müssen uns alle vergewissern, welches politische Spektrum wir für unsere Demokratie für akzeptabel halten. Und welches nicht. Was nicht funktioniert, ist die letztlich von Hoeres vorgebrachte Forderung: „Wie man es dreht und wendet, eine Befriedigung der politischen Kultur und des Zusammenlebens kann nur gelingen, wenn die Ächtung von ‘rechts’ zu einem Ende kommt und diese Option wieder Eingang in die deskriptive und analytische Sprache findet. Nur dann kann den Richtungsbezeichnungen ‚rechts‘ und ‚links‘ auch wieder eine echte Orientierungsfunktion zukommen ohne diffamierende Konnotation.“
Jeder Linguist wird wohl bestätigen, dass des genau so nicht funktioniert. Und dass beide Bezeichnungen – rechts wie links – gerade deshalb ihre Funktion haben, weil sie den politischen Akteuren klare Wertungen zuschreiben. Genau daraus ergibt sich ja die Orientierungsfunktion. Die man aus guten Gründen auch nicht verwaschen sollte.
Peter Hoeres „Rechts und links“ zu Klampen Verlag, Springe 2025, 24 Euro.
Empfohlen auf LZ
So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:














Keine Kommentare bisher