Mit Lügen kann man Geld verdienen. Richtig viel Geld. Und das passiert auch, obgleich es die Meisten gar nicht sehen wollen. Denn genau davon leben nicht nur die digitalen Kommunikationsplattformen, sondern auch das, was den Leichtgläubigen heute als „Künstliche Intelligenz“ angedreht wird. Und die Politik hat ganz offensichtlich nicht den Mumm, dieser systematischen Zerstörung von Kommunikation und Gemeinsinn irgendetwas entgegenzusetzen. Man könnte schon was tun, stellt Josef Krieg in diesem Essay fest. Aber wer macht’s?

Denn um aktiv zu werden, müssen auch Politiker erst einmal begreifen, was die von amerikanischen Konzernen betriebenen Plattformen und das Trojanische Pferd KI eigentlich anrichten – mit der Kommunikation, der Demokratie, der Verständigungsbasis, ohne die Menschen nicht miteinander auskommen können.

Und in seiner Analyse des gegenwärtigen Zustands unserer Mediengesellschaft ist Josef Krieg – der einige Jahre seines Lebens auch als politischer Referent gearbeitet hat – sehr deutlich. Viel deutlicher als andere Kritiker einer Medienlandschaft, in der Wahrheit und Fakten systematisch unter die Räder kommen, weil man mit Lügen und Fakenews mehr Aufregung und mehr Profite generieren kann.

Die Zerstörung unserer demokratischen Diskussion ist kein Zufall, sondern Absicht. Denn wer den Diskurs zerstört, gewinnt Macht und Einfluss. Da wird Josef Krieg gleich zum Start in seinem Essay sehr deutlich: „Die Plattformen infiltrieren unablässig die tragenden Strukturen unserer Gegenwart. Sie verstärken Ideologien, Narrative und gesellschaftliche Programme – verschaltet mit Kapital und politischer Macht.

Sie formen Geist und Körper, Technik und Sprache, Öffentlichkeit und Intimität in einem Anti-Wahrheitssystem, mithilfe von Künstlicher Intelligenz verschmelzen Wahrheit und Wirklichkeit noch mehr – der Mensch wird neu codiert und kontrolliert.“

Wenn Lügen den Platz für sich allein haben

Und Krieg benennt deutlicher als andere, dass hinter dieser Okkupation der Gehirne System steckt, dass das alles kein Zufall ist, sondern genau so gewollt. Denn wer die Gehirne beherrscht, steuert die Gesellschaft nach seinen eigenen Absichten, zerstört nicht nur die wichtige Rolle der klassischen Medien, sondern untergräbt auch die Demokratie.

Denn worauf können sich Menschen noch einigen, wenn ihnen die allgegenwärtigen Plattformen permanent neue Lügen, Verdrehungen und Verfälschungen unterjubeln, die Wahrnehmung der Realität verzerren und den Eindruck vermitteln, Wahrheit sei eine reine Behauptung?

„Wir können wir noch erkennen, ob das, was wir sehen, hören oder lesen, echt ist?“, fragt Krieg. Mit der Verfügbarkeit dieser Werkzeuge verwischt die Grenze zwischen Realität und Fälschung. Fotos, Videos, selbst schriftliche Quellen und all das, was früher als Beweis galt, ist manipulierbar geworden. Die klassische Beweislast kehrt sich um. Nicht der Lügner steht unter Druck, sondern der, der Wahrheit behauptet.“

Sein Essay sprüht geradezu vor Zorn auf die zunehmende Allgegenwart der Lügner und ihrer immer stärkeren Rolle bis in die Politik hinein. Lüge ist nichts mehr, wofür sich aufgeblasene Politiker schämen. Im Gegenteil: Sie lügen umso ungehemmter drauflos, je mehr sie damit Aufmerksamkeit und Widerhall bekommen.

Und die Leute, die die Lüge zum Werkzeug ihrer Politik gemacht haben, wissen auch eines: Am besten wirkt ihre Show, wenn sie dabei gleichzeitig den Leuten mit allen möglichen Themen Angst einjagen.

Sie haben eines begriffen, wie Krieg feststellt: „Angst wirkt schneller als Vernunft. Angst ist eine der wirkungsvollsten Methoden, um Kontrolle auszuüben, Verhalten zu steuern und Märkte zu beeinflussen. Sie ist irrational, unmittelbarer als rationale Überlegungen und erzeugt eine Dringlichkeit, die Menschen empfänglicher für einfache Lösungen macht.“

Politik machen mit Ängsten

So bringt man Politik ins Rasen, wenn man die Menschen ganz gezielt mit lauter Ängsten in Schach hält. Und indem man mit dieser Angstmache auch die zwangsläufig langsameren klassischen Medien ausschaltet, die für Recherche und Faktencheck natürlich mehr Zeit brauchen. Und einen Leser, der noch Nerven hat für einen fundierten Bericht. Zeit, die die meisten Menschen gar nicht mehr aufbringen, weil, sie längst im Sumpf der Angstmacherei gefangen sind.

Und dem kommt etwas entgegen, was Krieg die bürgerliche „Verachtung des Politischen“ nennt. Und da sieht er sehr deutliche Parallelen zum Untergang der Weimarer Republik, de auch deshalb unterging, weil die Bürger ihre Verachtung für die Politik auch in Wahlergebnissen ablieferten und dann lieber einen ehemaligen Weltkriegsgeneral zum Präsidenten wählten – Paul von Hindenburg, der den reaktionären Kräften dann den Weg direkt in die Regierung der Republik eröffnete und damit deren Untergang einleitete.

„Die bürgerliche Ablehnung des Politischen führte zur Wahl eines Greises (Hindenburg), weil man der politischen Klasse nicht traute“, schreibt Krieg. „Und überließ das Feld damit denjenigen, die das Politische nicht nur verachteten, sondern geradezu zerstören wollten. Aus dieser Kapitulation erwuchs der größte politische Zusammenbruch des zwanzigsten Jahrhunderts.“

Ein Meer aus Lärm

Was auch mit einer medialen Beförderung der politischen Verachtung zu tun hat. Einige der großen Medien in der Weimarer Republik spielten eine ganz zentrale Rolle beim Schüren dieser Verachtung. Und das hat natürlich Parallelen zu dem, was heute auf den von einigen profitbesessenen Konzernen betriebenen Plattformen passiert.

„Musste man früher Meinungen unterdrücken, genügt es heute, sie in einem Meer aus Lärm zu ertränken“, stellt Krieg fest. „Die Folge ist nicht mehr ein geregelter Streit zwischen unterschiedlichen Positionen, sondern eine Kakofonie, in der sich keiner mehr sicher ist, was noch wahr ist, was noch relevant ist und was überhaupt diskutiert werden sollte. Es geht nicht darum, alternative Sichtweisen zu präsentieren, sondern den Diskurs als solchen zu ersticken.“

Deutlicher kann man es nicht sagen.

Und die Frage, die sich Krieg natürlich stellt, ist: Wie könnte man da gegenhalten? Wer wäre dazu überhaupt in der Lage, wenn die Kaufkraft heute bei der Lüge liegt und die übermächtigen Plattformen bestimmen, was in den Köpfen der Nutzer vor sich geht? Während sie gleichzeitig die finanzielle Basis klassischer Medien zerstören oder auch in weiten Teilen schon zerstört haben.

Die Nutzer wissen es doch. Ihre Lokalzeitung ist entweder längst eingestampft worden oder vegetiert nur noch mit redaktioneller Minimalbesetzung vor sich hin. Das Erste, was die großen Plattformen platt gemacht haben, war der Lokaljournalismus. In den USA ist der Prozess längst viel weiter gediehen als in Deutschland. Aber auch hier sind längst ganze Regionen journalistisch verödet.

Weshalb einer der Vorschläge, die Krieg zur Lösung des Problems macht, eine Stärkung des Lokaljournalismus ist. Mit Gründungen neuer Lokalredaktionen überall im Land. Aber weil die großen Plattformen den Lokalzeitungen auch die Werbeumsätze entzogen haben, steht die Frage: Wie finanziert man das? Eine Idee, die schon länger diskutiert wird, ist eine Finanzierung über die Rundfunkbeiträge, so wie heute schon Lokalfernsehen und Lokalradios finanziert werden.

Digitale Klöster

Eine zweite Möglichkeit sieht Krieg bei den Kirchen, die zwar viele Mitglieder verloren haben, aber immer noch so etwas wie das Gewissen der Nation sein könnten. Wenn sie denn bereit wären, digitale Räume zu schaffen, in denen wieder Gewissen und Moral die Regeln vorgeben, die Nutzer also wieder einen friedlichen und vielleicht sogar heilsamen Ort der Kommunikation fänden, sogar so etwas wie digitale Klöster, in denen Besinnung und Aufmerksamkeit im Zentrum stehen.

Und das größtmögliche Projekt wäre natürlich eine europaweite Plattform, auf der die europäischen Staaten wieder Regeln für einen respektvollen Umgang setzen. Einige Projekte gab und gibt es ja. Aber ihnen allen fehlt einerseits die finanzielle Durchschlagskraft, um den riesigen amerikanischen (und chinesischen) Plattformen Paroli bieten zu können.

Sie müssten inzwischen auch massiv gegen die etablierten Gewohnheiten auf den großen Plattformen ankämpfen. Und sie bekommen es mit der Tatsache zu tun, dass die meisten Nutzer ihre ganzen Netzwerke auf den digitalen Plattformen haben. Wie bekommt man all diese Menschen zum Wechseln?

Alles ungeklärte Fragen, auch wenn die Vorschläge von Josef Krieg in die richtige Richtung zielen. Denn eigentlich ist längst Fakt: Wenn man den großen Lügenschleudern etwas entgegensetzen will, dann braucht das eine eigene europäische Plattform, auf der die Europäer auch die Regeln eines respektvollen Umgangs miteinander durchsetzen können.

Da stecken dann gleich noch mehr Fragen dahinter, die sich alle um den heiß umstrittenen Begriff der Meinungsfreiheit drehen, den die amerikanischen Akteure völlig anders auslegen als die Europäer. Aber wenn es keine Grenzen mehr zwischen Wahrheit und Lüge gibt, wird die Wahrnehmung der Welt zum Chaos.

Physische Wahrheitsorte

Die Menschen brauchen „physische Wahrheitsorte“, stellt Krieg fest. Eine Rolle, die klassische Medien bislang wahrnehmen konnten, bis ihnen die entfesselten Plattformen sowohl die Leser als auch die finanziellen Grundlagen entzogen.

Eine neue Plattform müsste im Grunde wieder nach journalistischen Regeln funktionieren und ein Gegengewicht sein „zu den Algorithmen der Empörung, ein digitales Bollwerk gegen die flüchtige Kraft der Desinformation“, schreibt Krieg. „Flächenhaft installiert, nicht lückenlos, aber omnipräsent genug, ließe sich so eine neue Selbstverständlichkeit etablieren: dass Wahrheit nicht verhandelbar ist, dass sie sich nicht nach Likes und Reichweiten richtet, dass sie existiert, auch wenn sie unbequem ist.“

Ein schönes Bild. Nur: Wer setzt es um? Die Frage steht. Auch wenn Krieg das Ganze in das Bild einer „Kathedrale des digitalen Zeitalters“ packt. Das wird nicht billig. Und man ahnt, dass es dabei auch um einen ökonomischen Wettbewerb geht, den Europa sich zutrauen muss, wenn es nicht zwischen den amerikanischen und chinesischen Plattformbetreibern platt gemacht werden will und durch die entfesselten Lügenwelten nicht politisch auch noch völlig lahmgelegt werden soll.

Denn das passiert ja gerade. Und bislang zeigen deutsche und europäische Politiker nicht wirklich, dass sie begriffen haben, wie die entfesselte Lüge unsere Gesellschaft systematisch aushöhlt.

Josef Krieg „Vom Wert der Lüge“ Claudius Verlag, München 2025, 22 Euro.

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