Er selbst nennt seine Texte Nachthumor-Kurzgeschichten. Auch wenn es sehr ernst darin zugeht. Zuweilen auch tรถdlich. So wie im richtigen Leben, kรถnnte man meinen, wenn Menschen die Folgen ihres Tuns nicht bedenken. Wobei der Bochumer Klaus Mรคrkert sowieso eine misstrauische Haltung zum Leben hat. So wie wohl die meisten Deutschen. Immerzu passiert einem was. Das kann nur gesetzwidrig sein.
So wie in den Jahren 2020, 2021, als ein frisch von Fledermรคusen auf Marderhunde und dann auf Menschen รผbergewechseltes Virus in beflรผgelter Eile die ganze Erde umrundete, Ski-Partys zum Albtraum machte und das Murren in deutschen Wohnzimmern aufkochen lieร รผber die unzumutbaren Allgemeinverfรผgungen der Regierung.
Eine Zeit, die Mรคrkert in der Skizze โStand der Dingeโ kurz wieder sichtbar werden lรคsst, in der es eigentlich nur um den Tod und die stilvolle Bestattung eines Hundes geht.
Es ist diese verbissene und letztlich sehr einsame Welt des deutschen Durchschnittsbรผrgers, die in Mรคrkerts Geschichten Kontur gewinnt. Da ist der Hausbesitzer, der seinen Kleinkrieg um den Froschteich des Nachbarn beginnt und dabei seine Teilzeit-Geliebte loswird. Da ist der stolze Tesla-Besitzer, der die Entfรผhrung seiner Karosse so ernst nimmt, dass er sich am Ende zum Opfer seltsamer Friedensdemonstranten macht.
Noch seltsamer ergeht es dem Detektiv, der seine Lust am Stalken mit dem Leben bezahlt. Oder dem Burschen, er aus lauter Langeweile einen Stein in den Fluss wirft und dabei einen Taucher trifft.
Wer schubst denn da?
Mรคrkert hรคtte seinen Band mit Kurzgeschichten, die in den letzten 20 Jahren entstanden sind, manche mehrfach รผberarbeitet, auch โSeltsame Fรคlle und Todesfรคlleโ nennen kรถnnen. Es sind Einblicke in eine verbissene Welt, in der Menschen von ihren eigenen Vorwรผrfen, Gewissensbissen, Unsicherheiten und Peinlichkeiten getrieben sind, sich durch ihr Leben schubsen lassen und trotzdem meinen, es seien andere, die sie schubsen wรผrden und ihnen ihr Leben und ihre Freiheit vorenthalten wรผrden.
Und die dann โ wie der Erzรคhler in โStand der Dingeโ โ die Vergangenheit verklรคren und sich die Namen lรคngst verstorbener Politiker herunterbeten in der รberzeugung, das wรคren โnoch wirkliche Volksvertreterโ gewesen.
Nie leben sie wirklich in der Gegenwart, hรคngen den Vorstellungen vergangener Jahre nach und verachten all jene, die in ihrer Gegenwart Verantwortung tragen. Ohne dass ein Impuls zu sehen ist, dass sie selbst bereit sind, Verantwortung zu รผbernehmen. Nicht mal fรผr ihr eigenes Tun. Und so ereilt sie das Schicksal dann eben vorhersehbar, aber vรถllig unerwartet. Denn sie erwarten nichts. Auรer neue Enttรคuschungen, neue Bestรคtigungen dafรผr, dass man es mit ihnen nicht gut meint.
Also ideale Gestalten fรผr Horrorgeschichten, in denen das Albtraumhafte dann tatsรคchlich einbricht in den kleinbรผrgerlichen Alltag, so wie in โKontrolle Xโ. Eine Geschichte, die in zwingender Logik mit der Botschaft endet: โWir haben die Kontrolle verloren, mit uns wird gemachtโ.
So wie sich ja nicht erst seit Corona augenscheinlich viele Bewohner dieses kleinen Plรผschlandes in Mitteleuropa fรผhlen, stรคndig voller รngste, dass etwas in ihr Leben einbrechen kรถnnte, das sie aus dem gewohnten Trott schleudern kรถnnte. Oder dass Frauen ihre kleinen, stets versteckten Skrupel ausnutzen kรถnnten, um sie regelrecht zu erpressen. So wie in โVon der Menschenwรผrdeโ, eine Geschichte, in welcher der Held nicht mal den Mut hat, einem alten Nazi im Seniorenheim sein Hitlerbuch vor die Fรผรe zu schmeiรen.
Widerstand unerwรผnscht
Natรผrlich ist auch das eine Geschichte mit so einem kleinen Hintergedanken: Ist es nicht tatsรคchlich so, dass manches in unserem schรถnen Land so organisiert ist, dass Menschen solche Akte des Widerstands nicht zeigen dรผrfen, weil sie von รmtern und Behรถrden abhรคngig sind?
Eine Frage, die in der Schwebe bleibt. Denn der Held kann mehrfach nicht โNeinโ sagen. Und erlebt dann am Ende, was er nicht erleben mรถchte.
Und auch die Helden der nachfolgenden Geschichten geraten eher in die Situationen, die sich zu Abenteuern entfalten kรถnnten. Wรคren sie denn tatsรคchlich Helden. Und nicht nur heillos รผberfordert mit Gaffen und Grรผbeln. Voller Selbstzweifel, zufrieden damit, sich nichts zu trauen, was รผber das wohlwollende Zuschauen hinausgeht. Beobachter ihrer selbst und des Lebens der anderen.
Und auch der Bursche in โDas Ding hat Augen 2.0โ ist eher einer, der mit sich machen lรคsst, auch wenn Bungee-Jumping nicht so sein Ding ist. Auch dieses Abenteuer geht anders aus, als zuvor gedacht. Klaus Mรคrkert zeigt hier seinen Sinn fรผr den schwarzen Humor. Der sowieso in Deutschland sein Zuhause hat โ dazu braucht man nur den tรคglichen Nachrichtensalat zu lesen.
Dass am Ende ein Arzt, der รผber Leben und Tod entscheiden muss, vor Gericht landet, weil selbst eine sinnvolle Entscheidung in Deutschland zum Klagefall werden kann, ist so abwegig nicht. Mรคrkert spielt es in einem Kurzdrama โEnde offenโ durch.
Ein Land im Kontrollzwang
Und man merkt eigentlich, dass es nicht nur um Dr. Fuchs geht, sondern um immer mehr solche sinnlosen Prozesse, in denen scheinbar die Verantwortung der Angeklagten im Mittelpunkt steht, aber eigentlich zwei vรถllig andere Dinge. Zum einen die Unfรคhigkeit der Klagenden, mit den Schicksalsschlรคgen des Lebens umgehen zu kรถnnen. Und zum anderen die mittlerweile opulent ausgepolsterte Suche nach Schuldigen fรผr alles, was den Leuten so zustรถรt im Leben.
Das ist also ganz und gar keine typisch ostdeutsche Charaktereigenschaft. Sie ist weit verbreitet in diesem, unserem Lande. Und sie wird immer wieder inszeniert, selbst wenn man โ wie in โSรคbel im Rรผcken 2.0โ โ merkt, dass es selbst die Filmdarsteller langweilt, etwas derart Sinnloses zu spielen, unglaubwรผrdig bis in den rechten Seitenscheitel hinein.
So gesehen also ganz bestimmt keine Gute-Nacht-Geschichten. Eher Ojemine-Geschichten รผber Leute, die man schon des รfteren getroffen hat und die man eigentlich meidet, wenn man den Tag mit halbwegs guter Laune รผberstehen will.
Klaus Mรคrkert โVorm Untertauchen Luft holenโ, Edition Outbird, Gera 2023, 12,90 Euro.
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