So lakonisch wie der Buchtitel daher kommt, so lakonisch sind auch die kleinen Geschichten, die Manuela Bibrach schreibt. Geschichten ĂĽber Menschen, in deren Leben eigentlich nichts passiert. Obwohl natĂĽrlich immer etwas passiert. Oft sogar viel zu viel.

Was viele Menschen ĂĽberfordert. Sie wĂĽrden es meist nur nicht zugeben. Denn unsere Gesellschaft ist eine Action-und-Show-Gesellschaft. Oft laut und rĂĽcksichtslos. Die Heldinnen und Helden in den Geschichten von Manuela Bibrach aber sind leise. Und ziehen sich lieber zurĂĽck.

So wie Renate, die ihre Tage mit kleinen Schlückchen Alkohol verbringt. Oder Heinz, den das animalische Treiben im Frühjahr in Panik versetzt, sodass er sich lieber in seiner Wohnung einigelt, mit dem Blick auf die schönen weichen Bildschirmfrauen, die ihr Bestes zeigen, ihm aber nicht auf die Pelle rücken.

Manuela Bibrach lebt in der Oberlausitz. Ihre Geschichten aber können in jeder beliebigen Stadt spielen. Vielleicht mit anderen Zutaten. Aber die wesentliche Zutat ist immer: Verletzlichkeit.

Und während die Lauten diese Verletzlichkeit umkehren und lieber andere Menschen verletzen, suchen Bibrachs Heldinnen und Helden ihr kleines Glück im Schneckenhaus. Mit einer Froschkönig-Sammlung etwa wie Ernst, oder wie Katrin, die sich in ihrer Einsamkeit eingerichtet hat wie Bootsmann auf der Scholle.

Manchmal trauen sie sich hinaus. Aber nicht zu sehr. So wie Cornelia, die sich selbst Nele nennt und eigentlich alles richtig machen will und ihr Essen im Bioladen einkauft. Nur ja nicht anecken.

Obwohl es auch in ihr gärt und sie das lähmende Gefühl hat, nicht gesehen und nicht wahrgenommen zu werden. Ein bisschen, ein ganz klein bisschen lässt sie am Ende ihren Frust heraus.

Die Welt da drauĂźen

Ida fühlt sich wie eine Katze. Bonny heult und sieht keinen Sinn mehr in ihrem Leben. Und so geht das munter weiter. Als betrachtete die Autorin ihre Protagonisten wie unterm Mikroskop. In all ihren Puppenstuben – mal mit, mal ohne Puppe.

Ganz mit ihrem kleinen Leben beschäftigt, dessen Horizont meist schon am Fenster endet. Selbst dann, wenn sie sich – wie Merit – eine Reise übers Meer gönnen. Lieber drin bleiben, durchs Bullauge schauen. „20.000 Meilen unter dem Meer“ lesen. Die Welt bleibt draußen. Denn die Welt ist verstörend.

Manchmal geht dann einer wie Krüll seine täglichen Abendrunden um die Häuser, schaut den anderen in die Fenster, weiß, was sie treiben. Und dass sie ja eigentlich genauso wie Austern leben wie er selbst. Nur dass es in dieser kleinen Geschichte am Ende eine unerwartete Überraschung gibt für Krüll, der doch eben noch dachte, er sei aus den Leben der anderen völlig herausgefallen.

Es ist, als zeichne Bibrach die Lebensbilder einer Gesellschaft aus lauter Einsiedlern, die mit ihren Nachbarn und anderen Leuten nichts mehr anfangen können. Die so schreckhaft geworden sind, dass sie sich dem lärmenden Leben da draußen nicht mehr aussetzen wollen.

Und manchmal auch – wie Gitti – zu drastischen natürlichen Mitteln greifen, um sich die Zumutungen vom Hals zu halten. Wenn man es so formuliert, merkt man, dass es tatsächlich um uns Heutige geht. Eine Gesellschaft der Vereinzelten, die sich vom Draußen überfordert fühlen.

Die sich abkapseln und einspinnen. Und aus allen Wolken fallen, wenn die Kinder zu Besuch kommen – so, wie es Heidi geht, die beim Stricken gedanklich in alten Märchen unterwegs ist. Und keine Worte hat, wenn die Wirklichkeit zu Besuch kommt.

Die Unsichtbaren

Manchmal gibt es dann aber trotzdem einen darunter, der sich von dieser fehlenden Empathie nicht beirren lässt. In diesem Fall rechnet der Konditorlehrling Paul sogar mit der Bosheit seiner Mitmenschen. Und sorgt vor. Denn wenn die anderen nicht aus ihren verschlossenen Welten herauskommen und sich rücksichtslos benehmen, dann wartet man eben nicht darauf, dass sie wieder einmal boshaft zugreifen.

Man sorgt vor. Und schafft sich damit den Auftritt, den man sich wĂĽnscht. Denn hinter den Bosheiten und Nickligkeiten der anderen steckt oft nichts anderes, als nicht gelebtes Leben. Und damit gewinnt das Bild Kontur.

Auch das einer Region, in der die Menschen mit verschlossenen Gesichtern herumlaufen und immer andere schuld sind an ihrem Verlorensein. Eingeschlossen in ihre Schneckenhäuser, voller Vorwürfe, dass niemand sie wahrnehmen und würdigen will.

Und die großen Auftritte haben sie alle nur im Traum. So wie Ede, der das Falsche studiert hat und nun von Bürgergeld lebt. Im Traum ist er der König. Viele Geschichten leben so vom Leben im Traum und vom erträumten Leben.

Manchmal sind es auch Albträume wie bei Dennis. Manchmal schlagen die kleinen Heldinnen hart auf dem Boden der Realität auf – so wie Gabi, die so gern Flügel hätte. Während Berit sich einen Wunsch erfüllt, weil sie wissen will, wie die Maschinen im Bauch des Schiffes arbeiten.

Manchmal legen sich die Einsamen lebendige Begleiter in ihrer Raumkapsel zu – bei Günni sind es Tauben, bei Marlene Goldfische, deren Gefangensein im Glas Marlene nur zu gut nachempfinden kann.

Brav

Die Tiere sind oft genug der Spiegel, in dem sich die Protagonisten dieser kleinen Geschichten wiedererkennen. So wie Stella in Bambi und Tom in dem Elefanten im Zoo, der immer nur einen Schritt nach vorn macht und einen zurück. Bis der Junge dann sogar ins Gehege krabbelt, weil ihm dieser verstörte Elefant so unendlich leid tut.

Letztlich sind es lauter kleine Geschichten, in denen die Figuren nach sich selbst suchen. Sich oft in stillen Schleifen verfangen, während sie über die Brüche des Alltags nachdenken. Oder – wie Christine – die Stille im Kloster suchen, um sich selbst wiederzufinden. Oder überhaupt zu finden.

„Weil sie kein starkes Ich hat“, sagt der Therapeut zu Cornelia, die sich selbst Nele nennt. Und damit selbst klein macht. Unscheinbar. Brav. Was irgendwie eben doch sehr typisch ist für dieses Völkchen östlich der Elbe, das sich gern so aufmüpfig gibt.

Aber die ganze Zeit damit hadert, nicht wahrgenommen, nicht gesehen zu werden. Als wenn es ausgerechnet die über Generationen anerzogene Bescheidenheit ist, die ganz zwangsläufig in Frust und Traurigkeit mündet.

Nur dass die Menschen in Bibrachs Geschichten nicht wĂĽten und nicht poltern. Sondern sich in ihre Einsamkeit schicken. Und auf Emanzipation verzichten. Weil das nun einmal hieĂźe: hinauszugehen und sich zu zeigen. Und zu wissen, was man sich wirklich wĂĽnscht im Leben. Und nicht nur im Traum.

Manuela Bibrach Renate löscht. Das Licht Dr. Ziethen Verlag, Oschersleben 2025,15 Euro.

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