Wenn man jünger ist, dann will man das irgendwie erzählen, wie das ist, wenn man mit faszinierenden Frauen die Liebe erlebt und den Sex und alles dazwischen. Also all das, was eigentlich mit Worten kaum zu fassen ist. Und einen doch jedes Mal umhaut. Aber Dieter Kalka hat es versucht und in den 1990er Jahren dutzende solcher kleinen Texte in diversen Magazinen und Zeitschriften veröffentlicht. Nicht nur in deutschen, auch in polnischen.
Dafür sorgte ein rühriger Übersetzer, Lyriker und Philosoph: Andrzej Panta. Er ist 2024 gestorben, sodass dieses Bändchen in Deutsch und seinen polnischen Übersetzungen auch eine kleine Erinnerung an Pantas Übersetzertätigkeit ist. Aber Dieter Kalka nutzte die Gelegenheit auch, um eine weiteren seiner Wegbegleiter zu würdigen: den Bildhauer und Zeichner Rainer Strege, den er nach dem erzwungenen Abbruch seines Informatikstudiums in den 1970er Jahren kennenlernte.
Wie das so war in sozialistischen Zeiten: ein streng verbotenes Buch, das die Studenen im Fotolabor der Hochschule kopierten. Erwischt und exmatrikuliert. Kalka wurde Heizer, also Proletarier im besten Sinne. Was in der DDR ja bekanntlich „führende Klasse“ und „Bewährung in der Praxis“ zugleich war. Aber nicht unbedingt Voraussetzung dafür, von der Partei wieder gnädigst rehabilitiert zu werden.
Die Zeit nutzte Kalka, um heimlich Vorlesungen in Design und Kunstgeschichte zu besuchen. Und natürlich auch ertappt wurde, dabei aber auf einen Dozenten traf, der sehr gut verstand, dass so ein wissbegieriger Bursche da nicht saß, um weiter Heizer zu bleiben.
Das war die Zeit, als er Rainer Strege kennenlernte und selbst Zeichenkurse besuchte. Auch angetan von der Freiheit der Grafiker, die sich einfach ein schönes nacktes Model wünschen konnten, was ja ein Lyriker nicht so einfach kann. So frei nach dem Motto: „Zieh dich aus, ich will ein Liebesgedicht schreiben.“ Schön wär’s.
Das Eigentliche passiert im Kopf
Aber natürlich braucht das ein Lyriker nicht. Man beschreibt ja keine nackten Grazien in Liebesgedichten. Kann man machen, wird aber meist sehr langweilig, weil das wirklich Aufregende im Kopf passiert, in all den wilden Gefühlen, die man dann irgendwie versucht, in Verse zu packen. Anders als Zeichner: Sie brauchen das nackte Vor-Bild, die Schöne, die mal eine Stunde nackt dasitzt und still hält. Das Bild erzählt dann von purer menschlicher Schönheit.
Und so erzählen auch Streges Zeichnungen in diesem Band davon, feiern den weiblichen Körper. Und zeigen gleichzeitig, wie man mit dem Zeichenstift die Schönheit des weiblichen Körpers in Szene setzen kann. Oder auch einfach sehen lernt. Denn wir sind umgeben von Schönheit. Dazu müssen sich Frauen nicht erst ausziehen.
Aber wir sehen die Schönheit um uns herum oft nicht mehr, haben den Kopf voller aufgemotzter Bilder, die uns in Werbung und Internet überall überfluten. Und so merkt man beim Blättern: Eigentlich geht es letztlich wieder um das Benutzen unserer eigenen Sinne, das Wahrnehmen von lebendiger Schönheit direkt vor unseren Augen. Und auch das Wahrnehmen der Momente, in denen wir innige Vereinigung erleben, Nähe, wie sie nur in diesen Momente wirklich erlebbar ist. Eine sinnliche Feier des Lebendigseins.
So ergänzen sich die kleinen Texte, die sich wie Episoden lesen – skizzenhaft, kleine Erinnerungsstücke an verschiedene Frauen. Heimliche und berührende Begegnungen, die manchmal zu einem kurzen, fragilen Wir werden, bevor nur noch die Erinnerung bleibt, der Versuch zu rekonstruieren, wie intensiv und umwerfend es war. Erinnerung an wunderbare Begegnungen, die manchmal, wie es aussieht, auch einfach mit überraschenden Abschieden endeten. Unwiederbringlich.
Die Wirklichkeit und das Bild
Aber es ist nicht nur der Tod von Andrzej Panta, der sich in seiner zweiten Wahlheimat Andreas Johannes Painta nannte, der Anlass für diese Büchlein wurde, sondern der 70. Geburtstag von Rainer Strege. Den Kalka auch in seiner Vorbildwirkung als Lehrer würdigt: „Wir aber alle mussten erfahren, wie man aus ‘Wirklichkeit’ eine Zeichnung oder eine Vers herstellt.“
Denn darin berühren sich die Künste: im genauen Blick auf die Wirklichkeit. Ein Blick, der erst möglich macht, dass wir beschreiben können, was wir sehen und erfahren und fühlen. Das betrifft auch die Lyrik von genau erfassten Bildern: Was nicht bildhaft wird, wird auch beim Lesen nicht zum Bild, in das man eintauchen kann. Das ist nicht leicht.
Gerade wenn es um das Begreifen dessen geht, wa zwischen zwei Menschen in einem stillen Zimmer passiert. Es kommen immer wieder doch irgendwelche verirrten Gedanken dazwischen, Ablenkungen, Erwartungen.
Und so sind die Momente, die wir tatsächlich mit allen Sinnen erleben, selten. Sehr selten. Manchmal einfach auch nur gedacht und geträumt, Beinah-Momente, aus denen dann ein guter Teil der Erinnerung besteht. Es hätte ja passieren können. Beinah.
Selbst wenn man die Geliebte dann sogar zum Altar geschleppt hat. Nichts ist für die Ewigkeit. Auch dann kann man sich noch verlieren. Geht eine fort. Und die Geschichte bleibt offen. Mit einen Krumen Hoffnung: „Verloren habe ich meine Freiheit, nicht dich.“
So wie man die Schönen nicht verlieren kann, erst recht, wenn sie namenlos bleiben. Und alles Träumen nur Text bleibt. Eine Skizze vom Beinah. Wie das mit allen Lieben ist. Aber das weiß man erst hinterher und viel später, wenn man die Texte von damals sammelt. Und sich daran erinnert, wie sinnlich das Leben einmal sein konnte.
Dieter Kalka „Das kleine schwarze Tier“, Edition Beulenspiegel, Leipzig 2025, 12 Euro.
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