Bekannt ist Werner Benreuther vor allem als „Szeneguru der Liedermacher der DDR“, selbst Liedermacher, Schriftsteller, Schauspieler. Aber in diesem Buch lernt man den Leipziger auch als Maler kennen – als digitalen Maler. Denn seine surrealistischen Bilder entstehen am Computer. Da braucht man kein Atelier und keine Batterien von Farben. Nur einen guten Drucker.

Und einen Verlag, der eine Auswahl dieser Bilder einmal in einem eigenen Band veröffentlicht. Praktisch ohne Kommentare. Denn die traumhaften Welten, die Werner Bernreuther am Bildschirm erschafft, sprechen für sich selbst. Im Grunde sind es auch wieder poetische Reflexionen – nur halt nicht in Vers und Lied, sondern in Bildern, die manchmal an Dalí erinnern , manchmal an De Chirico. Manchmal ist es auch Pop-Art, aber fast immer märchenhaft.

Natürlich sucht man den Liedermacher darin. Und man wird ihn auch finden, wenn man ihn sucht. Erst recht, wenn man die Leipziger Liederszene kennt, zu der er gehört – und zwar bis heute. Mitsamt seinen Mitstreitern und Schülern. Ein viel zu schlecht beleuchtetes Kapitel in der jüngeren Leipziger Kultur-Geschichte.  Liedermacher sind nicht laut. Nur manchmal. Sie kennen auch die leisen, verträumten Töne. Sie singen meistens von dem, was auf großen Bühnen keinen Platz hat: dem Leben der Menschen hinieden. Das viel reicher ist, viel atemberaubender, als man oft meint.

Verträumter sowieso.

Das Leben ein Traum

So dass die Lieder aus dieser Szene immer auch ans Traumhafte und Poetische rühren. So wie in den kleinen Gedichten, die Dieter Kalka dem Bilderband beigegeben hat. Scheinbar kleine Abschweifungen zu den abgebildeten Bildern. Eigentlich aber auch Notate, die mit Worten zeigen, wie traumhafte Bilder entstehen. Da ließ er sich durchaus anregen von den Bildern Bernreuthers.

Und gleichzeitig merkt man: Es sind trotzdem zwei völlig verschiedene Poesien.

Aber wer hat schon je gedichtet wie De Chirico? Oder wie Dalí?

So bekommt der Buchbetracher eben beides: Bernreuthers traumhafte Bilder, in die sich immer wieder auch die Symbole unserer zerstrittenen Gegenwart mischen. Auch das von Dalí bekannt, dem durchaus bewusst war, dass auch Glauben, Ideologie, Maske und Symbol nur Ausgeburten menschlicher Hirne sind – die hinwiederum nur zu geneigt sind, die eigenen Phantasiegeburten für die blanke Realität zu nehmen. Und nicht merken, dass sie die Welt damit in eine Traumkulisse verwandeln. Oft genug leider auch in eine Albtraumkulisse.

So dass man nicht weiß: Träumt einen das jetzt oder ist es Zeit, ganz weit davonzulaufen? Etwas in uns weiß ja, wie sehr sich manche Leute regelrecht begnadet fühlen, wenn sie zum Albtraum ihrer Mitmenschen werden. Und wie lange solche Gespenster nachwirken. Als fühlten sich manche Leute nur wohl, wenn das Grauen regiert.

Darüber täuschen auch Bernreuthers Bilder nicht hinweg, auch wenn die meisten farbenfroh und leuchtend sind. Verspielt, als schaue man ins Bilderbuch der Kinder. Und dann sieht man bei genauerem Betrachten: Das Mahnende steckt im Detail. Und zwar nicht nur im nächtlichen Dunkelblau, in gespenstisch aufgebauten Eulenstädten, Janusköpfen und seltsamen Unterwasserwesen, die ihre Zähne blecken.

All die vergrätzten Barone …

Man ahnt, wie da der Künstler vor seinem Monitor sitzt und seine Bilder entstehen lässt, wie er sonst Lieder und Gedichte entstehen lässt. Angeregt durch Tageserlebnisse, all die Momente der Verstörung, die wir erleben und nirgendwo ordentlich abheften können. Oder wie es Dieter Kalka in Verse fasst: „All die vergrätzten Barone mit ihren Epauletten und / Eheverträgen, wenn sie unter Wasser schwudeln / entgleist ihnen das Gesicht und die Zähne mutieren zu / Kanonen die Gold scheißen …“

Man merkt: Die beiden sind geistesverwandt. Und schauen mit ähnlich skeptischem Blick auf die Welt der falschen Masken, Uniformen, Gesten und Worte, mit den sich Barone aller Art die Wirklichkeit zurechtlügen, bis alles ein großer Fasching wird. Ein Karneval der Haifische und Wasserwürmer, die sich bereichern und – was für ein malerisches Wort: Tag für Tag schwudeln.

Sie profitieren von dieser Welt der Selbstdarsteller, Egomanen und des bunten äußeren Scheins, der immer verbirgt, worum es tatsächlich geht. Sie stehen immer „Im Mittelpunkt”. So, wie auch etliche Blätter von Bernreuther heißen, auch wenn sie eher die bunten Narren zeigen, die glauben, sie würden sich mit Influence ein prächtiges, bewundertes Dasein schaffen.

Bis sie seelisch ausbluten. Aber das erscheint dann meist nur noch im Abspann oder im Abgesang. Sofern das überhaupt noch einer wahrnimmt in einer Welt der flackernden Bilder und falschen Träume. Die man natürlich kaufen kann. Was ist denn nicht käuflich in Eulenstadt? Die aussieht wie eine schlafende Wolkenkratzergesellschaft. Doch auch dieser Schein trügt, wie Dieter Kalka feststellt: „Die Eulenstadt als Briefkastenformat des Vollmonds.“

Schildhauswächter und Schildbürger

Es ist ein Bildband, der einlädt, das durchaus Reale im Surrealen wiederzufinden. Und die Betroffenheit eines Liedermachers, der die Welt ganz und gar nicht durch die rosarote Brille sehen kann. Das klingt wie eine Verdammnis, da ja doch so viele Leute sich frohgemut baden im schönen Schein. Aber der Zorn, die Wut, die durch die Lande flattern, erzählen nun einmal vom Gegenteil: Der schöne Schein hält nicht mal mehr bis zum nächsten Drogenrausch. Die Maskerade beängstigt. Die Aufgeschreckten fühlen sich ausgeliefert.

Und zum Selberfliegen sind sie alle nicht geboren. Nur Ikrarus, der bei Bernreuther auch motivisch auftaucht und gen Sonne fliegt, während das Wachs seiner selbstgebauten Flügel schmilzt. „Such eine Sonne, die dich nicht verbrennt!“, schreibt Kalka dazu.

Auch das Bilder, die spüren lassen, dass das Traumhafte immer mit dabei ist, wenn wir ohne Scheuklappen auf unser Leben schauen. Anders können wir gar nicht, auch wenn wir mit unseren Träumen scheitern oder nur hart auf den Erdboden schlagen. Manchmal auch dessen nur zu bewusst, das unsere Träume nicht die sind, die uns die Werbung so billig verkaufen will – wie etwa den „Turmbau zu Babel / unweit in Franken“, wo die „Stelle der Schildhauswächters nicht besetzt“ ist. Ein Amt, das nicht zufällig an die Schildbürger erinnert, die noch immer unter uns sind und über uns. Aufgeblasen wie Luftballons, zum Platzen stolz auf die Luft in ihrem Inneren. Leute, die die Welt in einen schrillen Zirkus verwandeln.

Oder einen Albtraum, so dass man beim Malen am Computer nicht mehr so recht weiß: Malt man jetzt die eigenen Traumgespenster? Oder nur die Wirklichkeit hinter der schrillen Maske der öffentlich gefeierten Narren?

Darüber kann man ja nachdenken beim Blättern und Lesen.

Werner Bernreuther „Dreierland. Digitale Malerei“, Lit Verlag, Zürich 2023, 14,80 Euro

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