Es sind die Albträume des Kalten Krieges, von denen seit drei Jahren wieder viele Menschen heimgesucht werden. Ängste verschwinden nicht einfach. Schon gar nicht, wenn ein kriegführender Autokrat immer wieder sachte mit der Atomwaffe droht. Dabei wissen eigentlich alle, dass man sich gegen diese Waffe nicht schützen kann. Auch wenn man überall im Land Bunker baut, in denen die Menschen Zuflucht finden können. Aber was für eine Zuflucht? Ulrike Serowy hat es sich anhand eines solchen Bunkers einmal ausgemalt.
Der Bunker entstand 1979 in Köln-Kalk. Sieben Millionen D-Mark kostete damals der Bau dieser Zivilschutzanlage auf einer Zwischenebene der Kölner U-Bahn. Es ist die letzte dieser Art in Köln und kann heute besichtigt werden.
Durchaus mit den Ängsten der Gegenwart im Kopf: Was passiert, wenn ein durchgeknallter Präsident tatsächlich Atomwaffen einsetzt? Und zwar nicht nur im ersten Moment, wenn ein paar tausend Menschen in Panik zur nächsten Schutzanlage rennen, gerade so noch Aufnahme finden und sich die Stahltore schließen?
Denn danach herrscht auch da unten Ausnahmezustand, muss für die Geretteten irgendwie das Überleben über einen längeren Zeitraum gesichert werden, bis sie den Bunker wieder verlassen können. Das alles muss vorbereitet sein. Und wenn der Bunker in Funktion tritt, müssen die Abläufe funktionieren.
Der unberechenbare Faktor Mensch
Nur: Wie reagieren die Menschen? Die ja im Fall von Köln-Kalk wahllos zusammengewürfelte Passanten gewesen wären, die sich zufällig gerade im Nahbereich der Bunkeranlage befunden hätten, wenn der Alarm ausgelöst worden wäre? Sie kennen einander nicht, sind allesamt nicht vorbereitet, werden in Gruppen eingeteilt, denn um die Anlagen im Bunker nutzen zu können, braucht es ein straff organisiertes Regime.
Das alles steht normalerweise in den Ablaufplänen zu diesen Anlagen, ausgedacht in friedlichen Zeiten. Mit Prämissen, die von der tatsächlichen Entwicklung völlig über den Haufen geworfen werden können.
Dass die meisten der damals gebauten Zivilschutzanlagen längst außer Betrieb genommen wurden, hat auch damit zu tun, dass sie an ihre Grenzen gestoßen wären. Nicht nur materiell, wenn Nahrungs- und Wasservorräte aufgebraucht worden wären. Solche Anlagen nutzen nur für kurze, berechenbare Zeiträume.
Was aber geschieht, wenn nach diesen Zeiträumen – und in der Regel ging man von zwei Wochen aus – nicht nur die Stadt zerstört ist, sondern das ganze Land verstrahlt? Wenn da draußen auch niemand mehr Busse organisieren kann, die die in den Schutzraum Geflüchteten abholen können?
Denn egal, wie genau Ingenieure die Nutzung solcher Zivilschutzräume planen: Sie stoßen an materielle und zeitliche Grenzen. Was zumindest berechnet werden kann. Aber was nicht berechnet werden kann, ist die Reaktion der Menschen, die sich auf einmal auf engsten Raum eingesperrt finden, herausgerissen aus ihren alltäglichen Verrichtungen, und nicht wissen, was draußen passiert. Oder gar an Klaustrophobie leiden oder auf andere Weise die Kontrolle verlieren?
Was Ingenieure nicht planen können
Schon die straffe Organisation der Abläufe bringt ein dystopisches Moment mit sich. Ulrike Serowy schildert es sehr genau aus der Perspektive einer Postangestellten, die sich auf einmal in einer Position wiederfindet, in der sie selbst die Abläufe für eine ganze Gruppe organisieren muss. Wie bringt man die Menschen dazu, sich in das Reglement zu fügen und auch mit der auf einmal erzwungenen Untätigkeit umzugehen? Wie reagiert man auf Leute, die das nicht können und regelrecht ausrasten?
Denn Menschen sind nicht für solche Situationen gemacht. Schon gar nicht für ein wochenlanges Ausharren in einem abgeschlossenen Raum, ohne zu wissen, was draußen vor sich geht. Wie reagieren sie? Ulrike Serowy versucht sich all das auszumalen, was in den Planungen der Ingenieure so niemals vorkommt. Und auch nicht vorkommen konnte.
Sie denkt einfach über das hinaus, was sich heute wieder viele Menschen als völlig logische Lösung ausmalen, wenn ein Krieg losbricht: „Sofort in den Schutzraum!“ Was ja landesweit die Forderungen anschwellen lässt, es sollen wieder Zivilschutzräume ausgewiesen oder gebaut werden. Und die Pläne dafür bitte auch öffentlich.
Aber über den Tag des Alarms hinauszudenken, fällt natürlich schwer. Und gerade die letzte Handlungsanweisung aus der Bedienungsanleitung, die Serowys Heldin aufblättert, zeigt, dass das Denken in Schutzräumen ein ganz gewaltiges Problem hat: „Wie soll es jetzt weitergehen mit dem Schutzraum und den Menschen darin? Es muss doch für diese Anlage einen Plan geben, ein Konzept, das die Rettung der Geretteten sicherstellt.“
Die Rettung muss also von außen kommen. Und sie muss geplant sein. Doch wer ist da draußen, der das noch planmäßig organisieren kann? Und was passiert da drinnen, wenn Menschen die Enge, den Zwang und die notwendige Dauerüberwachung nicht aushalten? Alles Fragen, die mitschwingen in Ulrike Serowys Geschichte. Lauter Fragen, die sich Autoren und Autorinnen natürlich stellen, wenn sie aus den Artefakten der Wirklichkeit ihre Geschichten machen.
Denn sie denken nicht wie Ingenieure. Sie versetzen sich hinein in die Menschen und malen sich aus, wie sie in Extremsituationen tatsächlich reagieren könnten. Wie der Drang zur Selbstbehauptung scheitern kann oder die innere Not katastrophale Kettenreaktionen auslöst.
Eine Frage des Vertrauens
Es ist eine Geschichte direkt zur Zeit, zu unseren von wilder Propaganda wieder angeheizten Ängsten vor einem Atomkrieg und den oft genug verkrampften Versuchen, dafür wieder Lösungen aus dem Boden zu stampfen. Oder gar die Schutzräume des Kalten Krieges zu reaktivieren. Räume, in denen es dann nur noch ums blanke Überleben geht und Menschen zwangsläufig an ihre Grenzen stoßen.
Denn dafür sind wir alle nicht gemacht. Es geht also auch hier um die ganz elementare Frage nach menschlicher Würde und Selbstbestimmung. Und was daraus wird, wenn das Diktat des Krieges alles verändert.
Ulrike Serowy kann sich das alles sehr gut ausmalen. Und man ahnt, dass von menschlicher Freiheit wirklich nicht viel bleiben wird, wenn wieder die Kriegslogik in Politik und Alltag Einzug hält. Peter Zillig vom Geschichtswerkstatt Kalk e.V. erzählt dann in Abspann, wie der Zivilschutzraum in Kalk tatsächlich konzipiert war. Und auch er hat ein mulmiges Gefühl, wenn er die durchaus fundierten Erläuterungen des Trägervereins DOKK, der den Zivilschutzraum verwaltet, liest.
„Im Gegenteil, die vorgetragenen Planungsideen und Vorschläge zu ihrer Umsetzung durch die Zivil- und Katastrophenschutzbehörden aus dem Kalten Krieg tragen angesichts der aktuellen, völkerrechtswidrigen Konflikte nicht dazu bei, einer Maßnahme wie dem Denkmal des Kalten Krieges im Kalker Untergrund zu vertrauen.“
Ulrike Serowy „Im Schutzraum“ Edition Outbird, Gera 2025, 8,90 Euro.
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