Man traut es den kleinen Städten nicht zu, dass hier Menschen geboren werden, die einmal draußen in der großen weiten Welt von sich Reden machen. Aber damit unterschätzt man die kleinen Städte. Auch wenn sie eher beschaulich wirken wie die bunte Fachwerkstadt Wernigerode am Harz. Wo man für gewöhnlich hinfährt, um vor dem hübschen Rathaus seinen Kaffee zu trinken und ein bisschen in den Bergen drumherum zu wandern.
Aber was passiert mit talentierten jungen Leuten, die hier geboren wurden? Das sollte doch eigentlich mal erzählt werden, fanden Ulrich Hardam und Matthias Thalheim.
Und wählten aus. Das muss angefügt sein. Denn hätten sie all die Fortgegangenen porträtiert, die mit ihrem Talent draußen in der Welt für Aufmerksamkeit sorgten – es wäre ein veritabler Wälzer geworden. Da kann man nur dem eigenen Herzen folgen und der eigenen Neugier, auch um Geschichten zu erzählen, die sowieso Stadtgespräch sind.
Denn natürlich sind die Dagebliebenen stolz auf die, die es zu Bekanntheit gebracht haben. Also gezeigt haben, dass man mit ein bisschen Ausdauer, Mut und Durchsetzungsvermögen etwas machen kann aus seinen Gaben.
Und so ist die Auswahl, die Hardam und Thalheim getroffen haben, eine sehr heutige. Mit einer Ausnahme: August Wilhelm Grube, Hauslehrer und Schriftsteller im 19. Jahrhundert. Und auch als Schriftsteller immer noch Pädagoge im unterhaltsamen Sinn: Er veröffentlichte „Charakterbilder aus der Geschichte und Sage“, „Biographien aus der Naturkunde“ und „Biographische Miniaturbilder“.
Er wusste, dass der Mensch was wissen muss, wenn er mitreden will in der Welt. Ulrich Hardam erzählt seine Lebensgeschichte, die in Wernigerode begann und in Bregenz endete.
Nadel und Faden, Kinderbetten und ein Mädchen namens Monika
In Wernigerode begann auch die Geschichte Eckart Friedrichson, der in seiner Geburtsstadt die Freude am Theaterspielen entdeckte und später sogar eine Briefmarke bekam. Aber bei Friedrichson kommen auch ältere Bewohner des Ostens ins Grübeln. Anders, als wenn man das Stichwort Meister Nadelöhr gibt. Denn in dieser Rolle wurde Friedrichson zu einem der frühen Stars des DDR-Fernsehens.
Aber seine Lebensgeschichte, die Matthias Thalheim erzählt, zeichnet auch das Bild einer Stadt, in der Kultur zum Alltag gehörte – mit Theater, Kino, Stadtgarten. Das gehört am Ende immer auch dazu, dass man auch in solch kleinen Städten Anregung und Ermutigung bekommt.
Manchmal auch vom Bruder, so wie es Ekarts kleinem Bruder Peter ging, der selbst eine Schauspielerlaufbahn begann, in dutzenden Filmen mitspielte, aber auch in einer Band spielte, die in Wernigerode zur Legende wurde: „The Hurricanes“. Aber wie diese Geschichten so spielen: Je älter die DDR wurde, umso öfter fuchtelten allerlei Funktionäre in die Kultur hinein, wussten alles besser und glaubten, sie wären zum Erzieher all der aufmüpfigen Geister bestellt.
Und ein aufmüpfiger Geist war dieser Peter schon, ein „Schelm der Unruhe“, der nach der zusammengeschusterten deutschen Einheit das prekäre Schauspielerdasein an den Nagel hängte und nach Wernigerode zurückkehrte, um die elterliche Fabrik zu übernehmen, die bis dahin Kinderbetten für die Westkataloge gebaut hatte. In jeder Geschichte stecken weitere Geschichten.
Und die beiden Autoren haben, wie man merkt, jede Menge Lust auch diese Geschichten mitzuerzählen, die Stadt mit all ihren kleinen und großen Netzwerken mit ins Bild zu bringen. Auch als Startrampe für Karrieren, wie sie ein Mädchen namens Monika Kluge hinlegte, die den Musikliebhabern bis heute als Monika Hauff in Erinnerung ist.
Und ihre Karriere in die Musik ließ sich schon abenteuerlich an, wird aber nur bis zu dem Tag erzählt, als Monika es geschafft hat ins Rampenlicht. Denn ihre eigene Biografie möchte die beliebte Sängerin nartürlich auch noch schreiben. Darauf nehmen die Autoren Rücksicht. Denn das Wichtigste ist ja erzählt: der Anfang mit all den Ungewissheiten, die dazu gehören. Denn da weiß keiner wirklich, wo es ihn einmal hinbringt im Leben.
Die Kunst, sich nicht kleinkriegen zu lassen
Auch nicht, wie viele Steine einem in den Weg gelegt werden, wie es die Apotheker-Tochter Jutta Eckerlin erlebte. Die ihren Weg suchte und fand und eine der gefragtesten Kostümbildnerinnen des deutschen Fernsehens wurde. Manchmal muss man lange Umwege gehen, um sich seine Träume zu erfüllen. Und sich dennoch treu zu bleiben.
Ganz ähnlich, wie es dem Maler Karl Oppermann ging oder dem Glasmaler Günther Groh, der auch in Leipzig seine Spuren hinterlassen hat mit den neuen Glasfenstern für das Völkerschlachtdenkmal.
Man merkt schnell: Hier geht es um die Lebensgeschichten, nicht um den Ruhm. Und um Menschen, die etwas zu erzählen haben über Talent, Ambition und die Kunst, sich nicht kleinkriegen zu lassen. So wie Klaus Breuing, „Puppenspieler, Autor, Maler, Schankwirt“. Auch wenn am Ende der Puppenspieler die Erinnerung dominiert, der in Berlin eine Zeitlang „das Lampion“ betrieb, bis der Hauswirt die Miete verdreifachte.
Manchmal platzen Träume einfach deshalb, weil jemand die Miete erhöht. Manchmal findet einer auch ein Schlupfloch in den Westen, so wie Peter Marschel, der es als Ballettmanager bis nach Basel schafft. Auch so kann man sich – mit Umweg über Mongolei und China – die Welt erkunden.
Die Züge fahren ja noch in Wernigerode. Man muss nur den Mut haben, aufzubrechen. Auch wenn man – wie die Porträtierten – immer wieder kommt, weil Eltern, Freunde und Lehrer noch da sind und einen alle mögliche Fäden mit der Stadt verbinden. Und dann kommen auch noch zwei Neugierige, die wissen wollen, wie alles begann. Und da wundern sich dann auch die Befragten oft, wie seltsam Lebenswege sein können, die in so einer kleinen Stadt beginnen, der man es gar nicht zutraut, dass hier durchaus beachtliche Karrieren beginnen könnten.
Ulrich Hardam, Matthias Thalheim „Geboren in Wernigerode – hinaus in die Welt“, Spelhus Verlag, Wernigerode 2025, 25 Euro.
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