Am heutigen 24. November 2025 wird der Leipziger Dichter Thomas Böhme 70 Jahre alt. So schnell geht das. Eben noch, also 1983, hat er – gefühlt – mit seinem Gedichtband „Mit der Sanduhr am Gürtel“ die Literatur der DDR aufgemischt, und schon ist ein Leipziger Verlag dabei, einen Sammelband zu seinem 70. Geburtstag vorzubereiten.
Den wir an dieser Stelle natürlich besprechen werden. Ein Text, mit dem ein Weggenosse den Dichter ganz persönlich würdigt, hat dann keinen Platz mehr in diesem Buch gefunden. Also veröffentlichen wir ihn hier einmal exklusiv.
Statt eine Nachworts – ein Brief an Thomas Böhme Leipzig 03/10/2025
Lieber Thomas,
Wir kennen uns seit fast 50 Jahren, auch unsere Familien. Wir sind beide Leipziger und auch gelernte DDR-Bürger. Dein 1. Gedichtband „Mit der Sanduhr am Gürtel“ aus den 1980-Jahren war schon etwas sehr Bewegendes – nicht nur das Symbol der Sanduhr: „Das Gestern ist fort, das Morgen nicht da: Leb’ also heute -Pythagoras.“
Jetzt aber, kurz vor Deinem 70. Geburtstag, haben wir (Freunde) uns zusammengesetzt und diesen Band Deiner sehr persönlichen Texte (Gedichte in Prosaform, Prosa in einer mitunter lyrischen Form) auf den Weg gebracht. Dein Freund Lutz Nitzsche Kornel hat dazu Zeichnungen beigesteuert, die der Schwarz-Weiß Ausstattung der Reihe sehr gut tun.
Du ein Mann des Wortes, ich mehr ein Mensch der Zahlen, deshalb hab ich mich über das Glosse „siebzehn & vier“ gefreut, wo die Zeile vorkommt: „Womöglich waren Zahlen mächtiger als Worte“, dies aber in mit einem ironischen Anklang – bleiben wir beim Mann des Wortes.
Der Band gewährt Einblick in Deinen Lebensweg, Deine persönliche Sicht der Welt und Deine Lieblinge – Vorbilder – gut in Szene gesetzt bzw. dem Leser zum Nachlesen und Weiterdenken angeraten. „Der Klügere gibt Nach/Hilfe“ etwas abgewandelt von mir- bei „Einsätzig“.
Einige der Texte waren mir schon vorher bekannt: „Heimlichkeiten und Staunen“ durfte ich für unsere Neujahrspost benutzen. Nach über 10-jährigen Nochmals-Lesen hat der Text nichts an seiner Frische eingebüßt. Zunächst erstmal für mich das Staunen (eine der möglichen Grundformen philosophischer Betrachtungen neben den Zweifel).
Aber ich muss ebenfalls sagen, dass ich über vieles in meinem Leben ins Staunen gerate, einiges ist für mich nichts selbstverständlich. Du bemerkst, dass das lateinische stupor auch staunen heißt, ich bin doch lieber beim griechischen Thaumazein – was auch sich wundern bedeutet. Sei es drum, nachdenkenswert ist der Text, Du füllst ihm immer wieder mit Deinen persönlichen Erlebnissen auf oder stellst diese in Frage.
Und dann assoziierst Du: heimlich – unheimlich – klammheimlich. Toll! Mir sind noch zwei Begriffe im Text aufgefallen: sozial und Erinnerung. Und Dein letzter Satz: „Nur, dass das Ende einer Wanderung ein letztes großen Staunen bereithält, dessen (sind wir uns sicher).“
„Drei Pappeln an der Schleuse“, schon der Bezug auf ein Gedicht von Gottfried Benn gibt Deine besondere lyrische Ader in diesem Buch kund. Ich bin eigentlich mehr Bertolt Brecht zugeneigt, es gibt von Dir aber auch ein gutes Gedicht über die beiden 1956 verstorbenen Dichter im Widerstreit. Mich hat der Vers, Deine Überschrift über dem Text sehr berührt.
Ein eigentlich alltägliches Bild, einer von tausenden Eindrücken im Leben eines Menschen wird hier gewürdigt und so kenne ich es aus vielen Deiner Gedichte. Wie Du die Landschaft erkundest, oft zu Fuß, oft mit Fahrrad – und scheinbar kleine Begebenheiten beschreibst. Deine Bemerkung, Du hast Deine Lieblingsgedichte im Kopf, begeistert mich immer wieder. Danke
„Handschrift“ – Narrenhände beschmieren Tisch und Wände – dieser Sentenz kann ich voll und ganz zustimmen. Nur Du hast damit ganz andere Assoziationen, schon von Kind an – ein Albtraum für Dich: Deine Linkshändigkeit. Ich habe diese übrigens nicht wahrgenommen. Und dann eine Art Befreiung durch die Technik, Schreibmaschine (dann elektronisch) bis zum Computer.
Noch das große Thema der Handschrift angerissen, als Spiegelbild der Persönlichkeit. Ernst Jünger, einer Deiner Lieblingsdichter mit einem Statement, da ist Dein Einkaufszettel nur Makulatur. P.S. Wir beide sind nicht tätowiert!
„Golem – Prag“. Es geht um Deine (unsere) DDR Kindheit: Dig & Dag (& verschwundener Digedag) von Hannes Hegen. „Der Golem ist wieder da“ in der Mosaik war schon damals KULT. Der Golem aus Prag als Aufhänger (als Spuk- und Schattengestalt – bis zum neuartigen Golem als Wegelagerer) für Deine Pragerfahrungen. Für mich war damals Prag das Ausbrechen aus dem DDR-Alltag. Du aber zeigst mir das verklärte „goldene Prag“ sowohl vor als auch nach der Wende als sehr fragiles Gebilde. Wert ist es, sich mit Deinem Prag-Bild auseinanderzusetzen.
P.S. Als ich 2005 über das Jahresende in Prag war, fand ich es sehr angenehm, dass es zu Silvester nicht knallte, also keine Böller.
Brief an Fritz
Ungefähr 25 km von Deiner Wohnung entfernt liegt Röcken: der Geburtsort, die Taufkirche und Familiengrabstätte von Friedrich Wilhelm Nietzsche.Seit 2008 ist die ehemalige Bahnstrecke von Plagwitz nach Lützen als Fahrradweg ausgebaut. Diese Strecke sind wir oft geradelt, einmal auch zusammen, vorbei an Meuchen und Lützen nach Röcken.
Und auch die weiteren Stationen des jungen F.W.N. Naumburg und Schulpforta sind mit Fahrrad gut erreichbar. Nun schreibst Du dem 14-jährigen Fritz einen Brief bzw. Du schreibst eine sehr liebevolle vorauseilende Biografie von Nietzsche – und nennst Dich Traumhändler.
Ich danke Dir sehr für den Text, weil für mich der Lebensweg von F.W.N. doch holpriger und widersprüchlicher in Gedanken spukt. Und Deine sanften Andeutungen zur Schwester Liesbeth als „bisschen unheimlich“ und den größten Tonkünstler seiner Zeit Richard Wagner sind von vornehmer Zurückhaltung. Der Satz Nietzsches „Gott ist tot“ wird herausgehoben, aber mehr im religiösen Sinne, denn schon 1807 kommt der Satz in Hegels Phänomenologie des Geistes (dass Gott selbst tot ist) vor.
Am Schluss ein Satz für den jungen Fritz:: Na, dann lauf schon, lauf! Wird Nietzsche nicht der Wanderer in Europa zwischen den Atmosphären?!
Und Deine Unterschrift: – ein alter Illusionist – dies verrät doch einiges über Dich.
Thomas, Glückwunsch zum 70. und zu „Weniger Herbst“, für die kommende Zeit bleib gesund & munter und immer „gut behütet.“
Peter Helbig
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