Ganz mutig hat der Verlag das Label „Die Biografie“ aufs Buchcover gedruckt. Aber irgendwie stimmt es schon: Eine wirkliche autorisierte Biografie des Streetart-Künstlers Banksy gibt es nicht, kann es nicht geben. Anders als andere Künstler bevorzugt Banksy die Anonymität, will sich als Person auf dem Kunstmarkt nicht verkaufen, auch wenn seine Arbeiten mittlerweile Millionenerlöse einspielen. Wie packt man es also an, für einen unsichtbaren Mann eine Biografie zu schreiben?

Man rekonstruiert dieses Künstlerleben aus den mehr oder weniger öffentlichen Quellen. Denn natürlich hinterlässt auch ein Künstler, welcher derart die Öffentlichkeit meidet, Spuren. Er hat eine Kindheit, es werden Geschichten über sein Aufwachsen in der alten englischen Seefahrerstadt Bristol erzählt, seine ersten Auftritte im Barton Hill Youth Club werden greifbar, wo der Boom der englischen Graffiti-Szene quasi als Jugendprojekt in den 1980er Jahren ihren Anfang nahm, und er hat Mitstreiter und Wegbegleiter, die ihre eigenen Banksy-Geschichten erzählen.

Die aber – das ist das Erstaunliche – trotzdem alles tun, um die selbstgewählte Anonymität von Banksy zu schützen. Es einfach respektieren, dass der Mann nicht im Licht der Öffentlichkeit stehen möchte. Oft auch nur zu gern sein Spiel mitspielen, denn gleichzeitig ist Banksys Agieren auch ein permanentes Infragestellen des offiziellen Kunstbetriebs, all dieser Schaustellereien, mit denen heute Kunst und Künstler vermarktet werden.

Weshalb Ina Brzoska auch gleich jenen Vorfall am 5. Oktober 2018 an den Anfang gestellt hat, als im Auktionshaus Sotheby’s in London mit dem letzten Hammerschlag Banksys Werk „Girl with Balloon“ im Rahmen geschreddert wurde, das Kunstwerk also vor aller Augen vernichtet wurde. Was die Käuferin nicht davon abhielt, es trotzdem für über 1 Million Pfund zu kaufen. Der Zerstörungsakt vervielfachte den Wert des Kunstwerks.

Lässt sich der Kunstmarkt foppen?

Hat Banksys, der augenscheinlich selbst – verkleidet – im Auktionsraum saß und den Schreddermechanismus auslöste, hier also den Kunstmarkt gefoppt? Oder hat er im Gegenteil lernen müssen, dass selbst subversive Aktionen dem heutigen Kunstmarkt und seinen irrsinnigen Gesetzen nicht beikommen?

Die Frage begleitet Brzoska im Grunde durch das ganze Buch, in dem sie neben den Spuren eines biografischen Lebens eben auch immer die Entwicklung des politischen Künstlers Banksy begleitet. Denn allein dadurch schon unterscheidet sich Banksy deutlich von den meisten Vertretern der Graffiti-Szene. Seine Arbeiten sind fast immer Kommentare zum Zeitgeschehen. Und zwar sehr konkrete und oft auch Streit provozierende.

Lange vor dem verheerenden 7. Oktober 2023 ging er schon nach Palästina und sprühte dort seine Statements zum israelisch-palästinensischen Dauerkonflikt und den martialischen Versuchen, den Konflikt immerfort am Laufen zu halten, an die Mauer, die Jerusalem mittendurch schneidet.

Er reiste nach Frankreich in das wilde Lager an der Küste, wo tausende Flüchtlinge in elenden Unterkünften auf die Gelegenheit warteten, endlich nach England übersetzen zu können. Und auch dort sprayte er sein Statement zur verkorksten Migrationspolitik in Frankreich und England an die Wand, genauso wie er im Süden Frankreichs die europäische Abwehr-Politik auf dem Mittelmeer thematisierte.

Und das in Bildern, die sofort eingängig sind und längst zu Ikonen der Gegenwart geworden sind. So sehr, dass sie – ohne irgendeine Autorisierung des Künstlers – längst auf T-Shirts, Taschen und Tassen gedruckt sind. Es blüht eine regelrechte Merchandising-Industrie mit Banksy-Motiven, mit denen sich Trittbrettfahrer goldene Nasen verdienen.

Der vermarktete Künstler

Was kann ein Künstler da tun, um sein Urheberrecht zu wahren? Nicht wirklich viel. Auch das diskutiert Brzoska. Es ist verzwickt: Ein Künstler, der seine Anonymität wahren will, muss die Wirkung seines Schaffens in großen Teilen dem Selbstlauf überlassen. Bis hin zu allerlei dubiosen Banksy-Ausstellungen, zu denen es keinerlei Autorisierung durch den Künstler gibt. Was nicht heißt, dass er mit seiner Kunst kein Geld verdient. Gerade seine Drucke sind bei Kennern und Liebhabern begehrt.

Aber wer ist dieser Mann wirklich? Wo kam er her? War er wirklich der schmale bebrillte Junge, der in Bristol seine ersten Schritte in der Streetart ging und dort auch Kontakt fand zu heute namhaften Vertretern der englischen Graffiti-Szene? Was ist von ihm in Bristol noch zu finden, wenn man dort mit einem Kenner der Szene auf Stadtrundgang geht?

Wann zog er nach London um, wo inzwischen dutzende seiner des Nachts aufgetragenen Kunstwerke für Überraschung und Diskussion gesorgt haben? Ist er dort mit Wohnung und Familie dingfest zu machen? Oder führen die Spuren auch wieder ins Dunkle? Oder sollte man einfach das Phänomen akzeptieren, dass gerade dieser in großen Medien heftig diskutierte Künstler als Person nicht ins Rampenlicht will?

Und wie macht er das, dass er in England und den USA regelrechte Kunstbasare (mit dem berühmten Elefanten im Raum) oder Dismalands auf die Beine stellt, zu denen auch dutzende Künstlerkollegen beitragen? Gibt es also eine Art Netzwerk, in dem Banksy arbeitet und immer wieder auf die Unterstützung von Freunden und Kollegen bauen kann?

Auch bei Projekten, bei denen er tüchtig aneckt und die schöne bürgerliche Scheinwelt mit deutlichen Aussagen infrage stellt. Wütende Aussagen, könnte man fast sagen. Denn immer wieder wird er so deutlich, dass ein Aufschrei durch die Presse geht. Manchmal geht er auch zu weit, verstört Menschen, die mit seiner Kunst völlig überfordert sind

Grenzen der Kunst?

Und falsch verstanden wird er auch oft genug. Sodass immer auch wieder Debatten aufflammen, mit der Frage: Was darf der Künstler eigentlich? Wo sind die Grenzen des guten Geschmacks? Oder testet er damit tatsächlich nur unsere Grenzen und unser Nicht-wissen-Wollen aus? Bis zur Überforderung, wie 2018 in der englischen Industriestadt Port Talbot: „Hilfe, Banksy war hier!“

Und natürlich lässt Brzoska auch den Umgang der Betroffenen mit Banksys Kunstwerken nicht weg. Die einen lassen sie einfach überstreichen, weil ihnen die Botschaft nicht passt, die anderen sägen ganze Mauern aus, um die Kunstwerke ins nächste Auktionshaus zu schaffen. Er kann es nicht vermeiden: Die Kunstvermarktung funktioniert auch mit dem Künstler, der eigentlich alles tut, den Kunstmarkt zu unterlaufen.

Kommen seine Botschaften trotzdem an? Brzoska verfolgt auch die Spuren zu möglichen Vorbildern für Banksy, für die es in England natürlich eine Menge gibt – bis hin zu den Monty Pythons und ihrem hintergründigen Humor. Aber selbst der Name George Orwell fällt, gerade weil es Banksy immer wieder auch um Themen wie Überwachung, Kontrolle und Meinungsfreiheit geht. Themen, die heute überall vor sich hin gären. Wir leben ja schon zum Teil in der dystopischen und bekloppten Welt von „1984“.

Aber – so fragt sich auch Brzoska – unterliegen Banksys ikonische Darstellungen dann nicht auch wieder den simplen Gesetzen der Werbewelt, kippt der gesprayte Protest gegen Konsum, Status und Marken nicht ins Gegenteil? Eine gute Frage. Brzoska: „Wo andere eine Plakatwand sehen, sieht Banksy eine Zielscheibe. Das Adbusting ist für ihn ein Mittel, um visuell die Kontrolle über die öffentliche Meinung zurückzuerobern und kommerzielle Botschaften in kritische Aussagen zu verwandeln.“

Wo steckt der Künstler?

Da kommt Mehreres zusammen. Auch weil Banksy sich immer wieder mit neuen Bildern einmischt und zeigt, dass Kunst auch deutlich sein kann.

Am Ende hängt die Autorin noch ein kleines Rätselraten an, wer Banksy denn nun wirklich ist. Aber man spürt die ganze Zeit, dass man das eigentlich so, wie es viele Medien betreiben, gar nicht wissen will. Dass man den privaten Banksy gar nicht braucht, um in den Bildern des anonymen Künstlers dennoch eine faszinierende Persönlichkeit zu entdecken, einen manchmal widersprüchlichen, aber dennoch deutlichen und immer engagierten Künstler zu sehen, der sich mit seiner Kunst einmischen will.

Dem Beliebigkeit regelrecht fremd ist. Und der damit auf einer Ebene mit uns kommuniziert, die zuletzt trotzdem zutiefst persönlich ist. Manchmal missverständlich, manchmal auch nicht begriffen wie das Mädchen, dem gerade der große rote Herzenballon aus der Hand gleitet.

Denn es geht nicht nur um Botschaften. Die würden niemanden erreichen, wenn nicht auch immer unsere Gefühle angesprochen wären. Gefühle, die wir mit diesem Mann teilen, auch wenn wir ihm auf seinen nächtlichen Streifzügen mit Schablonen und Sprühdosen nie begegnet sind.

Und wären wir ihm begegnet, würden wir es wohl ganz ähnlich machen wie die Londoner Polizei: die Jagd auf das Phantom möglichst auf kleiner Flamme belassen, weil Kunst dieser Art – auch wenn das verkniffene Bürger gern anders sehen – kein Verbrechen ist. Und eigentlich nicht einmal eine Sachbeschädigung, auch wenn der Hausbesitzer Wert auf weiße Wände legt.

So entsteht eben doch so etwas wie die Biografie eines Künstlers, über den wir gerade das Private nicht wissen. Und der trotzdem in all dem, was öffentlich wird, greifbar ist. Markant wie kaum ein anderer zeitgenössischer Künstler, der uns auch mit Ratten und Hunden zeigt, dass Kunst Widerstand sein kann. In einer Welt, die gern alles vereinnahmt und vermarktet und zur Ware macht.

Ina Brzoska „Banksy. Unsichtbar“ YES Publishing, München 2025, 22 Euro.

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