Eigentlich war Horst Faas ein Berliner Junge, 1933 geboren, aufgewachsen also in den finsteren Jahren der NS-Zeit und im Krieg, der für ihn begann, als er sechs Jahre alt war. Dass der Krieg einmal sein ganzes Fotografenleben bestimmen würde, war da noch nicht absehbar. Aber: 1951 wurde er einer der ersten deutschen Fotografen bei der renommierten Agentur Keystone, ein Jahr später dann bei Associated Press (AP).

Ab 1962 sollte er einer der bekanntesten Fotografen aus dem Kriegsgeschehen in Vietnam werden. Zeit für eine Würdigung, dachte sich Berthold Petzinna.

Berthold Petzinna war unter anderem Vertretungsprofessor an der Hochschule Magdeburg-Stendal im Fach Journalistik und Lehrbeauftragter am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Uni Leipzig. Und mit seinem Buch legt er etwas vor, was man in der Beschäftigung mit Journalismus viel zu oft vergisst: Dass hinter der journalistischen Berichterstattung echte Menschen stecken, ohne deren Einsatz es viele Geschichten, Reportagen, Filme und Fotos gar nicht gäbe.

Wobei natürlich Kriegsberichterstatter ein besonderes Völkchen sind. Sie gehen an Orte, wo es wirklich lebensgefährlich ist. Selbst dann, wenn sie jahrelange Erfahrung haben und wissen, wie man sich die größtmögliche Sicherheit organisiert.

Und so wird Petzinnas Biografie auch ein aufmerksamer Blick in die professionelle Arbeit eines Kriegsfotografen und in die Welt, in der all die Fotos entstanden, die ab den 1960er Jahren das Bild westlicher Medien vom Krieg prägten. Speziell des Vietnam-Krieges, der natürlich auch in Petzinnas Biografie den Hauptteil einnimmt.

Denn dieser Krieg hat die westliche Diskussion über Krieg und Frieden bis heute bestimmt. Und zwar in beiderlei Hinsicht – in Hinsicht auf die Akzeptanz militärischer Eingriffe, wie sie die ersten Jahre der US-Intervention in Vietnam unter John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson prägten, und ab 1968 das Kippen der Stimmung in der USA und Westeuropa.

Bilderstrecken aus dem Krieg

Es waren auch die Bilder direkt von den Schlachtfeldern, die diesen Stimmungsumschwung mitbewirkten. Anfangs selbst von den Fotografen kaum bemerkt, gehörten doch bildgewaltige Bilderstrecken aus dem Kriegsgeschehen seit Jahren zum Standard der großen Magazine.

Sie schienen jahrelang die Begeisterung insbesondere der Amerikaner für den Krieg in Fernost und die überlegene Waffentechnik der US-Truppen zu befeuern. Doch ebenso belegten die Fotos die Grausamkeit des Krieges und auch der von den US-Truppen eingesetzten Waffensysteme und Taktiken der verbrannten Erde.

Wie berichtet man da eigentlich? Was zeigt man? Was darf man zeigen?

Eigentlich alles eher Fragen für die beauftragenden Agenturen und die Magazine und Zeitungen, die die Fotografien veröffentlichten und in den Kontext ihrer Berichte stellten. Aber auch Faas hatte damit zu tun, der zuletzt die AP-Niederlassung in Saigon leitete und auch mit dem Kodex von AP konfrontiert war, welche Bilder man veröffentlichte und welche nicht. Aber das darf letztlich die Arbeit des Fotografen direkt an der Front nicht beeinflussen. Und Petzinna hat das mit Faas auch in Gesprächen noch besprechen können, deren Inhalt in dieses Buch mit einfloss.

Denn natürlich geht es um die ganz zentrale Frage: Wo zieht ein Fotograf die Grenzen seiner Arbeit? Was bestimmt eigentlich den Inhalt dessen, was ein Journalist direkt aus dem Geschehen berichtet? Eine ganz zentrale Frage. Und die Antwort lautet letztlich: Auch Kriegsfotografen sollten sich nicht selbst zensieren.

Denn sie sind stellvertretend vor Ort für all die Menschen, die berechtigterweise wissen wollen, was da hinten in Indochina passiert. Oder in Afrika, wo Horst Faas seine ersten Auslandseinsätze hatte, nachdem er anfangs schon die frisch gebackene Bundeshauptstadt Bonn und ihr politisches Personal kennengelernt hatte.

Bonn, Kongo, Algerien

Aber seine richtige Kriegstaufe bekam er im Kongo und in Algerien, damals noch in Zeiten, als diese Länder sich vom Kolonialjoch befreiten. Für Journalisten trotzdem ein unübersichtliches Territorium mit unberechenbaren Frontverläufen – so wie in Algerien, wo nicht nur die reguläre französische Armee agierte, sondern auch die französischen Siedler mit Waffengewalt operierten. Ein Konflikt, der bis in die französische Politik ausstrahlte.

Der aber auch – wie heute in diversen Ländern wieder – mit unglaublicher Brutalität geführt wurde. Eins von Faas’ Bilder aus dem Kongo zeigt den gewählten Präsidenten Patrice Lumumba kurz vor seiner Ermordung. Man ahnt, wie zwiespältig die Arbeit des Fotografen war, der Leid und Elend genauso vor die Kamera bekam wie die bis zu den Zähnen bewaffneten Söldnertruppen und die Kinder, die militärisch für den Krieg ausgebildet wurden.

Da hilft kein Wegschauen. Der Fotograf wird zum Augenzeugen und hält im Bild fest, was er sieht.

Und wenn er – wie Faas und seine Kollegen – mit Hubschraubern und Fahrzeugen der Army bis auf die Schauplätze der Gefechtshandlungen vordringen, bekommen sie eine Menge an Leid, Grauen, Verletzungen und Grenzüberschreitungen mit. Und sie riskieren ihr eigenes Leben. Auch Faas wurde einmal schwer verletzt. Alle Risiken lassen sich schlichtweg nicht ausblenden.

Die Botschaft der Bilder

Aber welche Geschichte erzählen dann die Aufnahmen? Auch dann, wenn sie nur eine Seite der Front zeigen? Im Grunde ist gerade Vietnam ein Beispiel dafür, wie sehr die Haltung der Mediennutzer am Ende bestimmt, welche Botschaft tatsächlich dominiert. Dieselben Bilder können mit anderer Haltung auch völlig anders interpretiert werden. Und wo sie zu Kennedys und Johnsons Zeiten noch die Unterstützung für den Einsatz der USA in Südvietnam befeuerten, verstärkten sie unter Präsident Richard Nixon zunehmend die Ablehnung dieses Krieges, in dem stellvertretend eben auch der Konflikt zwischen Ost und West ausgetragen wurde.

Und so diskutiert Petzinna eben auch das Problem, das an jeder Kriegsberichterstattung hängt: Wird am Ende – von Regierung, Armeeführung und Medien – tatsächlich realistisch und wahrheitsgetreu berichtet? Oder wird vertuscht, geschönt, verdreht? Das mussten sich am Ende auch die Verantwortlichen in der US-Führung fragen lassen. Und es waren einige der nicht so opportunen Bilder der Kriegsfotografen, die die Stimmung letztlich kippen ließen.

So wie das Foto von Nick Ut mit dem vietnamesischen Mädchen, das sich nach einem Napalm-Einsatz die brennenden Kleider vom Leib gerissen hatte. Ein Foto, das eigentlich dem Kodex von AP unterlag, das Horst Faas aber trotzdem freigab. Ein typischer Fall dafür, dass die Wahrheit nicht einem Kodex geopfert werden darf, der letztlich die ungerechtfertigten Grenzüberschreitungen eines unkontrollierbaren Militärs unsichtbar machen soll.

Die Fotos der AP-Agentur in Saigon zeigten aber auch über all die Jahre, dass der gewaltige technische Aufwand, den die USA da betrieben, nichts half. Die letzten Bilder waren ja bekanntlich Fluchtbilder.

Nach Vietnam

Im Grunde endet die wirklich aktive Zeit von Horst Faas mit dem Abzug aus Saigon. Aber die Jahre danach erzählen auch von einer Normalisierung, wie sie in den Hochzeiten der Kriegsbegeisterung schlicht nicht möglich ist. In den 1980er Jahren entstanden Kontakte der westlichen Kriegsfotografen zu ihren Kollegen in Nordvietnam, lernten sie durch Besuche auch die dortigen Akteure und Schauplätze kennen.

Die differierenden Erinnerungen an den Vietnam-Krieg flossen zusammen. Und Fotografen wie Horst Faas begannen, ihre Kriegserlebnisse auch in großen Fotobänden aufzuarbeiten und damit auch für ein Publikum zugänglich zu machen, das diese Zeit nicht in Zeitungen, Magazinen und schrillen Nachrichtensendungen miterlebt hatte.

Den an den Rollstuhl gefesselten Horst Faas konnte Petzinna noch selbst besuchen, sodass auch persönliche Kommentare des Fotografen in diese Lebensschilderung einfließen konnten. Sodass eben auch der Mann sichtbar wird, der oft genug hinter seinen Fotos verschwand, die das Bild vom Vietnam-Krieg mitgeprägt haben. Und die dann – auch in der BRD – ab 1967/1968 Teil der zunehmenden Diskussion über die Berechtigung dieses Krieges in Vietnam wurden, den amerikanische Generäle dann auch noch auf Laos und Kambodscha ausweiteten.

Die Wirkung von Bildern ist nicht auf immer festzulegen. In neuen Kontexten können sie völlig andere Reaktionen auslösen. Auch dafür steht Horst Faas, auch wenn für ihn bis zuletzt das strikte Ethos des Journalisten galt: Ohne Wertung zu fotografieren, was er vor Ort zu sehen bekommt. Welche Wirkung diese Fotos dann haben, wenn sie Teil der Berichterstattung werden, kann kaum einer beeinflussen.

Aber eins schaffen sie immer: Ein Stück Wahrheit zu zeigen, das in militärischen Lageberichten meist nicht vorkommt. Petzinna bringt es mit einem Zitat von „Weltspiegel“-Moderator Winfried Scharlau auf den Punkt: „Zum ersten Mal in der Geschichte des modernen Journalismus wurde die ganze Realität eines Krieges ins Bild gerückt, unzensiert und unverfälscht.“

Und dieses Bild vom Krieg haben wir heute alle im Kopf. Und erkennen es wieder, wenn ganz ähnliche Bilder aus den Kriegen unserer Gegenwart veröffentlicht werden.

Berthold Petzinna „Horst Faas. Ein Bildjournalist im Kalten Krieg“ Mitteldeutscher Verlag, Halle 2025, 28 Euro.

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