Eigentlich hätte das Buch auch Schwachstromzeit heißen können. Denn es geht um Lampen und eher niedrige Spannungen. Und einen „Staat, den es nicht mehr gibt“. Einen Staat, den der 1997 in Wernigerode geborene Autor gar nicht mehr selbst erleben konnte. Aber wie das so ist mit alten Geschichten: Sie prägen auch das Leben der Kinder und Enkel. Und die neugierigen fragen dann nach und stolpern über Geschichten, die schon fast vergessen sind. So wie die einer kleinen Leuchtenmanufaktur im Zwölfmorgental im Wernigerode.
Betrieben wurde diesen von den Großeltern von Aron Boks „Bültemann Leuchtenbau & Dekorationsglas“. Von diesem Kleinstbetrieb in der Garage ist heute nicht mehr zu sehen. Das Haus haben die Bültemanns verkauft, die alte Betriebseinrichtung und die Lampen entsorgt. Denn mit der Währungsunion war auch dieser Traum vom eigene kleine Unternehmen ausgeträumt.
Der Leuchtenmarkt West war längst besetzt. Ein Traum, der in der DDR nur deshalb funktionierte, weil es bei Konsumgütern aller Enden einen Mangel gab. Die staatliche Wirtschaft konnte die Nachfrage nicht decken. Schon in den 1970er Jahren wurden die Großbetriebe deshalb dazu verdonnert, neben ihrer Hauptproduktion auch eine Produktion von dringend benötigten Konsumgütern aufzulegen.
Erfindungsreiche Leute wie der Elektriker Rolf Bültemann erhielten die Chance, tatsächlich wieder ein eigenes (kleines) Unternehmen zu gründen, nachdem noch 1972 eine Verstaatlichungswelle durch die Republik gelaufen war. Und Lampen waren ein gefragtes Gut. Nicht nur bei Privatleuten. Auch bei staatlichen Auftraggebern, die Hotels und FDGB-Ferienheime durchaus gern mit einenm Schuss Modernität ausstatten wollten.
Die DDR war ein Land voller Widersprüche, die sich selbst in der Produktpalette der Bültemanns zeigten. Denn während sie für den Privatbedarf Lampen mir Troddeln, Stoffschirmen und Bordüren fertigten, weil genau diese altertümlich verschönten Lampen nachgefragt waren, entwarfen sie – etwa für das neue FDGB-Ferienheim in Schellerhau – eine moderne Beleuchtung aus farbigem Glas.
Ein Land voller Widersprüche
Aber was davon ist noch zu finden? Aron Boks Buch ist eine Spurensuche, die ihn am Ende durch die halbe einstige DDR führt. Auf der Suche nach Licht, Lampen und einem Design, das auch seinen Großvater faszinierte. Und das heute im antiquarischen Handel zu hohen Summen gehandelt wird. Die Spurensuche wird zur Entdeckung einer DDR, die in den heutigen landläufigen Erzählungen praktisch nicht vorkommt, weil so die maßgeblichen Deuter der Vergangenheit die DDR nicht sehen wollen. Es passt einfach nicht zur platten Geschichte vom Unrechtsstaat. Auch wenn der auch in dieses Kapitel hineinragt. Es geht nicht anders.
Denn auf seiner Suche nach dem modernen Licht in der DDR stößt Aron Boks auch auf eine Ikea-Leuchte, die in den Katalogen der 1980er Jarhe zu finden war, aber nicht in Schweden, sondern in der DDR produziert wurde – von Jugendlichen in einem Strafvollzug in Halle.
Unter erniedrigenden Bedingungen. Eigentlich für einen kleinen Leuchtenbetrieb in Halle, der mit dieser Produktion dem devisenschwachen Land ein bisschen aus der Klemme half. Wie viele andere kleine Unternehmen in der DDR, die zu billigsten Konditionen für westdeutsche Abnehmer produzierten.
Je weiter Boks herumkommt im Land auf der Suche nach dem modernen Licht der DDR, umso greifbarer werden die ökonomischen und politischen Zwänge, in denen das Land steckte, das im Grunde seit 1983, seit dem von Franz Josef Strauß eingefädelten Milliardenkredit, nur noch auf Pump lebte. Und das mit allen Mitteln versuchte, irgendwie an Devisen zu kommen, denn die DDR-Mark war keine konvertierbare Währung. Viele Betriebe produzierten praktisch nur noch für westdeutsche Kataloge. Und zwar Produkte von hoher Qualität, die im eigenen Land in den Kaufläden fehlten.
So wie die Ikea-Lampen aus Halle.
Das Licht der Moderne
Und wo Boks schon einmal in Halle ist, lässt er sich vom Geschäftsführer des Nachfolgebetriebes auch gleich noch erklären, wie Halle in den 1970er Jahren zu seiner Flut an Leuchtreklamen kam. So wie das benachbarte Leipzig schon zehn Jahre früher von Leuchtreklamen geflutet wurde – einst im sozialistischen Parteislang geradezu ein Symbol für westliche Dekadenz und enthemmten Kapitalismus. Aber die bis dahin sehr dunklen Innenstädte des Ostens erzählten eben auch eine Geschichte von Armut, Lichtlosigkeit und Zurückbleiben.
Es waren in der Regel ostdeutsche Designer, die all die Jahre dafür kämpften, dass das kleine, traurige Land ein modernes Aussehen bekam. Mit hochwertig designten Produkten und einer modernen Stadtgestaltung, die eben die Botschaft vermittelte, die die allwaltende Partei so gern mit ihrem real existierenden Sozialismus verband: dass er eine moderne Gesellschaftsordnung war, die sich sehen lassen konnte.
Mit moderner Leuchtreklame selbst in kleinen Städten wie Halberstadt, wo Boks einen Teil seiner Kindheit verlebte und noch lange das „Milchmädchen“ zu sehen war, da einst für eine für seine Zeit moderne Milchbar warb. Beim Besuch bei Claudia und Günther Höhne in Niederschönhausen bekommt Boks dann einen Einblick in die tatsächlich moderne Welt des DDR-Designs, das aber 1990, als überall alles anders werden sollte, von den DDR-Bürgern meist achtlos auf dem Sperrmüll entsorgt wurde.
Und damit sind nicht die lächerlichen Plastikeierbecher gemeint, die in „Ost-Shops“ heute immer noch angeboten werden, sondern hochwertige Designer-Produkte, mit denen die durchaus eigensinnige Designer-Garde der DDR den oft genug geschmacklich in der Vergangenheit lebenden Genossen zeigten, wie zeitlos schönes Design aussehen konnte, mit dem Produkte gestaltet werden konnten, die lange hielten und die ihren Nutzern trotzdem gefielen.
Ein Stück Moderne
Mehrere Bücher haben inzwischen eine Lanze gebrochen für diese Designwelt, die auch in ihrem Anspruch an Haltbarkeit und nicht-veraltende Schönheit sehr modern war. Und damit ein Aspekt eines Landes waren, das viel zu oft immer nur eindimensional dargestellt wird. Was inzwischen auch den Enkeln derer sauer aufstößt, die in diesem Provisorium DDR versuchten, ein eigenständiges Leben zu führen und – wie es nun einmal dieses Buch thematisiert – Anschluss an die Moderne zu halten. Die eben nicht nur dem Westen gehörte.
Ein kurzer Abschweif zum Bauhaus in Weimar und Dessau zeigt, dass die Wurzeln der Moderne auch in der DDR nicht nur existierten, sondern ganze Generationen von Designern anregten, diesen Anspruch auch in Gebrauchsprodukten für den Alltag zu verwirklichen.
Vielleicht nicht gerade in Lampen, wie sie die Leute gern im Großmutterstil kauften. Aber das Foto in einer der hochkarätigen Design-Zeitschriften der DDR von einer modernen Tischleuchte führte Boks eben auch auf eine weitere Spur zu seinem Großvater, der diese Tischleuchte nach einem in westdeutschen Katalogen gefundenen Exemplar entwarf. Irgendwie ein Plagiat, aber weil es nie in Großserie ging, auch wieder kein Fall für die Design-Gerichte.
Eher eine ganz persönliche Beziehung des Autors zu den Licht-Träumen seines Großvaters, die ihn bis nach New York führt, wo er eine ganz ähnliche Leuchte kauft, um sie daheim auf seinen Schreibtisch zu setzen und anzuschalten. Was zu einem kurzen Aufleuchten und einem schnellen Knistern führte. Der Strom aus der Berliner Steckdose war zu stark für die Lampe.
Aber das lasse sich ja reparieren, schreibt Boks, der auf dieser Suche nach der Welt seiner Großeltert ein Stück DDR kennengelernt hat, wie man es heute eigentlich nur noch in sehr speziellen Ausstellungen oder in den Lagern überlebender Leuchtenbetriebe finden kann. Da und dort auch liebevoll bewahrt wie einige der einstigen Neon-Werbe-Spiele in Leipzig.
Mit den Augen des Enkels
Und auch da trifft dieses Reparierenkönnen zu, wie es Boks in Bezug auf seine Tischleuchte erklärt: Man kann mehr als nur eine DDR rekonstruieren. Es gab eben nicht nur die eine, auch wenn SED und Stasi alles durchherrschten. Es gab jede Menge Menschen, die trotz dieser Außenbedingungen schöpferisch wurden und eine Idee einer anderen, moderneren DDR lebten und entwarfen.
Und es gab die vielen Bewohner dieses Landes, die in diesen ganz und gar nicht einheitlich gestrichenen Wänden lebten und durchaus ein eigenständig gestaltetes Leben versuchten. Die auch kleine Unternehme gründeten und die Freiräume nutzten, die gerade in den 1980er Jahren zunehmend entstanden, weil die alte Planwirtschaft immer öfter zeigte, dass sie unfähig war, die Bedürfnisse der Menschen zu decken.
Und Boks sieht das alles mit den Augen des Enkels, der hier auch seine eigene Geschichte und die seiner Familie sichtbar macht. Skizzenhaft oft. Denn eine Unternehmensgeschichte von „Bültemanns Leuchtenbau“ in dem Sinne wollte er ja nicht schreiben.
Aber gerade dieser persönliche Berührungspunkt war für ihn Anlass loszugehen und einen Teil der DDR-Geschichte zu erkunden, der einst das tägliche Leben prägte und da und dort möglicherweise tatsächlich noch in der Küche steht, von Großeltern und Eltern aufbewahrt, weil sie es nicht übers Herz brachten, das Teil einfach zu entsorgen, wie das 1990 mit ganzen Bergen von Haushaltseinrichtungen im Osten geschah.
Symptomatisch für den damals nur zu verständlichen Willen, sich von einer überwundenen Geschichte zu lösen. Nur ahnten die Meisten dabei nicht, dass sie auch Dinge wegschmissen, die sie mit den Wurzeln ihres eigenen Lebens verbanden.
Es geht letztlich auch um Verwurzeltsein, um ein Gefühl, am richtigen Platz zu sein, das vielen Ostdeutschen heute verloren gegangen ist. Auch deshalb, weil sie oft den falschen Dingen aus der DDR nachtrauern. Und das, was tatsächlich besonders und aufhebenswert war, übersehen haben.
So gesehen dürfte Boks’ Ausflug in die Welt von Leuchten und Designs für manchen Leser auch eine Anregung sein, selbst auf die Suche zu gehen.
Aron Broks„Starkstromzeit“ Harper Collins, Hamburg 2025, 22 Euro.
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