Eigentlich sollte es nur eine kleine Überarbeitung werden. Wie das so ist, wenn Buchtitel vergriffen sind und Autoren darüber nachdenken, sie für die 2. Auflage ein bisschen aufzufrischen. So war das auch für den 1998 bei B. G. Teubner erschienenen Titel "Symmetrie" von Hans Walser. Und dann gab's hier Veränderungen und da auch. Und wie das Projekt so reifte, wurde ein ganz neues Buch daraus.

Mathematiker sind auch ein ganz klein wenig Philosophen. Aber nur ein bisschen. Denn wo Philosophen staunen können ab und zu, dass die Welt volle Symmetrien steckt, sind Mathematiker auch geplagte Leute: Sie fangen gleich mal an, im Kopf die Formeln zu überlegen, nach denen die Symmetrien erzeugt wurden. Sie pflegen ein ganz besonderes Verhältnis zur Symmetrie. Denn oft genug stecken richtig schöne Knobelaufgaben drin. Wie geplagt sie sind, lässt auch der langjährige Gymnasiallehrer und Mathematikprofessor Hans Walser durchblicken. Gleich zum Einstieg, wenn er mal kurz was sagt zu “Symmetrie und Gleichmaß”: Er erwähnt den in sein Spiegelbild verliebten Narziss und auch die manchen Kindern noch bekannte Symmetrie der Kaleidoskope. Aber ach: Eigentlich sind’s ja nur bunte Glassplitter. “Die Frage, inwiefern symmetrische Figuren ‘schön’ sind, ist diskutabel.”

Und damit meint er nicht, dass er sich mit seiner Frau drüber streitet. Schönheit ist wohl wirklich nur eine mathematische Kategorie, wenn hinterher auch eine elegante Formel dabei herauskommt.
Der Rest ist augenscheinlich die reine Begeisterung des Tüftlers, der Symmetrien nicht nur entdeckt, sondern auch gleich klassifiziert, konstruiert und berechnet. Zweidimensionale und dreidimensionale. Aber auch solche aus Zahlen oder Buchstaben. Bei sozialen Symmetrien belässt der Autor es lieber beim Verweis. Da wird es nicht nur philosophisch. In der auf die reine Mathematik gebrachten Symmetrie spiegelt sich auch die Tatsache, dass der Mensch in einer Welt lebt, die durch Symmetrien geprägt ist. Und dass er seine Welt selbst in symmetrische Muster packt. Das macht die Welt nicht nur “schön” oder ausgewogen, sondern oft auch erst erkennbar.

Aber wie gesagt: Darauf lässt sich Walser gar nicht erst ein. Das wäre wohl Thema für ein eigenes Buch. Arbeitstitel: “Gesellschaftliche Symmetrien”.

In diesem hier nimmt er seine Leser erst einmal mit in die weite Welt der mathematischen und geometrischen Symmetrien. Wer Walsers andere Bücher schon in der Hand hatte, wird vieles wiederfinden, was die Welt der Geometrie zu einer Spielwiese der Knobler macht. In seinen Kursen – aber auch durch seine Bücher – regt Walser immer wieder neue Schüler an, sich selbst neue, eindrucksvolle Knobelbeispiele und Konstruktionen auszudenken. Denn die Fingerzeige auf die Anwendung von Symmetrie in der realen Welt lässt er ja nicht weg – wer kennt nicht die vielen, zuweilen augenverwirrenden symmetrischen Tapetenmuster, Pflasterarbeiten mit skurrilen Steinen, die Muster handwerklich ausgefallener Parkett- und Fliesenböden, die Ornamente an antiken Tempeln oder an den Bauwerken der arabischen Blütezeit, das Flechtwerk von Körben und Säulen. Korbmacher und Seiler wissen zwar, wie sie es gemacht haben – Mathematiker aber werden richtig munter, wenn man ihnen (wie Walser es tut) die Aufgabe stellt, die Symmetrie von Seilen zu berechnen oder zu konstruieren.

Manche Aufgaben, die er stellt, wirken ganz simpel, erweisen sich aber schnell nur als Einstieg in eine Reihe recht kniffliger Lösungen. Ein ganzes Kapitel widmet er ganz und gar der Spiegel-Symmetrie, wo es natürlich ganz schnell ganz gründlich geometrisch wird – von simplen Alltagserlebnissen wie der berühmten, perspektivisch betrachteten Pappelallee – geht es bis zu Parabeln und optischen Täuschungen.

Natürlich bekommen Ornamente, Parkette und Gitter, Spiralen und regelmäßige Vierecke eigene Kapitel, alle reich gespickt mit Aufgaben, die den Leser auffordern, jetzt doch mal sein Schulwissen wieder zum Leben zu erwecken oder sich mit einigen mathematischen Problemen, die vielleicht nicht Schulstoff waren, doch mal ein Weilchen zu beschäftigen.

Die mathematischen Bücher aus der Edition am Gutenbergplatz widmen sich im Grunde alle dieser Schnittstelle aus unserem oft so gedankenlosen Alltag zu einer Welt, in der wir wieder zum logischen, plastischen und komplexen Denken angeregt werden. Wir nutzen die Möglichkeiten unseres Gehirns viel zu wenig. Das ist nun einmal so. Wir lagern viele Aufgaben, die uns mal schwer vielen, gern aus – an kleine Rechenmaschinen zum Beispiel. Damit lagern wir aber auch eines der schönsten Erfolgserlebnisse aus, das der Mensch im Leben haben kann: die Freude über gelöste Aufgaben, die es richtig in sich haben.

Leider machen es uns viele Vorbilder der Gegenwart vor – die eigentlich keine Vorbilder sind, aber gern suggerieren, dass der Erfolg eine Art Wunder oder Geschenk ist, mühelos erreicht durch ein schön geträllertes Lied oder einen billigen Streich, der sich im Internet vervielfältigt.

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Symmetrie in Raum und Zeit
Hans Walser, Edition am Gutenbergplatz Leipzig 2014, 19,50 Euro

Dafür geht selbst bei wichtigen Akteuren unserer Gesellschaften sichtlich die Fähigkeit verloren, in komplexen Zusammenhängen zu denken oder gar Muster zu erkennen. Denn die sind überall vorhanden. Auch das trainiert dieses Buch ein wenig, etwa im letzten Kapitel, wenn sich Walser ganz der Periodizität widmet. In der Mathematik ein von den klügsten Rechnern gern beachtetes Phänomen, denn in so mancher Periodizität steckt dann das, was wir nicht nur als symmetrisch, sondern auch als harmonisch empfinden.

Etliche Übungen laden auch ein zum Basteln. Da kann man sich sogar mit den Kindern hinsetzen und wiederentdecken, was sich mit Scherenschnitten und Origami so alles anstellen lässt, wenn man das Konstruktionsprinzip begriffen hat.

Beim Lesen oder beim Nachwirkenlassen ist man sowieso in einer etwas anderen Welt, weil man wieder fokussiert ist auf die Symmetrien in unserer Umwelt. Sie sind überall. Und wer richtig aufpasst, der weiß schon, wenn er sie sieht, wie sie konstruiert werden können. Da wird die Welt zur geistigen Herausforderung. Nur ungeduldig werden darf man nicht, wenn die Wegbegleiter nur sagen: “Das ist einfach schön.” Das nimmt man dann mit und denkt sich Seins – zum Beispiel: wie faszinierend das konstruiert oder gar ganz natürlich gewachsen ist. Es ist ein etwas anderes, aber auch sehr wichtiges Staunen über unsere Welt.

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