Claus Uhlrich ist der Denkmal-Spezialist von Leipzig. Er hat schon mehrere Bücher zu existierenden, aber auch zu verschwundenen Leipziger Denkmälern veröffentlicht. Das Buch, das er jetzt vorgelegt hat, hätte auch schon gut ins Jahr 2014 gepasst: Als stiller Kommentar zum 100 Jahre zurückliegenden Beginn des 1. Weltkrieges. Denn die meisten "Kriegerdenkmale" in Leipzig sind den Toten des 1. Weltkrieges gewidmet.

Oder den “Helden”, wie auf den meisten Obelisken, Stelen, Findlingen zu lesen steht, die von Turner-, Krieger- und Sängervereinen, Schulen, Gemeinderäten oder Privatpersonen aufgestellt wurden. Eine regelrechte Flut der Erinnerungsmale, die sich schon deutlich von den Siegerdenkmalen unterscheidet, die nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/1871 aufgestellt worden waren. Und nicht nur Kriegervereine waren hinterher, Orte für die Totenehrung zu schaffen – auch die in Leipzig beheimateten sächsischen Regimenter schufen solche Denkmale, zumeist sehr groß dimensioniert, in archaischer Formensprache und mit deutlichem Verweis auf zwei Dinge: “treue Pflichterfüllung” und den “Fahneneid”. Es ging eben nicht nur darum, den vielen hundert in den Schlachten umgekommenen Soldaten ein Denkmal zu setzen – auch wenn das schon eine völlig neue Dimension war, selbst gegenüber 1870, als die sächsischen Regimenter in den heftigsten Schlachten eingesetzt wurden.

Auch im 1. Weltkrieg waren die Regimenter aus Leipzig in allen wirklich blutigen Schlachten dabei, von über 11.000 getöteten oder verschollenen Soldaten aus Leipzig berichten die Statistiken. Und als dann dieser menschenverschlingende Krieg nach vier Jahren mit einer Niederlage endete, gab es nicht einmal die Gelegenheit, wieder neue Siegessäulen ins Land zu pflanzen. Wie aber gedenkt man eines solchen Krieges, wenn sich die Siegespose von vornherein verbietet?

Claus Uhlrich hat nicht nur all die noch vorhandenen Denkmale gesammelt und aufgesucht. Er schildert ihre Entstehung, so weit das den Akten noch zu entnehmen ist, aber auch die Restaurierungen, die viele dieser Male in letzter Zeit erfahren haben. Er versucht auch die Geschichte jener Denkmale zu erkunden, die entweder schon im 2. Weltkrieg zerstört oder in den Jahren danach abgerissen wurden. Und er zitiert und interpretiert auch die Inschriften, die oft genug auch den Geist ihrer Zeit aufnehmen – oder besser: jener militaristischen Kreise, die noch im Krieg begannen, an der Dolchstoßlegende zu stricken und Revanche zu planen. Dabei pflanzen sich auch all die Legenden und Lügen der Heeresberichterstattung fort, die 1914 schon zur Befeuerung der Kriegseuphorie gedient hatten – angefangen von der Bedrohung durch “übermächtige Feinde” bis hin zum Opfertod für eine ins Heilige überhöhte Sache: das Vaterland.

Bei vielen dieser Inschriften kann man sich Typen wie Diederich Hessling geradezu vorstellen, wie sie mit Pathos in der Stimme vor schärpetragendem Publikum die Toten zu Helden hochstilisierten, das Vaterland als heiligen Gral priesen und das Verrecken in der Schlacht als Opfergabe für ein glorifiziertes Reich. Da und dort hat Uhlrich auch Inschriften und nachträgliche Ergänzungen gefunden, die dieses nationalistische Pathos hinterfragen und konterkarieren. Manche der zwischen den beiden Weltkriegen aufgestellten Gedenksteine wurden auch nach 1945 bzw. 1990 umgewidmet oder erweitert und erinnern heute an die Toten beider Kriege, auch an die Opfer aus der Zivilbevölkerung.

Eher bedenklich ist der Verlust der Gedenkstätten vom Neuen Johannisfriedhof, wo auch der Toten in Gefangenschaft gedacht wurde, wo die in den Leipziger Lazaretten Verstorbenen begraben waren, aber auch die gestorbenen Gefangenen etwa aus Frankreich. Etliche der pompösen Denkmale, die einst auf dem Südfriedhof standen, wurden seinerzeit bei Anlage des sozialistischen Ehrenhains entweder versetzt oder gänzlich entfernt. Es ist schon erstaunlich, wie sehr jegliche deutsche Gesellschaft in den vergangenen 150 Jahren zu Pomp und Pathos neigte. Da ist einem das schlichte und irgendwie verdruckste Nein zu einem heutigen Friedens- und Freiheitsdenkmal in Leipzig fast schon lieb.

Denn an einem mangelt es in Leipzig nun wirklich nicht: an Denkmalen. Auch nicht an kriegerischen. Und noch während des 2. Weltkrieges entstanden ja schon wieder die nächsten Kreuze und Gedenksteine, die nun an die Toten dieses neuen Krieges erinnerten. Zu einer pompösen Gefallenen-Ehrenhalle im Nazi-Stil kam es zum Glück nicht mehr. Selbst die Bundeswehr gedenkt heute eher zurückhaltend ihrer Gefallenen in Afghanistan. Aber wie “ihr Tod uns Mahnung” sein kann, wissen wahrscheinlich auch die hohen Offiziere nicht. Eine Mahnung an die Politik vielleicht, sich aus den Kriegen der Welt herauszuhalten? Oder die Truppe mit besserem Gerät auszustatten? Oder lieber gar nicht erst Soldat zu werden?

Es ist schon gar nicht so einfach mit diesen Sprüchen auf den Steinen. Aber kompliziert wird es in der Regel immer dann, wenn die Sprucherfinder anfangen, pathetisch sein zu wollen, wo einfach Trauer und Gedenken gefragt sind. Mehr eigentlich nicht. Aber da hindere mal einer die deutschen Denkmalstifter dran.

Uhlrich zeigt den Lesern viele Denkmale, die sonst nur der Ortskundige kennt. Sie stehen versteckt am Straßenrand oder auf Friedhöfen – oft genug ohne die Buntmetallzutaten, die ihnen einst aufgeladen wurden. Oder die Schrift von der Witterung bis zur Unlesbarkeit eingeebnet. Man versteht die Trauer um die vielen jungen Männer, die vor 100 Jahren in Flandern und anderswo verreckt sind. Den Sinn dieses Gemetzels konnten sich schon die Zeitgenossen nicht wirklich erklären. Uhlrich interpretiert das lesbare Pathos auch als Versuch, das Trauma irgendwie zu verarbeiten und dem massenhaften Tod einen Sinn zu geben. Aber der Sinn erweist sich beim genaueren Lesen selbst wieder als leer, diffus, als billige Phrase. Bis hin zu so einem aufgeblasenen “Unauslöschlich wird unter uns ihr Andenken fortleben”. Ein Spruch, der zum Glück verschwunden ist, irgendwann von der Mauer der Petri-Schule entfernt, als es einem der gezeichneten Überlebenden wirklich zu viel wurde, so einen Bockmist jeden Tag lesen zu müssen. Vielleicht war’s auch der Hausmeister, dem die Geduldsschnur riss.

Andere Phrasensteine voller Treue, Ehre, Heldensöhnen oder gar “heiligem Mut” stehen noch herum in der Gegend und künden von einer Zeit, in der mit den billigen Phrasen einer falschen Lyrik schon wieder die Wege geebnet wurden ins nächste große Schlachten.

Ein mit Fleiß erarbeitetes Buch ist das, das durchaus anregt zum Nachdenken über die Schichten unserer jüngeren Geschichte, ihr Pathos und ihre falschen Heiligtümer. Und auch über den zuweilen einfühlsamen, manchmal gedankenlosen, manchmal sogar witzigen Umgang mit diesen ererbten Malen, von denen einige tatsächlich zum Denken anregen, andere machen nur Kopfschmerzen, weil man so verdreht gar nicht denken kann, wenn man nüchtern ist.

Claus Uhlrich “Die Toten mahnen. Kriegerdenkmale in und um Leipzig“, Pro Leipzig, Leipzig 2015, 16 Euro

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