Das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern ist manchmal nicht ganz einfach. Die kleinen Rabauken testen aus, wie weit sie gehen können, bis Papa und Mama entweder an die Decke gehen oder verzweifeln. Und damit sie damit aufhören, versuchen die Großen, die Kleinen ein bisschen zu erschrecken. Mit schielenden Augen, schwarzen Füßen und Fingern, die in Nasen stecken bleiben.

Manchmal ist es nur hilflos. Manchmal haben auch schon die Großeltern so etwas erzählt, oft aus gutem Herzen. Denn eigentlich will ja niemand, dass die Kinder schlechte Manieren zur Gewohnheit werden lassen oder sich gar selbst schaden, indem sie sich zum Beispiel mit Cola volllaufen lassen.

Irgendwie muss es auch im Leben der Ravensburgerin Martina Badstuber solche Szenen gegeben haben. Szenen, die sich möglicherweise wiederholten, als die 1972 Geborene selbst Mann, Sohn, Tochter und einen Kater bekam. Und dann schaut man sich als Elternteilchen im Spiegel an und fragt sich entsetzt: Warst du das eben wirklich? Hilfe!

Kann passieren. Manche Sprüche sind so fest eingebaut ins tägliche Sprücheklopf-Programm der Menschen, dass man meistens erst viel später stutzig wird über das, was man da gesagt hat. “Leichte Schläge auf den Hinterkopf erhöhen das Denkvermögen”, zum Beispiel, ein Spruch aus der ganz schwarzen Klamottenkiste. In vielen Familien ist er abgeschafft. Aber manchmal kommt man eben doch in Familien und neue Bekanntenkreise, wo einem freundlich dreinschauende Herren mit voller Überzeugung genau diesen Spruch sagen. Meistens gibt’s dann noch ein paar markige Worte zu Strenge und Disziplin in der Erziehung. Und man bekommt als Unbeteiligter das mulmige Gefühl, dass Vater Streng genau mit der Haltung auch bei Pegida mitlatschen könnte, niemals daran zweifelnd, dass seine Kraftmeierei zu guten Ergebnissen führt.

Das muss aufhören, fand wohl auch Martina Badstuber. Und hat mal lauter Sprüche gesammelt, in denen der Erziehungsblödsinn zu Stereotypen erstarrt ist. Manches ist wahrscheinlich nur noch ein Spaß in der Abendstunde, wenn Eltern im Schlafzimmer überrascht werden und der Knirps neugierige Fragen stellt. Dann bringt schon mal noch der Klapperstorch die Babys. Das ist so ungefähr die Märchenwelt von Weihnachtsmann, Osterhase und Sandmännchen. Es gibt Kinder, die lassen Eltern lange in dem Glauben, dass sie glauben, was die Alten erzählen. Man will sie ja nicht enttäuschen. Und hat schon längst das gut versteckte Frage-Antwort-Buch aus dem Klett Kinderbuch Verlag gefunden (in Mamas Nachtschrank zum Beispiel): “Klär mich auf!”

Kinder fragen ja nicht, damit sie dann doch wieder verscheißert werden. Sie wollen das wirklich wissen, auch wenn’s erst mal nur Erwachsenenkram ist. Und so hat Martina Badstuber nicht nur witzige Zeichnungen zu bekloppten Sprüchen gestellt, sondern auch kleine Texte geschrieben, die erklären, was falsch ist am Spruch. Es ist also eine Art Geheimwaffe, die sie den Kindern hier an die Hand gibt, damit sie schnell mal nachschlagen können, wenn wieder so ein blöder Spruch kommt. Etwa “Indianer kennen keinen Schmerz”, wenn’s doch mal richtig brennt und blutet und man eigentlich nur mal kurz getröstet, verpflastert und in den Arm genommen werden will. Aber so mancher Spruch stammt ja aus Zeiten, in denen Eltern von ihren Eltern oder anderen nichtsnutzigen Autoritäten gelernt haben, dass Gefühle zu zeigen etwas ganz Un… – Jetzt hätte ich aber fast was geschrieben. Aber es fällt schon auf, wenn sich die Ergebnisse von schwarzer, grauer oder sonstiger Wir-sind-ordentliche-Leute-Erziehung dann in ausgewachsenem Zustand auf der Straße zeigen und laut grölen, sie seien das Volk. Und auch noch Indianer-T-Shirts tragen.

Die haben’s wirklich nicht mitgekriegt. Und deren Eltern und deren Sprüche kann man sich dabei sehr gut vorstellen.

Natürlich kennen Indianer Schmerz. Und Kinder, denen Blödsinn über schwarze Füße erzählt wird, lernen nie, warum süßer und fetter Kram tatsächlich krank macht. Dick sowieso. Dass das mit dem Spinat nur ein falsches Forschungsergebnis war, hat sich ja herumgesprochen. Deswegen zwingen kluge Mütter ihre Kinder auch nicht mehr, den Spinat unbedingt zu essen – versuchen mit ihnen zusammen aber trotzdem herauszubekommen, wie gut all das schmeckt, was es nicht als Fastfood an der Ecke zu kaufen gibt. (Übrigens auch besser als Schokolade, auch wenn eine Tafel Schokolade mehr Eisen enthält als Spinat. Dafür ist sie aber süß und fettig.)

Und sie zwingen die Kleinen auch nicht zum Tellerleeressen. Gar mit der Erpressung, dann würde das Wetter schlecht.

Es ist ein schönes Gemix aus schwarzer und dummer Erziehung, das Martina Badstuber hier angerührt hat. Und wenn man so nachdenkt, fallen einem noch viel mehr solcher Sprüche ein, die alle eines gemeinsam haben: Sie machen die Sprücheklopfer unglaubwürdig. Denn irgendwann bekommen die meisten Kinder mit, dass die Dinge doch ganz anders sind. Oder sie rebellieren, weil sie zwar nicht wissen, was falsch ist an den Schlägen auf den Hinterkopf, aber sich so auch von ihrem Vater nicht behandeln lassen wollen. Auch wenn noch immer – siehe oben – ein Haufen nichtsnutziger Väter glaubt, dass Drohung, Kraftmeierei und Nötigung zur Erziehung gehören.

Zur schwarzen Erziehung schon. Zur Erziehung von Patrioten, Chauvinisten und Egoisten – ja. Aber das kann ja wohl nicht Ziel von Erziehung sein. Höchste Zeit also, nicht nur aufzuräumen mit den Sprüchen, sondern auch für ein kleines Stück Aufklärung, das die Autorin und Illustratorin hier leistet. Auch für Eltern geeignet, die durch eine kurvenreiche Erziehung selbst nicht so recht wissen, was sie denn nun eigentlich falsch machen. Ist Popeln nun gesundheitsschädlich? Oder nur einfach ein Zeichen fehlender Rücksichtnahme? Ist das Verschlucken von Kaugummi oder Kirschkernen nun schlimm, und wenn nein, warum?

Manchmal ist es ja auch andersrum: Kinder erzählen Quatsch und Erwachsene sind in Not, die Sache richtig zu erklären. Auch da hilft dieses Buch. Und wenn noch zu viele Quatsch-Sprüche übrig sind, die Martina Badstuber vergessen hat, legt der Verlag bestimmt gern noch einen Folgeband auf.

Dieser hier kommt am nächsten Montag in die Läden. Da wird man dann viele aufgeregte Eltern mit Einkaufsnetz Schlange stehen sehen: “Bitte einmal das Quatsch-Buch mit dem Spinat drin.” Das mit den viereckigen Augen vom Fernsehgucken ist irgendwie zwar nicht mit drin. Aber da war die Erklärung, warum man vom Fernsehen so ein Matschgefühl in der Birne bekommt, wohl zu lang geraten und kommt demnächst als eigenes Buch. Aufklärung kann es nie genug geben. Und wenn Eltern lernen, auch mal zu sagen, dass sie nicht alles wissen, erhöht das – man staune – in der Regel das Vertrauen der Knirpse. Die lernen dann selber, Dinge rauszufinden und holen flugs das Quatsch-Buch, wenn’s mal wieder so ist.

Martina Badstuber “So ein Quatsch, Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig 2015, 12,95 Euro.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar