Die Reihe mausert sich. Irgendwann gibt es ein ganzes Regal mit quadratisch-praktischen Rezeptsammlungen aus allen Regionen Deutschlands. Und dann hat man direkt vor Augen, wie vielfältig die deutschen Küchen sind. Immer noch. Und alle diese kleinen Kochregionen sind zu Recht stolz auf ihre Besonderheit. Tatsächlich laden diese Bücher ein, das ganze Land einfach mal kulinarisch zu bereisen.

Was wahrscheinlich die beste aller Ideen ist, wenn die vereinigten Tourismus-Manager alle „Destinationen“ immer mehr zum „Event“ machen, die „Highlights“ aufblasen und „Activity“-Pakete schnüren. Wer kann sich da noch erholen? Wo ist da noch der Unterschied zum event-beladenen Alltag? Die Luft zu verschnaufen, die Ruhe, endlich einfach mal für ein paar Tage loszulassen?

Dabei bieten sich Regionen wie Schleswig-Holstein geradezu an. Man kann sie mit dem Fahrrad erschließen. Und Günter Pump erklärt auch, warum es sich selbst im nördlichsten Bundesland vielleicht lohnt, mehrmals wiederzukommen, weil selbst dieses Land zwischen den Meeren aus unterschiedlichen Ecken besteht, wo jedes Völkchen so seine eigenen Süppchen kocht. Oder Fische brät. Oder Kohl erntet.

Man lernt sogar solche erstaunlichen Dinge wie: dass die Kieler Sprotte gar nicht aus Kiel kommt. Die Reichsbahn ist schuld daran. Und dass hier das größte Gemüseanbaugebiet Deutschlands liegt, weshalb frischer Kohl in vielen, vielen Gerichten auftaucht. Es ist eher ein Bauernland als ein Fischerland, eines, wo den Menschen der Schalk im Nacken sitzt. Wenn der Pfarrer von der Kanzel nur noch Verzicht predigt, dann versteckt man den guten Rum eben in einer sahnebeschäumten Tasse Kaffee und nennt das Ganze – hat ja der Pfarrer selbst gesagt – Pharisäer.

Natürlich gibt es trotzdem herrliche Gerichte mit Kabeljau, Nordseekrabben und Dorsch. Ordentlich gesammelt im Kapitel mit den Fischgerichten. Aber dabei übersieht man auch nicht, dass diese windumtoste Landschaft auch immer ein Land der Viehzucht war. Auf dem Ochsenweg wurden einst jedes Jahr zehntausende Ochsen südwärts getrieben, damals, als alles noch zu Fuß und zu Huf unterwegs war und die Eisenbahn noch nicht erfunden.

Und nicht nur Rind kommt im Kapitel Fleisch- und Wildgerichte auf den Teller, sondern auch Schweine, Lämmer, Puten und Enten. Und mittendrin erfährt der seitenweise Reisende auch, woher das Labskaus kommt, das es heute wohl auf den Schiffen draußen auf dem Ozean nicht mehr gibt, dafür als Spezialität in den nordischen Gaststätten. Mittendrin natürlich die alte Seemannsration: Corned Beef.

Da weiß man also, was aus den schwarz- und braunbunten Rindern, die man draußen auf den Wiesen sah, am Ende wird. Wenn man nicht gerade in der Ecke mit den großen Kohl- und Kartoffelfeldern unterwegs war, um am Ende der Tour zu erfahren, dass man aus Kartoffeln sogar süßen Pudding machen kann. Die Leute hier wussten schon, wie man sich gut ernährt und etwas Ordentliches auf den Teller bekommt.

Spätestens bei den „Mehlspeisen mit Tradition“ merkt man, dass man hier wirklich in einer ganz besonderen Ecke gelandet ist – wenn der Große Hans auf den Tisch kommt, der Ofenkater oder der Dithmarscher Mehlbeutel.

Ist das also nur ein rustikales Land? Ganz und gar nicht. Aber ein besonderes, das sogar aus Kohlallerlei eine süße Nachspeise macht. Die Birnen sind ja schon in jenem unvergleichlichen Gericht namens Birnen, Bohnen und Speck gelandet. Irgendwie gelangt man dann am Ende ganz unerwartet in die Rum-Stadt Flensburg. Sozusagen auf einen Absacker, einen heißen Rumgrog, falls das Wetter doch noch mal etwas kälter und bissiger werden sollte.

Gelernt hat man ja eine Menge: warum Miesmuscheln heute rund um die Welt verbreitet sind, wie man eine Auster mit dem Austernmesser richtig öffnet, was man vom Helgoländer Hummer eigentlich essen kann und warum der Matjes Matjes heißt und Glücksburg im Frühsommer in einen regelrechten Festtaumel stürzt. Reisen bildet. Und wer mit wachen Sinnen von Gasthaus zu Gasthaus fährt, der bekommt wahrscheinlich mehr von Land und Leuten mit, als wenn einer den Anpreisungen der Tourismusprospekte folgt.

Den Dichter Hebbel bringt Günter Pump noch ins Spiel. Aber das ist Geschmackssache. Ich würde mir wohl eher Theodor Storm in den Rucksack packen und losfahren und mit meinem Drahtesel vorsichtshalber ausweichen, wenn der Deichgraf mit seiner Kutsche angepfeffert kommt. Und hinterher im nächsten Krug eine ordentlich söötsuure Suppe bestellen. Und einen Schlick-Schluck, um wieder ruhig zu werden.

Günter Pump Die besten Rezepte aus Schleswig-Holstein, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2018, 9,95 Euro.

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