Am Freitag, 22. November, findet ab 11.15 Uhr in der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (Karl-Tauchnitz-Straße 1) ein Akademie-Kolloquium unter dem Titel "Die anthropologische Differenz" statt. Dabei steht ein Forschungsprojekt genau unter diesem Titel im Mittelpunkt.

Das im April 2012 angelaufene, vom Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst finanzierte Forschungsprojekt “Die anthropologische Differenz” widmet sich der Frage nach dem Unterschied des Menschen von den anderen Tieren. Philosophen und Entwicklungspsychologen ergründen gemeinsam, welchen Sinn die Behauptung eines solches Unterschieds haben kann und wo der Unterschied zu verorten ist.

Philosophen haben immer wieder behauptet, dass es einen solchen grundlegenden Unterschied gibt. So wurde vorgeschlagen, der Mensch unterscheide sich dadurch vom Tier, dass er allein ein sprachfähiges, vernünftiges, kulturelles, politisches oder moralisches Wesen sei. Oder sein könnte, wenn er sich denn ein wenig Mühe gibt.

Die empirische Forschung hat das jedoch zunehmend in Frage gestellt, indem sie auf Analogien zu all diesen Fähigkeiten bei anderen Tierarten hinwies. Das setzt jedoch voraus, dass der Unterschied zwischen Mensch und Tier eine bestimmte Form annimmt: die einer besonderen Fähigkeit neben anderen. Und das ist nicht selbstverständlich: Man kann die traditionelle Behauptung auch so verstehen, dass der Mensch sich von anderen Tieren nicht dadurch unterscheidet, welche Fähigkeiten er hat, sondern wie er sie hat.

Und vor allem: wie rational er damit umgeht. Denn viele Erscheinungen in der Geschichte machen auch das “Tier im Menschen” sichtbar, die “Bestie Mensch”. Ganz abgesehen von den teilweise mehr als diffizilen menschlichen Erkundungen unter dem Label “Die Schöne und das Biest” – hollywood-reif oder als artifizielles Malwerk, wie aktuell in der Ausstellung “Die Schöne und das Biest” im Museum der bildenden Künste zu besichtigen.Aber gerade weil das in dieser Weise pop-artig möglich ist, das Thema zu präsentieren, wird auch deutlich, wie bemüht die moderne Welt ist, die Grenzen zum Tierreich und zum tierischen Erbe der Menschheit zu erkunden oder zu verschleiern. Das begann ja bekanntlich schon in der Aufklärung und mit dem durchaus ernst gemeinten Erziehungsansatz Rousseaus, der der jahrhundertelang dominierenden christlichen “Erbsünde” (die sich in den Bildern von Mel Ramos und Richard Müller in der Ausstellung “Die Schöne und das Biest” künstlerisch gespiegelt wiederfindet) mit seiner Idee vom “edlen Wilden” konterkarierte. Was dann eine ganze Kunstrezeptionsgeschichte über J. F. Cooper bis zu Karl May und weiter ergab.

Wirklich im Reinen war der moderne Zivilisationsmensch mit der von ihm geschaffenen Gesellschaft nie. Im Gegenteil, die “Entfremdung” wurde im 19. Jahrhundert zum Synonym für ein mal leises, mal sehr lautes Unbehagen des Bürgers an seiner selbstgeschaffenen Kultur. Ein Unbehagen, das auch immer gern in Irrationalität verfiel, das Gegenteil der so gern geforderten und gefeierten Vernunft. Da runzeln selbst Anthropologen gern die Stirn: Ist der Mensch nun ein vernünftiges Tier? Oder nur ein vernunftbegabtes?

Und was sorgt tatsächlich dafür, dass Menschen – trotz all ihrer Irrationalitäten – fähig sind, zivilisatorische Fortschritte zu machen? Da ist dann die gute Frage: Wo kommt das her? Liegt es in den Genen oder sorgt der menschliche Erziehungsprozess selbst zur Formung eines gesellschaftlichen Kosmos, der am Ende vielleicht sogar vernünftiger ist als jeder einzelne seiner Träger?

Fragen über Fragen. Mit zweien beschäftigt sich das Kolloquium am Freitag.

Dr. Andrea Kern, Professorin für Geschichte der Philosophie beschäftigt sich in ihrem Vortrag mit dem Thema: “Die Quelle der Vernunft – Natur oder Erziehung?” Allein das wäre schon ein tagesfüllendes Thema. Aber ihr Instituts-Kollege Dr. des. Christian Kietzmann beschäftigt sich in seinem Vortrag noch mit einem weiteren Aspekt: “Evolution der Kooperation?” Immerhin ein Feld, von dem gerade Soziologen vermuten, dass es den eigentlichen Unterschied zwischen Wildheit und Zivilisation ausmacht. Und nicht nur das: Erst die vielfältigen Kooperationsmuster scheinen menschliche Gesellschaften auch dazu befähigt zu haben, immer komplexere Zivilisationsstufen zu schaffen und immer unabhängiger vom wilden, natürlichen Ursprung des Homo Sapiens zu werden.

Was ja bekanntlich neue Gefahren in sich birgt. Das reine Staunen über den “menschlichen Fortschritt”, das im 19. Jahrhundert dominierte, ist schon mehrfach einer abgrundtiefen Skepsis gewichen, ob menschliche Gesellschaften es überhaupt jemals schaffen werden, die irrationalen Wesenszüge loszuwerden.

Und weil das alles reineweg Stoff zum Nachdenken ist, gibt es anschließend auch wieder eine Diskussion. Interessenten sind herzlich willkommen.

www.saw-leipzig.de/aktuelles/akademie-kolloquium-die-anthropologische-differenz

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