Trier hat einfach Glück. An diesem Geburtstagskind kommt im Jahr 2018 einfach keiner vorbei. Denn: Entgegen aller Prophezeiungen ist Karl Marx nicht tot. Im Gegenteil. Seine Analysen zu Kapital und Globalisierung werden immer aktueller. Und seine Kritik an der gesellschaftlich produzierten Armut ebenfalls. Dass das Ursachen in seiner Kindheit und Jugend hat, zeigt jetzt ein Trierer Forschungsprojekt.

Denn: In Trier lebte der jugendliche Karl Marx Tür an Tür mit der Armut. Seine Nachbarn Mathias Becker, Mathias Consbrück und Peter Walsdorf beispielsweise hatten ihre liebe Mühe und Not, sich und ihre meist vielköpfigen Familien über Wasser zu halten. Auf seinen Wegen durch Trier begegnete der junge Marx aber noch größerem Elend. Menschen, die sich „dem Trunk ergaben“ oder die wegen ihres hohen Alters oder aufgrund von Krankheiten keinerlei Einkommen hatten.

Dank eines außergewöhnlichen Digitalisierungsprojektes kann man sich jetzt mit Karl Marx auf einen virtuellen Rundgang durch das Trier des Jahres 1832 begeben.

Entstanden ist diese Präsentation an der Universität Trier unter Leitung von Stephan Laux, Professor für Geschichtliche Landeskunde. Im Eingangsbereich der Ausstellung zum Marx-Jubiläumsjahr im Trierer Stadtmuseum Simeonstift ist die Medienstation seit dem 5. Mai zu sehen. Neuerdings ist sie auch unter der folgenden Domain im Internet zugänglich: www.armenkarte1832.uni-trier.de.

Seit 1831 überzog die Cholera das Land. Arme galten bei der Verbreitung der Krankheit als Risikogruppe. Daher verschafften sich preußische Beamte in Trier 1832 mit Hausbesuchen ein Bild dieser sozialen Gruppe. In ihren Listen erfassten sie nicht nur die Wohnorte und biografischen Daten der Armen. Unter der Rubrik „Moralität“ ist darin etwa über den Tagelöhner Christoph Friedrich zu lesen, er sei „betrügerisch, arbeitsscheu und dem Trunk ergeben“. „Er bettelt, säuft und flucht auf Gott und die Menschen“, wird ein gewisser Martin Görgen beschrieben.

Die grünen Punkte im Stadtplan markieren die Haushalte, die in den Armenlisten geführt sind. Das rot markierte Haus in der Simeonstraße 8 nahe der Porta Nigra ist das Haus, in demKarl Marx seine Jugend verbrachte. Foto: Uni Trier
Die grünen Punkte im Stadtplan markieren die Haushalte, die in den Armenlisten geführt sind. Das rot markierte Haus in der Simeonstraße 8 nahe der Porta Nigra ist das Haus, in dem Karl Marx seine Jugend verbrachte. Foto: Uni Trier

Professor Laux und seinen Mitarbeitern fielen die Armenlisten bei der Arbeit an einer Edition von Quellen zur Geschichte der Stadt Trier in der frühen Preußenzeit in die Hände. Die darin enthaltenen Angaben zu den armen Familien übertrugen sie in einen um 1845 entstandenen Stadtplan von Trier. Die nunmehr digital verfügbare Version bietet dem Nutzer Straße für Straße einen Überblick über darin lebende mittellose Familien – und vieles mehr.

„Das Portal liefert über seine Filterfunktionen Hintergrundinformationen und Auswertungen per Mausklick, die auf herkömmliche Weise aufwendige Recherchen erfordern würden“, erklärt Matthias Schneider, der für die fachwissenschaftliche Umsetzung und Koordination des Projektes in Verbindung mit Niklas Alt (Programmierung) und Peter Albertz (Design) zuständig ist.

„Im Rückenwind des Marx-Jahres war der Fund ein Glücksfall“, erinnert sich Stephan Laux. „Die Armenliste hat uns in die Lage versetzt, den jugendlichen Karl Marx in seinen Raum und seine Zeit einzubetten.“

1832 besuchte der 14-Jährige das humanistische Gymnasium im ehemaligen Jesuitenkolleg. Er war also als Schüler in dieser von Armut geprägten Stadt unterwegs.

Im Hinblick auf die wissenschaftliche Aussagekraft dieses Armutskatasters in der Auseinandersetzung mit Marx gibt sich Laux zurückhaltend: „Wir können nicht behaupten, dass wir damit wissen, was Marx geprägt hat. Wir bilden aber ab, was er wahrgenommen haben muss: Marx war in diesen Jahren in seiner Umgebung mit einer lebensbedrohenden Misere konfrontiert.“

Dieses Faktum und die Erkenntnis, dass das Elend eine wichtige Triebfeder seiner Werke war, legen zumindest den Schluss nahe, dass die in der Trierer Armenkarte verbildlichten sozialen und wirtschaftlichen Missstände Karl Marx’ Entwicklung und Werke beeinflusst haben.

Mit der digitalen Armutskarte ist Stephan Laux’ Forschungsinteresse nicht erloschen: „Wir wollen den Weg fortsetzen und einen wissenschaftlichen Mehrwert bieten.“ Zwei Forschungsrichtungen hat er dabei im Blick: Zum einen den Untersuchungszeitraum über die Momentaufnahme des Jahres 1832 hinaus zu erweitern und zum zweiten weitere soziale Gruppen der Stadtbevölkerung ins Blickfeld zu nehmen.

Auf den Spuren Kaiser Konstantins und des jungen Karl Marx durch Trier

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