Nicht nur über Hochschulpolitik in Sachsen wurde am 19. Juni im Landtag debattiert. Auch über Schulpolitik und den organisierten Lehrermangel in Sachsen, der sich mit dem Schuljahr 2014/2015 weiter zuspitzen wird. Denn das, was Kultusministerin Brunhild Kurth (CDU) jetzt zum Schuljahresende als Neueinstellung feiert, reicht nicht einmal, um die Altersabgänge zu kompensieren.

“Ja, am ersten Schultag wird vor jeder Klasse ein Lehrer stehen – aber nur am ersten Schultag, und dann vor vollen Klassen und ohne Reserve.” Mit diesen Worten kommentierte am Donnerstag Dr. Eva-Maria Stange, bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, die Beteuerungen von Kultusministerin Kurth zur Lehrerversorgung im kommenden Schuljahr. “Was Sie hier derzeit machen, ist das blanke Chaos”, verwies die Bildungsexpertin auf immer neue Zahlen zu Neueinstellungen von Lehrerinnen und Lehrern, die jedoch keiner kritischen Prüfung Stand halten würden.

“Sie wollen Eltern und Schüler für dumm verkaufen.” So sei die Ankündigung, dass in diesem Jahr 1.305 Lehrerinnen und Lehrer neu eingestellt würden, eine Mogelpackung. Ein Teil dieser angeblich neuen Pädagogen unterrichte bereits, deren Stellen würden lediglich entfristet. “Das sind also keine zusätzlichen Stellen”, betonte Stange. Zudem werde weniger als einem Drittel der neuen Lehrer überhaupt eine unbefristete Stelle angeboten. Und die jüngst verkündeten, angeblich zusätzlichen, 185 Stellen würden ausschließlich befristet vergeben. “Das ist keine Personalplanung, sondern Chaos.”

“Die Regierung versucht lediglich, sich über die Landtagswahl am 31. August zu retten. Auf der Strecke bleiben dabei die Schülerinnen und Schüler sowie deren Lehrer, die mit immer schlechteren Unterrichtsbedingungen konfrontiert sind”, stellt Stange fest. “Die SPD fordert eine Personalplanung, die die wachsenden Schülerzahlen und den altersbedingten Abgang der Lehrkräfte bis 2020 berücksichtigt.” Zum einem müsse für jeden ausscheidenden Lehrer, der in den Ruhestand geht, ein neuer Kollege eingestellt werden. Zudem müssten jährlich 500 zusätzliche Lehrer hinzukommen – bis 2020 in Summe 2.500. “Nur so können heute die jungen Lehramtsbewerber gehalten, die Qualität des Unterrichts bei steigenden Schülerzahlen gesichert und die Anforderungen zur Integration von Kindern mit Behinderung umgesetzt werden. Alles andere ist Flickschusterei auf dem Rücken der Kinder und Lehrer.”

Am Mittwoch, 25. Juni, wollen Schüler und Studenten in Leipzig gegen diese Chaospolitik in Sachen Bildung demonstrieren. Aber selbst die Demonstrationen direkt vor den Regierungsgebäuden in Dresden in jüngster Vergangenheit haben bislang nichts geändert – außer dass die “Notpaket”-Politik im Kultusministerium immer hektischer geworden ist. Diese visionslose Staatsregierung sei versetzungsgefährdet, findet Cornelia Falken, die bildungspolitische Sprecherin der Linken.

Dass auch die frisch angekündigten “zusätzlichen” Lehrer nichts als ein Placebo sind, erfuhr sie gleich in der letzten Woche: “Als ich gestern früh beim Frühstück die Zeitung las, wie ich das jeden Morgen tue und Sie dies sicherlich auch so handhaben, las ich den Artikel und stellte fest: Oh, ganz toll, das Schuljahr ist gut vorbereitet, Herr Tillich hat ein Machtwort gesprochen. Jetzt wird alles gut Aber ich hatte den Artikel noch nicht einmal zu Ende gelesen, da rief ein Lehrer aus der Förderschule Am Rosenweg an und teilte mir mit: ‘Conni, das, was da in der Zeitung steht, stimmt überhaupt nicht.'” So begann sie ihre Landtagsrede. Und setzte fort: “Ich saß im Auto und fuhr zum Landtag. Das Telefon klingelte, die Elternvertreter einer Grundschule aus Leipzig riefen an und sagten: Frau Falken, stimmt denn das jetzt, was da in der Zeitung steht oder stimmt das nicht?”Falken bezweifelt, dass die aktuelle Staatsregierung überhaupt wissen will, wieviele Lehrerinnen und Lehrer tatsächlich gebraucht werden. Denn Politik wird nicht mit realen Betreuungszahlen gemacht, sondern mit den Sparvorgaben aus dem Finanzministerium.

“Sie vermitteln in der Öffentlichkeit den Eindruck, dass weder die Staatsregierung noch das Kultusministerium noch die Regionalstellen wirklich wissen, was zurzeit benötigt wird und welche Lehrer wirklich zur Verfügung gestellt werden. Meine Kollegen haben es schon gesagt und ich will es noch einmal wiederholen; denn Herr Bienst hat jetzt noch eine neue Zahl ins Spiel gebracht: Sind es nun 1.000 neue Einstellungen, sind es 775 neue Einstellungen, sind es vielleicht sogar 1.305 neue Einstellungen, wie es Herr Belafi aus der Sächsischen Bildungsagentur benannt hat?”, benannte Falken das Chaos der Verlautbarungen. “Oder ist es vielleicht die neue Zahl? Herr Bienst, ich will Ihnen das zugute halten, Sie waren vielleicht aufgeregt und hatten einen Versprecher. Sind es vielleicht doch nur 755 Einstellungen? Mit diesen Zahlen, die Sie derzeit in die Öffentlichkeit werfen – vielleicht ist es ja doch ein Staatsgeheimnis -, verwirren Sie die Bevölkerung im Freistaat Sachsen extrem. Das ist nicht hinzunehmen!”

Eigentlich – so stellte sie fest – könnte ein ordentlich planendes Kultusministerium die Lehrerzahlen über Jahre hinaus genau angeben, die entsprechenden Studienplätze und Neueinstellungen kalkulieren. Personalentwicklungskonzept nenne man so etwas. Aber das scheint es derzeit in der Sächsischen Staatsregierung gar nicht zu geben.

“Sie kennen die Schülerzahlen, Sie kennen die Altersstruktur im Lehrerbereich, Sie kennen die Stundentafel. Ein solches Schuljahr muss man sehr langfristig vorbereiten”, erläuterte Falken das, was eigentlich selbstverständlich sein sollte. “Spätestens im April geben die Schulleiter ihre Meldungen für den Bedarf des kommenden Schuljahres ab. Das ist ein Org.-Erlass. Das kennen Sie alle. Da wird immer ein Jahr vorher festgelegt, was darin zu stehen hat, damit die Schulleiter auch wissen, was kommt, sprich Klassen- und Gruppenbildung. Im Mai durften die regionalen Stellen mit Genehmigung des Kultusministeriums – da wurde schon an dem großen Brett gezogen – 118 Lehrer einstellen. 118! Im Juni durften dann weitere 482 Lehrer eingestellt werden, davon eine sehr große Anzahl – die Zahlen sind alle schon gefallen, ich will sie nicht wiederholen – nur mit einer befristeten Einstellung. Von den unbefristeten Einstellungen sind bisher 75 % erfolgt – zumindest entnehme ich das der Zeitung; ob das stimmt, weiß ich nicht, aber da glaube ich vielleicht einmal der Zeitung – und die Verträge unterschrieben. Bisher, also vier Wochen vor Schuljahresende. Mit den unbefristeten Einstellungen ist man noch beschäftigt.”

Die restlichen 185 neuen Lehrer werden dann vielleicht bis Juli einen Vertrag bekommen.

“Die größte Unverfrorenheit ist aber, dass Sie weniger junge Leute unbefristet einstellen, als jetzt ausscheiden. Fast 100 Stellen weniger werden unbefristet eingestellt. Das heißt, diese jungen Leute bekommen nur einen befristeten Vertrag. Was soll ich als Politikerin denn davon halten? Was halten denn die Lehrerinnen und Lehrer, die Eltern davon?”, fragte Falken. “Das heißt doch ganz klar, dass Sie im nächsten Parlament, falls Sie da noch regieren, einen Stellenabbau im Lehrerbereich vorbereiten. Sonst macht das überhaupt keinen Sinn. Sie könnten doch wenigstens so viele unbefristete Lehrer einstellen, wie jetzt ausscheiden. Aber selbst das tun Sie nicht. Sie stellen Lehrer nur befristet für ein Jahr ein, und Sie haben auch noch befristet eingestellte Lehrer im System, die bis zum 31. Dezember tätig sind.”

Doch selbst auf diese Brandrede bekam Falken nur eine ausweichende Antwort der Kultusministerin. Brunhild Kurth jedenfalls scheint felsenfest überzeugt zu sein, dass weniger Lehrer im nächsten Schuljahr durchaus genug sind, um mehr Schüler zu unterrichten. Und wie soll damit das Thema Integration angegangen wären, dessen sich die Staatsregierung seit dem Frühjahr ebenfalls rühmt?

“Sind in diesen Berechnungen wirklich alle Stunden für die Integration enthalten? Sind bei diesen Berechnungen die Langzeitkranken bereits herausgerechnet? Alle Faktoren, die sich negativ auf die Stellenberechnung auswirken, müssen natürlich herausgerechnet werden, bevor ich sagen kann, dass der Bedarf eindeutig gedeckt werden konnte”, sagte Falken. Und staunte ganz öffentlich über die seltsame Personalpolitik im Hause Tillich: “Frau Ministerin, dass Sie sich bei Herrn Tillich dafür bedanken, dass er sich dort eingemischt hat, kann ich persönlich nachvollziehen, aber dass es erst so weit kommen musste, verstehe ich nicht. Es ist nicht so, dass Sie im Haus gesagt haben, wir brauchen zusätzliche Stellen, sondern es gab den Druck der Eltern, die gesagt haben: Wir wollen endlich wissen, in welche Schule unsere Kinder gehen. Sie haben die Mitteilungen an die Eltern erst eine Woche später herausgegeben. Die Signale aus den Regionalstellen waren eindeutig, dass es nicht reichen wird und dass die Verdichtung von Klassen nicht funktioniert.”

Falken jedenfalls glaubt nicht daran, dass das Kultusministerium die Sache bis September in den Griff bekommt.

Die Demo von Landesschülerrat und der Konferenz der Sächsischen Studierendenschaften findet am Mittwoch, 25. Juni, ab 13 Uhr auf dem Augustusplatz in Leipzig statt.

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