Eigentlich hätte das IfL auch Karten für 1995 und 1989 erstellen können, dann wäre der Effekt noch deutlicher geworden. Aber Caroline Kramer hat sich für die neue Karte im Nationalatlas des Instituts für Länderkunde auf die Jahre 1997 und 2012 beschränkt. Auch dieser Vergleich zeigt schon, wie die östlichen Bundesländer in Sachen Schulabschluss völlig die Zeit verpennten und die westlichen Bundesländer einfach davonzogen.

Sachsen muss man dabei gar nicht ausnehmen. Im Gegenteil. Der Freistaat hat seit 1997 weiter abgebaut. Im doppelten Sinn. Die staatliche Fokussierung auf die Mittelschule als Normalschule hat die denkbar schlechtesten Ergebnisse gebracht und den so gern beschworenen Leistungsgedanken völlig ad absurdum geführt. 9,8 Prozent der Schulabgänger ohne Abschluss, das ist ein Armutszeugnis, selbst im bundesweiten Vergleich. Solche Werte kannte man 1990 nur aus westlichen Bundesländern. Aber die haben sich sichtlich berappelt.

Die Zahl der Jugendlichen ohne Schulabschluss ist seit Jahren rückläufig. Dennoch verließen 2012 immerhin 5,5 Prozent der Schülerinnen und Schüler aus den allgemeinbildenden Schulen das Schulsystem ohne einen Abschluss. Besonders betroffen sind Jugendliche in den neuen Ländern. Den Negativrekord hält Mecklenburg-Vorpommern. Dort blieben 12,4 Prozent der Jugendlichen ohne Schulabschluss, gefolgt von Sachsen-Anhalt mit 11,5 Prozent und Sachsen mit 9,8 Prozent. Der bundesweite Durchschnitt lag 2012 bei 5,5 Prozent. Insgesamt starten männliche Jugendliche weitaus häufiger als Mädchen und doppelt so viele ausländische wie deutsche Kinder ohne einen Schulabschluss ins Erwerbsleben. Oder wohl doch besser formuliert: in das Nichterwerbsleben.

Einen Überblick der regionalen Unterschiede und der Veränderungen seit 1997 bieten Deutschlandkarten, die das Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL) auf seiner Internetseite “Nationalatlas aktuell” präsentiert. Caroline Kramer, Professorin am Institut für Geographie und Geoökologie des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), erläutert die Hintergründe und mögliche Ursachen der ungleichen Entwicklung. So gingen bundesweit gut die Hälfte der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss zuvor auf eine Förderschule. Dort erreichen Schülerinnen und Schüler in den Förderschwerpunkten Lernen oder Geistige Entwicklung häufig keinen Hauptschulabschluss. In den östlichen Bundesländern trifft das für rund die Hälfte bis zu drei Viertel der Jugendlichen ohne Schulabschluss zu.

Ausreißer nach oben gibt es auch im Westen. So besuchten in Baden-Württemberg mehr als die Hälfte der Schüler ohne Abschluss eine Förderschule. Ohne Schulabschluss blieben dort jedoch 2012 nur 4,2 Prozent aller Schüler an allgemeinbildenden Schulen – bundesweit der niedrigste Wert.

Ein Grund für die allgemein höheren Förderquoten in den neuen Ländern, die tatsächlich eher Aussortier- und Abschiebequoten sind, könnte laut Kramer das bildungspolitische Ziel sein, die Förderschulen auch bei sinkenden Schülerzahlen an einem bestimmten Standort zu erhalten. Statt die Inklusion von Kindern mit Förderbedarf zu stärken, würde in einigen Ländern oder Regionen daher häufiger ein Förderbedarf diagnostiziert.

“Dass dadurch in einigen Ländern oder Regionen bei mehr Schülerinnen und Schülern ein Förderbedarf diagnostiziert wird als in anderen Regionen, muss äußerst kritisch beurteilt werden. Diese Problematik würde sich bei einer stärkeren Inklusion von Kindern mit Förderbedarf in Regelschulen verringern. Mit diesen Überlegungen muss auch Karte 1 interpretiert werden, in der die alte Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland noch zu bestehen scheint”, schreibt Caroline Kramer als Erläuterung. Aber auch eine andere Interpretation ist wichtig, die sich gerade in Leipzig in den letzten Jahren bemerkbar gemacht hat: “Besonders ungünstige Chancen haben die Kinder, bei denen beide Merkmale zusammentreffen: Ausländische Jungen verlassen deutschlandweit zu 13,3 Prozent die Schule ohne Abschluss, wohingegen dies nur auf 3,9 Prozent der deutschen Mädchen zutrifft.”

Was im Klartext heißt: gerade Jungen aus Familien mit Migrationshintergrund werden im deutschen Bildungssystem besonders benachteiligt. Doch während westliche Bundesländer wie NRW darauf längst reagiert haben und ihre Förderangebote darauf eingestellt haben (die Quoten der abschlusslosen Schulabgänger halbierten sich von 1997 bis 2012), hat der Freistaat Sachsen noch nicht einmal mit dem Umsteuern begonnen und die letzten fünf Jahre weiter dazu genutzt, das System der Auslese zu stärken. Für echte Inklusionsangebote in den Schulen fehlen schlicht die Lehrer, fast 5 Prozent der Kinder werden schon vor der Einschulung in Förderschulen umsortiert und bei den Kindern mit Abitur als Schulabschluss gehört Sachsen weiterhin zur Schlusslichtgruppe (mit Sachsen-Anhalt und Bayern zusammen, nur dass Bayern nur eine Schulabbrecherquote von 4,7 % hat).

Die in den Karten aufgedeckten Disparitäten sollten die Verantwortlichen in der Bildungspolitik zum Nachdenken anregen, so Kramer. Eine frühere praxisnahe Ausbildung könne möglicherweise helfen, die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss zu verringern und mehr junge Menschen in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu integrieren, ist einer ihrer Vorschläge.

“Diese jungen Menschen, die 2012 die Schule ohne Abschluss verließen, haben nur sehr geringe Aussichten auf einen Ausbildungsplatz und sind meist auf angelernte, oft niedrig entlohnte und krisenanfällige Arbeitsplätze angewiesen. Ein hoher Anteil Jugendlicher ohne Abschluss – und damit auch ohne befriedigende berufliche Perspektiven – stellt nicht nur das Bildungssystem bezüglich seines Erfolgs in Frage, sondern besitzt auch soziale Brisanz”, stellt Kramer fest.

Die Karten zeigen aber auch deutlich, dass es vor allem drei Bundesländer sind, die ihre Bildungs-Hausaufgaben nicht gemacht haben: Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Sachsen. Und gerade der Vergleich mit 1997 zeigt, dass das keine gottgegebene Entwicklung ist, sondern falsche Steuerung in den Ländern, die 1990 noch Abbrecherquoten von 4 Prozent hatten und heute bei 10 Prozent dümpeln. Man kann seine Kräfte nicht immer nur im Kampf gegen das Gymnasium als “Normalschule” verzetteln – man muss die eigentliche Normalschule profilieren und aufwerten. Und das geht nun einmal nicht ohne ausreichend Lehrer.

Den Artikel findet man auf Nationalatlas aktuell unter:

http://aktuell.nationalatlas.de

www.ifl-leipzig.de

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