Zum Wohnen und Leben gehört auch ein bisschen Zeitung. Und so seltsam es klingen mag: Anzeigenblätter wären eine Alternative für die üblichen Tageszeitungen. Gewesen, muss man nun fast sagen, da der "Leipziger Wochenkurier" und "hallo! Leipzig" ihre Tätigkeit einstellen. In der "Bürgerumfrage 2012" hat sich Leipzigs Stadtverwaltung mit den Medien in Leipzig beschäftigt und ihre Relevanz abgefragt. Auch die der Anzeigenblätter.

Natürlich zeigt die Auswahl der Medien auch wieder, wie eine Leipziger Stadtverwaltung im 21. Jahrhundert tickt. Das Internet besteht aus ihrer Sicht aus drei Teilen – der Internetseite der Stadt (www.leipzig.de), sozialen Netzwerken im Internet (“social media”) und “sonstigen Internetseiten”. Die Frage im Fragebogen dazu lautete: Wo informieren Sie sich hauptsächlich über kommunalpolitische Entscheidungen in der Stadt?

Bei den “sozialen Medien” wurden extra Facebook und Twitter als Beispiel genannt, damit alle wissen, worum es geht. Auch die Stadtverwaltung ist hier ja seit einiger Zeit unterwegs und hält diese Instrumente für geeignet, über ihre Politik zu informieren. Aber das Ergebnis ist so flau, wie es zu erwarten war. – Nur 7 Prozent der Befragten informieren sich auf diesen privaten Schnatterseiten über die Leipziger Politik. Selbst bei den 18- bis 34-Jährigen sind es nur 16 Prozent.

Da bevorzugen auch die Leipziger lieber die seriösere Website der Stadt: 15 Prozent sind hier regelmäßig unterwegs, um sich zu informieren. Die stärkste Nutzergruppe mit 22 Prozent sind übrigens die 35- bis 49-Jährigen.

Wo aber haben die Befragten ein Angebot wie die L-IZ mit ihren 140.000 Lesern monatlich vertaktet? Unter “sonstige Internetseiten” (11 Prozent) oder unter “Tageszeitung” (59 Prozent)? – Wir wissen es nicht. In diesem Frageschema kann sie auch völlig durchs Raster gefallen sein. Durch ein Raster, das sich nicht wirklich vorstellen kann, dass Tagesjournalismus heute im Internet stattfindet. Und zwar nicht unter “sonstige”. Was übrigens auch auf “LVZ Online” und den Webauftritt von “Bild Leipzig” oder “Kreuzer” zutrifft.

Warum macht man eigentlich solche Abfragen, wenn man nicht einmal eine Systematik hat?

2006 – so lang ist das schon her – hat die Verwaltung auch mal nach den Monatsmagazinen gefragt. Da gab’s noch ein paar mehr in Leipzig. Damals auch eher aus dem neckischen Einfall heraus, dass die Monatsmagazine ja eine wichtige Rolle für die Kultur in Leipzig spielen. Und weil man wissen wollte, wie sich die Leipziger über Kultur informierten, fragte man nach Internet (ja, ja, das Internet), Monatsmagazinen, “Leipzig Live” (“das wöchentliche Veranstaltungsmagazin der LVZ”) und “Leipzig Fernsehen”.

Auch das lauter Äpfel, Birnen und Obstkisten. Und aus Statistiker-Sicht eigentlich ein Unding. Man kann nicht zwei konkrete Titel hinschreiben und den Rest unter “Internet” oder “Monatsmagazinen” subsummieren. Anstelle des “Kreuzer”, der sich ganz offiziell das Leipzig Magazin nennt, hätte unsereins wohl Schmerzensgeld eingeklagt. Da gibt sich eine Truppe über 15 Jahre lang richtig Mühe, um einen umfassenden Kulturterminteil mit kritischer Stadtberichterstattung zu kombinieren, und dann wird er (vielleicht) einfach mit unter “Monatsmagazine” mitgedacht. Oder auch nicht. Welcher Leser macht da ein “Kreuzer”-Kreuz, wenn nur Monatsmagazine da steht?2012 tauchten dann folgerichtig die Monatsmagazine gar nicht erst auf. Geht ja um Kommunalpolitik. Im Grunde zum selben Thema schon die zweite Ohrfeige für den “Kreuzer” (oder jüngst auch mal: “Kreuzerin”). Oder eigentlich noch deutlicher: stadtpolitische Ignoranz. Man nimmt so etwas wie den “Kreuzer” nicht ernst. Was auch Folgen hat. Auch für den “Kreuzer”. Denn die Medien, mit denen eine Stadtverwaltung auf Augenhöhe operiert, sind auch für Werbekundschaft und (noch viel wichtiger) Leser wichtig: Sie sehen das Medium auch offiziell ernst genommen.

Umso erstaunlicher natürlich, dass man in die Frage nach den Informationsquellen zur Kommunalpolitik 2012 auch “kostenlose Anzeigenblätter” mit aufnahm. Und als Hinweis für die Befragungsteilnehmer wird der “Wochenkurier” genannt. Was ihm nun natürlich nichts mehr nützt. Es wäre einen Aufmacher wert gewesen. Denn 41 Prozent der Befragten gaben an, dass sie sich in den kostenlosen Anzeigenblättern über Leipzigs Kommunalpolitik informieren. Wie gut sie sich da informieren können, das steht nicht da. Aber sie tun es. Ältere mit über 50 Prozent noch häufiger als die Jungen, von denen aber auch 23 Prozent in die Kostenloszeitungen schauen.

Damit rangieren die Anzeigenblätter in der Nachrichtenrelevanz zum Kommunalen praktisch dicht hinter Rundfunk und Fernsehen (beide 45 Prozent).

Nach Gründen kann man natürlich fragen. Aber einer wird wohl sein, dass die gedruckte Tageszeitung Vielen inzwischen zu teuer ist. Von den über 65-Jährigen lesen noch 77 Prozent eine Tageszeitung, weist die “Bürgerumfrage” aus. Bei den 18- bis 34-Jährigen sind es noch 41 Prozent. Insgesamt geben 59 Prozent der Befragten an, sich über Kommunalpolitik aus der Tageszeitung zu informieren. Welche, das steht nicht da. Und auch nicht, ob’s gedruckt oder digital ist.

Das “Amtsblatt” hat erstaunlicherweise eine ähnliche Relevanz: 53 Prozent. Mit der selben Staffelung – 24 Prozent der Jüngeren nehmen das “Amtsblatt” in die Hand, um sich zu informieren über Kommunalpolitik, 75 Prozent der Senioren.

Lassen wir es dabei stehen? – Nö. Natürlich waren Mehrfachnennungen möglich. Und die Fragestellung war eingeschränkt auf die hauptsächliche Informationsquelle zu “kommunalpolitischen Entscheidungen in der Stadt”. Das ist, so wichtig es aus Sicht der Stadtverwaltung scheint, nur ein kleiner Teil der kommunalen Berichterstattung. Die Stadt liest sich das aber so zurecht: “Möchten sich Leipzigerinnen und Leipziger über kommunalpolitische Entscheidungen der Stadt informieren, erfolgt dies hauptsächlich über gedruckte Medien.”

Die Aussage ist so nicht belegbar. Auch nicht mit auf dem Fokus auf “die Tageszeitung”. Warum taucht hier keine Mehrzahl auf? Oder wird auch die “Bild Leipzig” als etwas “Sonstiges” gezählt?

Natürlich erklärt sich die seltsame Fokussierung aus der Selbstwahrnehmung der Stadtverwaltung selbst. Sie fragt nach dem, was sie selbst als wichtig erachtet. Und was ihren eigenen Wahrnehmungshorizont durchdringt.

Oder gibt es am Ende wieder die Ausrede: Das hat nicht mehr reingepasst? – Um nur an die ganzen Ortsteilzeitungen zu denken oder die teils sehr engagiert gemachten Monatshefte diverser Bürgervereine. Wurden Lokalradio und Lokalfernsehen einfach mit unter Rundfunk und Fernsehen subsummiert? Und das Bürgerradio?

Und sonst?

Ach ja: Zum Wohnen und Umziehen sind wir aus aktuellem Anlass nicht gekommen. Kümmern wir uns morgen drum.

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