Ende September sorgte eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung kurzzeitig für ein bisschen Unterhaltung im Medienbetrieb. Der Kommunikationswissenschaftler Dr. Joachim Trebbe hatte sich einmal etwas eingehender mit den Programmen der Regionalsender SWR und NDR beschäftigt: "Zwischen Boulevard und Ratgeber-TV. Eine vergleichende Programmanalyse von SWR und NDR." Der MDR war leider nicht dabei. Aber auf ihn wird das Ergebnis wohl auch zutreffen.

Das Problem bei so einer Analyse ist immer: Wie klassifiziert man Sendungen? Wo sind die Grenzen zwischen Unterhaltung und Publizistik? Wo grenzt sich regionale Berichterstattung vom Boulevard ab?

Was erlebt der Zuschauer eigentlich, wenn er sich seinem Regionalsender anvertraut? Der ja ein gewisses Gewicht hat. Auch wenn die diversen Reichweiten-Analysen stets mit Vorsicht zu genießen sind. Aber Fakt ist natürlich: Millionen Leute in Mitteldeutschland verbringen täglich ihre durchschnittlich 242 Minuten vor dem Fernseher. Wobei die Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF) in ihrer 2013er Analyse zu dem Thema auch gezeigt hat, dass es vor allem die Älteren und Alten (über 50) sind, die die Nutzungszeit der Fernsehsender in die Höhe treiben mit über 300 Minuten – sechs Stunden – Fernsehkonsum am Tag.

Jüngere Nutzer kommen auf etwas über zwei Stunden (134 Minuten), sind dafür deutlich länger im Internet unterwegs – 218 Minuten.

Was natürlich mit Angebot und Nachfrage zu tun hat. Und was Trebbe in seiner Analyse des täglichen Programms ermittelt hat, ist natürlich auch eine über die Jahre verstärkte Anpassung der Sender an die Erwartungen ihres Publikums. Auch wenn sie es nicht auf ihre Fahnen schreiben, dass sie vor allem die Erwartungen eines älteren und auf Unterhaltung geeichten Publikums bedienen wollen. Ihr Richtmaß sind die Marktanteile, die ebenfalls von der AGF ermittelt werden. Und in ihrem Sendegebiet haben die dritten Programme der ARD allesamt Marktanteile zwischen 6 und 8 Prozent. Der MDR erreichte 2012 immerhin 8,5 Prozent, spricht aber in seinem Geschäftsbericht 2012 auch eindeutig von Konkurrenz.

Es ist also ein ganz bestimmtes Denken, das hinter der Programmgestaltung steht – und sein wichtigstes Kriterium sind Marktanteile. Und als Konkurrenz werden das ZDF und das Hauptprogramm der ARD (Das Erste) genauso gesehen wie RTL, Sat 1 oder VOX. Nicht zu vergessen der ganze “Rest”, der 2012 schon 35,5 Prozent Sendeanteil im MDR-Gebiet hatte. In diesen “Rest” teilen sich mittlerweile Dutzende kleinere oder Spezialanbieter. Unübersehbar auch auf dem Fernsehmarkt eine zunehmende Aufsplittung der Interessen. Was eigentlich egal sein könnte, hätte das als so notwendig verkaufte Regionalfernsehen auch eine stabile Konsistenz, würde hintergründig, tiefgründig und umfassend über die Region informieren.

Und auf den ersten Blick scheint das beim MDR auch der Fall zu sein. In seinem Jahresbericht 2012 vermeldet er stolze 30 Prozent an Fernsehsendungen, die der Rubrik Politik und Gesellschaft zugeordnet sind, weitere 13,4 Prozent aus der Sparte Kultur, Bildung, Wissenschaft. Unterhaltung, Fernsehspiel und Spielfilm kommen nach dieser Rechnung zusammen auf 32,4 Prozent, Sport sogar nur auf 1,8 Prozent. Nicht zu vergessen diese seltsame Rubrik “Familie” mit 17,4 Prozent.

Aber die Schubladen verbergen mehr, als sie auf den ersten Blick verraten. Und deutsche Regionalsender unterscheiden sich da nicht wirklich. Und nicht nur auf NDR und SWR trifft zu, was Trebbe herausgefunden hat: Ein Großteil des gesendeten Materials sind Wiederholungen.

Prof. Dr. Joachim Trebbe: “Erstmals belegt die Studie, dass die Dritten Programme ihren Sendebetrieb nur durch Wiederholungsraten von rund 40 Prozent aufrecht erhalten können. Anders als bei der privaten Konkurrenz handelt es sich dabei zu einem Großteil um Wiederholungen von Sendungen, die mehrfach innerhalb nur einer Woche gezeigt werden.”

Auch im Jahresbericht des MDR gibt es eine Zahl zu den Wiederholungen. Von 553.948 gesendeten Minuten sind 302.607 Minuten Wiederholungssendungen: 56 Prozent. Und das trifft nicht nur auf Fernsehspiele, Spielfilme und Unterhaltungssendungen zu, sondern auch für Sendungen aus Politik, Gesellschaft, Kultur, Bildung, Wissenschaft.

Aber noch etwas findet Trebbe frappierend: “Die Boulevardisierung insbesondere des SWR hat inzwischen ein Ausmaß erreicht, das in etwa dem der privaten Konkurrenz entspricht. Zudem liegen die von den Sendern kolportierten Informationsanteile von bis zu 70 Prozent laut Studie deutlich niedriger, nämlich bei ca. 50 Prozent. Erreicht werden sie überhaupt nur, weil sich die Dritten zu Ratgebersendern entwickelt haben, in deren Mittelpunkt Garten, Kochen und Tiere stehen.”Eine Aussage, die so auch für den MDR zutrifft. Ein großer Teil der Regionalkompetenz, die sich auch die Drei-Länder-Anstalt zuschreibt, lebt vom Format der Regionalmagazine, die auch beim MDR das Sendeschema dominieren.

Trebbe: “Die oben beschriebene Dominanz der Magazinsendungen in den dritten Programmen drückt sich auf der Ebene der Themen in einer starken Profilierung von Sach- und Ratgeberthemen aus. 42 Prozent der täglichen Sendezeit, das sind etwa 10 Stunden täglich, werden im Programm des SWR für Sach- und Ratgeberthemen aufgewandt. Im NDR Fernsehen sind es 34 Prozent (mehr als 8 Stunden) und damit deutlich mehr als in den öffentlich-rechtlichen Vollprogrammen (17 bzw. 15 Prozent), von den privaten Anbietern RTL (6 Prozent) und Sat.1 (7 Prozent) ganz zu schweigen.”

Ein Trend, der eng zusammenhängt mit der als maßgebend empfundenen Konkurrenz der Privatsender. Statt eigene starke Formate zu entwickeln, hat man sich dem Unterhaltungsanspruch des auf Werbeverkäufe getrimmten Privat-TV angenähert. Was dann auch in den Dritten Programmen immer dichter an Sendeformaten entlang schrammt, die im Privat-TV in erster Regel dem Product-Placement im Werbeumfeld dienen.

Trebbe: “Der zweitwichtigste Sachthemenblock ist – ebenfalls in allen verglichenen Programmen – das Segment der Verbraucher- und Gesundheitsthemen, also Informationen zu Konsum, Urlaub, Haushalt, privaten Finanzen etc. Besonders im SWR Fernsehen wird dafür mit fast zwei Stunden täglich (115 Minuten, 8 Prozent) vergleichsweise viel Sendezeit reserviert.”

Und noch ein drittes Themenfeld wird eifrig bedient, weil man glaubt, damit den Privaten Paroli bieten zu können oder zu müssen. Trebbe: “In Stunden und Minuten gerechnet räumen die beiden Dritten Programme der Human-Touch-Berichterstattung über Stars und Sternchen, Verbrechen, Unfälle und Katastrophen mehr Sendezeit ein als die bundesweite, öffentlich-rechtliche und private Konkurrenz. Beim SWR sind es 15 Prozent des 24-Stunden-Tages, das entspricht etwa 3,5 Stunden; beim NDR sind es 21 Prozent, also mehr als 5 Stunden täglich.”

Aber wie gesagt: Der Frankfurter Wissenschaftler hat sich erst einmal nur NDR und SWR zu Gemüte geführt. Aber das Bild wird deutlich. Deutlicher als in den diversen Jahresberichten der Sender, in denen sich Vieles hinter Publizistik oder gesellschaftlicher Berichterstattung verbirgt, was reines Entertainment ist.

Was natürlich Fragen zur Finanzierung und zu den Aufgaben des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks aufwirft. Wenn dessen Maßstab das Angebot der Privaten ist, warum sollen dann alle Haushalte dafür zahlen? Wo ist der täglich nutzbare Mehrwert?

Dabei hat der MDR längst seine Finanzierungsprobleme.

Aber dazu gleich mehr an dieser Stelle.

Die Otto-Brenner-Stiftung und die Analyse von Prof. Dr. Joachim Trebbe: www.otto-brenner-stiftung.de/otto-brenner-stiftung/aktuelles/zwischen-boulevard-und-ratgeber-tv.html

Direkt zur Analyse “Zwischen Boulevard und Ratgeber-TV”: www.otto-brenner-stiftung.de/fileadmin/user_data/stiftung/Aktuelles/AP12/OBS_AP12_SWR_WEB.pdf

Die Mediennutzung der Deutschen nach Analyse von ARD/ZDF-Onlinestudie: www.ard-zdf-onlinestudie.de/index.php?id=398

Die Marktanteile der TV-Sender nach Analyse der AGF: www.agf.de/daten/marktdaten/marktanteile/?name=marktanteile

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