Schon wegen Napoleon lohnt sich ab morgen der Weg ins Böttchergässchen. Dort wird am heutigen Dienstag, 11. Juni, um 18 Uhr die "Karicartoon. 8. Biennale der satirischen Zeichnung" eröffnet. Die letzte fand 2009 statt. Die eigentlich 2011 fällige fiel aus. Eigentlich sollte schon das die Nr. 8 werden - schon wegen des 80. Geburtstags des Berliner Karikaturisten. Der sollte da schon eine Personalausstellung bekommen. Die bekommt er dafür jetzt.

Zu einer “Karicartoon”, die eigentlich keine Jubiläums-Schau ist. Die wäre ja erst die 10. “Aber die 8 hat uns sowieso gereizt”, sagt Andreas J. Mueller, der Kurator der Karikaturen-Biennale. Also heißt die Nr. 8 nun “Alle8ung” und präsentiert sich als bislang größte “Karicartoon” im Neubau des Stadtgeschichtlichen Museums im Böttchergässchen: mit über 300 Arbeiten von 46 Künstlern aus deutschsprachigen Landen, von Bauer bis Wurster, von Beck bis Vonderwerth. Mit leichtem Übergewicht der Zeichner aus Berlin und Leipzig. “Die tragen ja diese Biennale von Anfang an”, sagt Andreas J. Mueller.

Und Anfang heißt für Leipzig: 1973. Da gab es in der damaligen Leipzig-Info die erste Karikaturenschau unterm Titel “Mit spitzer Feder”. Für Mueller ganz klar:”Leipzig ist eigentlich die heimliche Hauptstadt der Karikatur.” Die Karikaturenausstellungen in Leipzig waren in DDR-Zeiten ein Renner. Denn die Satiriker mit der spitzen Feder konnten sich das kleine Bisschen mehr trauen, was den gemeinen Bürger schon in die Mühlen des Staatsapparates bringen konnte. Die Funktion hat Karikatur natürlich nicht mehr. Mancher sieht sie deshalb schon am Aussterben.Aber vielleicht ist das auch wieder nur der Wunsch von Leuten, die sich auch in demokratischen Ländern beißende Kritik lieber verbitten. Und Mueller sieht durchaus den Spagat. Eine demokratische Gesellschaft braucht Kritik – und deshalb auch satirische Zuspitzung. Nur garantieren nicht alle Länder die dazu nötigen Freiheiten. Und der Streit um die Mohammed-Karikaturen zeigte, dass einige Leute durchaus bereit sind, die Denkverbote ihrer Länder auch in die europäischen Demokratien zu tragen. Und dabei auch eine wichtige Errungenschaft der modernen Demokratie in Frage zu stellen: die Trennung von Staat und Religion. Kirche wird in der Demokratie zu einer Institutionen unter vielen – und Institutionen, so Mueller, müssen sich jederzeit der Kritik stellen. Jede Institution, sagt er. Und sieht eher die Gefahr, dass kluge Satire so nach und nach aus der Öffentlichkeit der “Spaßgesellschaft” verdrängt wird.

Sie sei dringend notwendig – gerade für die Demokratie. “Demokratie braucht ernsthafte Kritik”, sagt Mueller. Brauche die Zuspitzung und den Anspruch, den Betrachter bilden zu wollen. Denn auch die Demokratie habe ihre Probleme, die sie lösen müsse. Damit müsste sie sich immer wieder ernsthaft auseinander setzen. Doch die Tagesberichterstattung geht schnell über die Probleme hinweg. Gute Karikaturen zwängen immer wieder zur Beschäftigung.Trotzdem soll die 8. “Karicartoon” nicht nur wieder das Beste aus den letzten zwei Jahren versammeln. “Wir haben alle 80 Künstler angeschrieben, die in den sieben anderen Ausstellungen dabei waren”, so Mueller. Einige freilich sind mittlerweile verstorben. Aber 46 haben zugesagt, sind auch – auf dunkelrotem Grund – ab morgen zu sehen. In der Regel mit zwei neueren Arbeiten und zwei älteren. “Ich habe sie nämlich auch gebeten, nachzuschauen, ob sie auch noch zehn, fünfzehn Jahre alte Arbeiten haben zu Themen, die damals brandaktuell waren und heute noch immer”, erklärt Mueller. Das Ergebnis aus seiner Sicht: Von den Themen, die den Künstlern damals auf den Nägeln brannten, ist kaum eines abgearbeitetet. Politik neigt auch in der Demokratie dazu, lieber auszuweichen, die bequemen Wege zu suchen und die wesentlichen Probleme auszusitzen.

So gesehen auch eine Ausstellung, die doppelt wider den Stachel löckt und der Gegenwart den Spiegel zwei Mal vorhält. Auch mit der Erinnerung daran, dass das Eigentliche noch immer nicht getan ist.

Mittendrin – farblich ein wenig abgesetzt – eine kleine, feine Kabinettausstellung, die sich fast von selbst ergab. “Wir haben das so gar nicht geplant gehabt”, betont Ulrike Dura vom Stadtgeschichtlichen Museum. Doch bei der Anfrage an den Waldheimer Karikaturisten Werner Rollow stellte sich heraus, dass er seit den 1970-er Jahren immer wieder die spitze Feder schnappte, um zur Leipziger Völkerschlacht und zum Fall Napoleon auf seine Weise Stellung zu nehmen. Ergebnis ist also eine ganz spezielle Kabinettausstellung “200 Jahre Völkerschlacht”.Und noch ein Bonbon gibt es für die Besucher der Ausstellung. Im Studio im Untergeschoss wird die eigentlich schon für 2011 geplante Ausstellung “80 Leipziger Köpfe” mit 80 Porträtkarikaturen von Harald Ketzschmar gezeigt. Diese Zeichnungen waren sein Markenzeichen im “Eulenspiegel” und er hat sie eigentlich alle gezeichnet – von Kästner bis Ulbricht, von Herbert Blomstedt bis Kurt Masur und Werner Tübke. Ein Stück Kulturgeschichte, aber auch ein Stück Kunstgeschichte. Denn nach ihrer Hochzeit im 19. Jahrhundert drohte der Porträtkarikatur Ende des 20. Jahrhunderts beinah das Ende. Aber dass auch mit modernem Strich noch Deftiges möglich ist, beweist in der Ausstellung Frank Hoppmann, der gleich sechs Politiker-Porträts zeigen kann aus der aktuellen politischen Spitzenriege.

Richtig eröffnet – mit Musik, Reden und so – wird die Ausstellung am heutigen Dienstag, 11. Juni, um 18 Uhr. Es sprechen Museumsdirektor Dr. Volker Rodekamp, Kulturbürgermeisrer Michael Faber und Andreas J. Mueller. Musik machen Schüler der Musikschule “Johann Sebastian Bach”. Und ein Höhepunkt wird bestimmt am 7. Juli die Podiumsdiskussion mit Harald Kretzschmer, dem Burschen, der eigentlich 2011 der Jubilar gewesen wäre. Aber was ist Zeit, fragt sich selbst der Besucher nach dem ersten Rundgang.

Politiker sind vergesslich. Leute sind vergesslich. Man lacht sich krumm und scheckig über ihre Narreteien. Und freut sich trotzdem auf die nächste “Karicartoon”.

“Karicartoon ‘Alle8ung'”, 8. Biennale der satirischen Zeichnung Leipzig, Stadtgeschichtliches Museum, Böttchergässchen 3, 12. Juni bis 11. August 2013.

www.stadtgeschichtliches-museum-leipzig.de

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