Eine Ausstellung zur Völkerschlacht hat Leipzig schon seit Jahrzehnten. Direkt am Völkerschlachtdenkmal. Eigentlich kein Anlass, im 200. Jahr des Gedenkens an die Schlacht bei Leipzig eine eigene Ausstellung dazu zu entwickeln. Es sei denn, man geht einen Schritt zur Seite und schaut sich das Monstrum aus etwas anderer Perspektive an. Und hinterfragt auch mal die gefeierten Helden: "Helden nach Maß".

Wie kritisch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Stadtgeschichtlichen Museums die Schlacht, die sogenannten Befreiungskriege und alles, was daraus folgte, sehen, deutet schon Museumsdirektor Dr. Volker Rodekamp an, wenn er vom “eigenartigen Namen Völkerschlacht” spricht, den das große Massaker bei Leipzig im Oktober 1813 weder während noch nach der Schlacht bekam. Erst ein halbes Jahrhundert später taucht dieser Name für ein Ereignis auf, das in der Rückschau natürlich aussieht wie die Geburtsstunde der deutschen Nation.

Deswegen ist ein ganzes Ausstellungskabinett schwarz-rot-gold geflaggt. Auch “eiserne Kreuze” regnet es hier. “Ikonen der Nation” heißt diese 7. Abteilung der Ausstellung “Helden nach Maß”, die am Dienstabend, 3. September, eröffnet wurde. Am Dienstagmittag, als die Presse einen ersten Einblick nehmen durfte, wurde noch geklebt, gebastelt und geschraubt. Der Grund: Einige Exponate, die die Museumsgestalter um Steffen Poser bestellt hatten, der sonst für die Leitung des Völkerschlachtdenkmals zuständig ist, waren nicht rechtzeitig angereist. Um bildhaft zu machen, was die Ausstellungsmacher mit ihren “Helden nach Maß” meinen, haben sie auch Exponate aus Belgien, Frankreich und Österreich angefordert.

Und mit einigem Grund erwartet Volker Rodekamp für diese Ausstellung eine Ausstrahlung über Leipzig hinaus – möglichst bundesweit. Denn mit welcher Facette der heutigen deutschen Identitäten man sich auch beschäftigt, man landet bei den – sogenannten – Befreiungskriegen. Auch Poser sagt: sogenannte Befreiungskriege. Dass es keine waren, haben die Muschkoten, die 1813 bis 1815 ihre Köpfe hinhielten, spätestens nach dem Wiener Kongress und den Karlsbader Beschlüssen erfahren. Fast alle Modernisierungen, die Napoleon in den von ihm besetzten Gebieten eingeführt hatte, wurden zurückgenommen.

Das Bild des Frankfurter Freiwilligen Baruch Eschwege hängt in der Abteilung “Fürs Vaterland”, in der erzählt und gezeigt wird, wie das Volk in den “Befreiungskriegen” herbeigerufen wurde – nicht nur, um den französischen Usurpator zu vertreiben, sondern auch – hier taucht es erstmals massiv auf – das Vaterland zu retten. Er hätte auch beim “Dank des Vaterlands” hängen können, diese jüdische Freiwillige aus Frankfurt.
Vaterland ganz im klassischen deutschen Sinn: das Land des väterlichen Landesfürsten. Nach Napoleons Sturz waren sie (fast) alle wieder da. Und in Frankfurt wurden die Freiheiten, die Napoleon den jüdischen Einwohnern gegeben hatte, sofort wieder abgeschafft. Um die versprochenen Verfassungen drückten sich fast alle Fürsten noch Jahrzehnte. Und ein einiges Vaterland, wie versprochen, gab es erst 1871 in der Bismarckschen Variante.

Womit man dann schon in der Zeit wäre, in der die Symbole und Verheißungen der “Befreiungskriege” eifrig missbraucht wurden, um – Zitat Rodekamp – den “hypertrophen Nationalismus” mit heroischen Denkmälern überall in den europäischen Nationalstaaten in Stein zu setzen. Das Völkerschlachtdenkmal gehört dazu. Das war schon 2003 Thema einer Tagung in Leipzig mit internationaler Beteiligung. Die klugen Köpfe der Welt wissen, was für ein gefährlicher Stoff der moderne Nationalismus ist.

In Deutschland haben sich die Nationalisten dabei immer fleißig der Legenden aus den “Befreiungskriegen” bedient – bei ihren freiwilligen Helden (Körner, Lützow, Schill), ihren Helden von Berufs wegen (Blücher, Gneisenau, Scharnhorst und dem “Verräter” Yorck), und bei den Brandstiftern, von denen zwei in der Ausstellung an die Wand genagelt sind, weil sie bis heute wirken und echte “Zwiespälter” sind, wie Poser sagt: Ernst Moritz Arndt (“Franzosenhasser und Antisemit”) und der “Turnwüterich” Friedrich Ludwig Jahn.

Das Leipziger Stadtmuseum hat selbst Kammern voller Asservate, die zeigen, wie diese alten Mythen und Legenden gebraucht und von mehreren deutschen Staaten fleißig missbraucht wurden. Genauso, wie die Legenden um den von Napoleon erschossenen Buchhändler Palm und die preußische Königin Luise immer wieder neu aufgelegt und propagandistisch eingesetzt wurden. Wer durch die Ausstellung schlendert, merkt bald, dass er es hier mit einigen der stärksten Mythen und Grunderzählungen der modernen deutschen Identität zu tun hat.
Angefangen bei der Herkunft des Schwarz-Rot-Gold in unseren Fahnen und WM-Fähnchen bis hin zur einseitigen Glorifizierung der “Befreiungskriege” und der Opferfreudigkeit des Volkes (die in den nächsten deutschen Kriegen nach dem 1813er Vorbild kräftig immer wieder missbraucht wurde). So gibt es denn in der Abteilung “Klare Fronten?” als Kontrast zu deutschem National-Tinneff auch eine Galerie der unangepassten deutschen Dichter und Denker, die in der französischen Revolution und ihrem Erben Napoleon keineswegs das Feindbild sehen wollten: Georg Forster, Friedrich Schiller, Johann Wolfgang Goethe, Heinrich Heine.

Letzterer ja bekanntlichst derjenige, der am deutlichsten sah, wie diese wieder einmal völlig versagte deutsche Einheit von 1815 ihre finstersten Gespenster schon im Schoße ausheckte, all die wilden “Franzosenfresser” und Deutschtümler, die später zwar das einige Reich feierten, aber “Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit” für des Teufels hielten. Mit allen finsteren Folgen.

Nicht mehr untergekriegt im Ausstellungsraum im Böttchergässchen haben die Mitarbeiter des Stadtgeschichtlichen Museums eigentlich Kapitel Nummer 9: die Gräuel und Leiden der Schlacht. Dazu muss man ein paar Stufen hinaufsteigen ins Zwischengeschoss (Mezzanin genannt), wo früher das Kindermuseum untergebracht war. Dort wird gezeigt, wie die Betroffenen litten – anhand von zum Teil auch makabren Ausstellungsstücken wie den Prothesen der versehrten Soldaten oder den sogenannten “Waterloo-Gebissen”, künstlichen Gebissen mit den echten Zähnen von gefallenen Soldaten.
Was die Schlacht bei Leipzig zwischen dem 16. und 19. Oktober 1813 wirklich war, bringt Volker Rodekamp mit dem Wort grauenhaft auf den Punkt: Es war die grauenhafteste Massenschlacht der damaligen Zeit und sie machte allen Betroffenen anschaulich, wie Schlachten im industriellen Zeitalter künftig aussehen würden.

Einige Exponate zeigen auch, wie man mit der Modernisierung der Tötungsmaschinerie auch begann, das Umfeld der militärischen Einsätze zu modernisieren – vom Sanitätswesen bis zur Verpflegung. Aber das macht Schlachten auch in modernen Zeiten nicht weniger grausam.

Und wer hier durch ist, der kann auch noch ins Untergeschoss klettern. Da sind Napoleon-Karikaturen aus der Zeit von 1813 bis 1815 ausgestellt. Zum Glück nicht nur solche aus deutschen Landen, sondern auch welche aus England und Russland, was dem Ereignis natürlich zwei zusätzliche Blickwinkel verschafft.

Außerdem ist die Ausstellung “Helden nach Maß” an mehreren Stellen mit zusätzlichen Medien ausgerüstet. Gleich im Prolog (“Was bleibt”) empfängt den Besucher ein Bildschirm, auf dem die beendete “Völkerschlacht” als heutige Nachrichtensendung präsentiert wird. Auch das eine Idee, wie Stefen Poser sagt, die die Ausstellungsmacher schon länger beschäftigt. Denn die Kriege und Schlachten der Neuzeit werden dem Fernsehgucker ja genauso dargeboten: ein leicht konsumierbarer Bericht über ein leicht einzusortierendes Ereignis. Was die “Völkerschlacht” bis heute nicht ist.

In der Ausstellung selbst verstreut sind dann diverse Leuchtschirme, die jene Ausstellungsobjekte sichtbar machen, die man gern gehabt hätte – die es in den Museen und Sammlungen aber leider nicht gibt: einen deutschen Eichenkranz nach der Vorstellung Friedrich Ludwig Jahns zum Beispiel. Den aber trotzdem jeder kennt, weil zahllose deutsche Opernhelden genauso bekränzt wurden. Und auf dem Kupfergeld der Bundesbank ist der Eichentrieb ebenfalls immer noch eingeprägt, als wäre F. L. Jahn immer noch deutscher Sportminister.

Und den Audio-Guide zur Ausstellung legt Steffen Poser allen Besuchern ans Herz. Er bietet nicht nur die Erläuterungen zur Ausstellung, sondern – parallel – “ein recht aufwendig produziertes Hörspiel, mit dem wir die Ereignisse lebendig werden lassen”, so Poser.
Die Ausstellung “Helden nach Maß” ist im Ausstellungskubus des Stadtgeschichtlichen Museums im Böttchergässchen vom 4. September 2013 bis zum 5. Januar 2014 zu sehen. Es ist auch ein opulenter Katalog zur Ausstellung erschienen. Und ein dicht gepacktes Veranstaltungsangebot (zusätzlich zu vielen Extra-Angeboten für Geschichtslehrer) gibt es auch.

Nächste Termine:

17. September, 17 Uhr: Führung “Helden von Beruf oder Helden aus Leidenschaft. Legendäre Gestalten der Befreiungskriege”

25. September, 18 Uhr: Lesung mit Claudia Forner “Heldenjungfrauen”

www.stadtgeschichtliches-museum-leipzig.de

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