Gute Tradition in der Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst ist die hiesige Leipziger Jahresausstellung. Trotzdem wird der Szene gern ein Matschen in der eigenen Suppe vorgehalten. Diese Angriffe ad absurdum zu führen haben sich junge Kunstvermittlerinnen zur Aufgabe gemacht. Volly Tanner fragte einfach mal nach.

Derzeit – bis zum 29. Juni 2014 – läuft die Leipziger Jahresausstellung unter dem mitreißenden Titel “Zucht und Ordnung”. Nun versuchen Sie – Master-Kunstpädagogikstudentinnen unter der Regie von Ihnen, Frau Sabine Elsner – diese Kunst den Menschen, den noch nicht Beholfenen, gar den Unbeholfenen, nahezubringen. Ist dies wirklich nötig? Viele Künstler sagen doch: “Mein Werk spricht für sich!!!”.

Annekathrin L.: Klar, spricht jedes Werk für sich. Kunst ist natürlich Kunst und sie will damit auch für sich stehen, sie will an sich wirken und für sich sprechen, ohne erklärt werden zu müssen. In unserem dazugehörigen Vorbereitungsseminar der Universität Leipzig, geleitet durch die Dozentin Dr. Ines Seumel, haben wir uns mit Sabine Elsner, die uns als Vertreterin der Leipziger Jahresausstellung mit Rat und Tat zur Seite stand, solchen Problemen gestellt. Es geht uns bei Weitem nicht darum, Kunst einfach nur rigide und trocken zu erklären – denn das würde ja das Wesen der Kunst glatt verfehlen.

Vielmehr wollen wir neue, unerwartete und kreative Impulse setzen, wie man sich einem Kunstwerk denn noch nähern kann. Hin und wieder braucht Mensch neue Impulse, die nicht von ihm selbst kommen, um Dinge ganz neu zu verstehen. Völlig irrelevant auch, ob er in der Betrachtung von Kunst unbeholfen oder recht gekonnt agiert. Die Vermittlungsideen für die künstlerischen Arbeiten der Ausstellung also, wie wir sie als KunstpädagogikstudentInnen und -vermittlerInnen umsetzen wollen, sollen vielmehr als eine Art Horizonterweiterung gesehen werden – und wer will sich dem verschließen?

Wie soll dies vonstatten gehen? Und vor allem, wie wollen Sie an die Menschen herankommen? Wer acht Stunden in der Hitze auf dem Bau gebulkst hat, hat doch andere Sachen im Kopf, als sich um die Leipziger Jahresausstellung Gedanken zu machen. Der Mann braucht doch eher ein kaltes Getränk.

Sabine E.: Nun – der Mensch lebt nicht vom Bier allein. Die drei Kunstpädagogikstudentinnen Tini L., Karin W. und Annekathrin L. zum Beispiel haben die wunderbar erfrischende Idee umgesetzt, drei Geo-Kunstcaches an drei speziellen Orten in Leipzig unterzubringen, die auf ihre Veranstaltungen hinweisen. Es ist eine ganz neuartige, gelungene Mischung aus Geo-Caching und Räuberparty und wird mit Sicherheit eine tolle und bereichernde Sache für die Leipziger Jahresausstellung sein – auch für diejenigen, die zuvor “in der Hitze auf dem Bau gebulkst” haben.

Zusammen mit Dr. Ines Seumel entwickelten insgesamt fünf studentische Gruppen “erfrischende” Vermittlungsprogramme. Diese legen ihren Fokus auf unterschiedliche Themen, die intensiv ausgearbeitet werden und neue Blicke auf die Kunst lenken und auch neue Zusammenhänge schaffen. Es geht um Dialog, Kunstvermittlung und Vertiefung.

Karin W. : Uns als Gruppe der “KUNSTfinder”, geht es vor allem darum, neues Publikum in die Ausstellung zu führen. Dafür haben wir uns der Idee des Geocaching bedient, wie Sabine schon erwähnt hat. Im Stadtraum gibt es versteckte Kunst-Boxen, die den Finder weiter ins Westwerk führen. Außerdem eine Plakataktion und natürlich dieses Interview. Wir versuchen Leute zu erreichen, die sich sonst nicht so sehr für Kunst begeistern können. Mit (er)frischenden Ideen auch im Vermittlungsangebot selbst wollen wir weg von einem spröden Image.
Es handelt sich konkret dabei um drei unterschiedliche Termine mit verschiedenen Themen: Grenzgänger – Momentaufnahme – Regeln & Ordnung. Wir wollen zu diesen Schwerpunkten mit möglichst unterschiedlichen Personen ins Gespräch kommen. Aus der Heterogenität der Gruppe soll ein Potential entstehen, um neue Wege zur Kunst zu ermöglichen. Und um noch einmal, Volly, auf deine Ausgangsfrage einzugehen: Im Notfall verdurstet uns auch keiner und bekommt ein Getränk! Aber, wie auch Sabine schon sagt, von dem allein kann man eben auch nicht leben.

Sabine Elsner, Sie selber nennen sich Kunstvermittlerin. Wie kann Frau denn damit Geld verdienen? Wer bezahlt so etwas? Oder gibt es noch einen Brotjob neben der Kunstvermittlung?

Sabine E.: Ich habe Kunstgeschichte und Philosophie studiert. Neben der Leitung der Galerie ARTAe und des Showrooms in Leipzig, kuratiere ich Ausstellungen und bin ehrenamtlich im Vorstand der Leipziger Jahresausstellung. Wie jeder Galerist lebe ich vom Kunstverkauf.

Hat Kunst heutzutage eigentlich noch Relevanz? Hin & wieder scheint derzeit produzierte Kunst ja aus einer Parallelgesellschaft zu stammen, daneben auch nicht wirklich mutig zu sein & sich nicht wirklich mehr einzumischen. Wo sind die intelligenten und visionären Gestalter eigentlich alle hin?

Tini L.: Gute Frage – wann waren Sie das letzte Mal in einer Ausstellung, dass Sie diesen Eindruck haben? Sie haben grundsätzlich einen wichtigen Punkt angesprochen: Kunst kann in ihrer besten Form unter anderem Spiegel der Gesellschaft sein, Fragen stellen, die jeden von uns interessieren. Gerade mit unserem Projekt versuchen wir, viele verschiedene Menschen anzusprechen und mit einer Aktion im Leipziger Stadtraum an ihre Neugierde zu appellieren. Wenn wir jetzt gerade dabei sind, dem durstigen Bauarbeiter ein Getränk in die Hand zu drücken, bleiben wir doch mal bei ihm: Kunst sollte und darf kein Oberschichten-Prestige-Objekt sein. Genau solche Fragen können gestellt und bearbeitet werden, wenn wir in der Ausstellung vor Ort sind und direkt am Beispiel darauf eingehen können, denn da stehen wir dann ja wirklich mitten in der Materie. Ich war bei der Vernissage von Zucht und Ordnung am 05.06.14 dabei und bin sicher, dass sich der eine oder andere intelligente und visionäre Künstler finden lässt!

Leipzig ist ja recht offen mit Kunst. Das scheint aber auch nur ein Kreiseln. Gibt es Ideen, auch Menschen aus Halle, Meerane oder Weißenfels anzusprechen? Und wenn nicht, warum eigentlich nicht?

Sabine E. : Es gibt tatsächlich viele Kunstszenen in Leipzig und für mich ist es nach wie vor sehr beeindruckend, dass es die Leipziger Jahresausstellung schafft, alle “Szenen” unter einen Hut zu bekommen. So ist z. B. der älteste Teilnehmer in diesem Jahr über achtzig Jahre alt und der Jüngste um die dreißig. Bis auf wenige Gastkünstler muss jeder Teilnehmer der LIA einen Bezug zu Leipzig haben.

Entweder über das Studium, Geburtsort oder den Lebensmittelpunkt. Die Teilnehmer werden aus den Vorschlägen der Mitglieder der LIA ausgewählt und wenn Du, lieber Volly Tanner z.B. Künstler aus Halle, Meerane oder Weißenfels vorschlagen möchtest, kannst Du einfach Mitglied werden – 25 Euro im Jahr – und darfst dann maximal fünf Künstler für die nächste LIA vorschlagen. In diesem Jahr haben wir Gäste aus Berlin, Dresden und Halle.

Danke für die Antworten. Und viel Erfolg bei der Kommunikation.

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