Die Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen zwischen dem 22. und 26. August waren die massivsten rassistisch motivierten Angriffe der Wendezeit. Filmemacher Burhan Qurbani hat das Pogrom zwei Jahrzehnte später verfilmt. "Wir sind jung. Wir sind stark" ist eine visuell wie schauspielerisch beeindruckende Produktion über die Perspektivlosigkeit der meist jungen Täter und die Hilflosigkeit von Opfern und Behörden.

Burhan Qurbani interessiert nicht die Vereinnahmung der Anti-Asyl-Proteste durch westdeutsche Nazigrößen, die sich flugs auf den Weg Richtung Osten machten, als die ersten Live-Bilder über die Bildschirme flimmerten. Der Film fokussiert sich auf die Einheimischen, die Rostocker, die Anwohner, aber auch die Flüchtlinge und Vertragsarbeiter, die im “Sonnenblumenhaus”, einer tristen DDR-Platte, lebten. Qurbani verdichtet den Plot auf die Ereignisse am 24. August.

Eine Jugendclique hängt ab dem Vormittag in der Plattenbau-Siedlung ab. Keine Musternazis. Einfach junge Erwachsene, die nichts mit sich anzufangen wissen. Die meisten ticken irgendwie rechts. “Vor zwei Jahren bin ich jetzt zur Arbeit gegangen”, sagt einer der jungen Männer. Stunden später stürzt sich der Arbeitslose aus dem 8. Stock in den Tod. Stefan (Jonas Nay) ist nicht lebensmüde. Doch die Tristesse setzt dem Sohn eines Kommunalpolitikers (Devid Striesow) zu. Die Stimmung brodelt. Die Ausländer, die vor der Zentralen Aufnahmestelle teils auf Matratzen campieren, weil das Haus rappelvoll ist, müssen weg. Aus dem CD-Player tönt Rechtsrock. Springerstiefel, Seitenscheitel und SS-Runen gehören zum Alltag.

Nach dem Selbstmord ihres Kumpels, beginnt die Suppe überzukochen. Foto: Zorro
Nach dem Selbstmord ihres Kumpels, beginnt die Suppe überzukochen. Foto: Zorro

Qurbani zeichnet in kalten Grautönen im 16:9-Format das erschreckend realistische Bild eines ostdeutschen Wohnghettos der Nachwendezeit. Fremdenfeindlichkeit ist schick. Der Protest gegen “die Fremden”, visuell eingefangen in satten Farben und breitem Cinemascope, wird zum gesellschaftlichen Event. Bevor die Brandsätze fliegen, verkauft ein mobiler Imbiss an Demonstranten und Zuschauer Bier und Bratwurst.

Dass die Ereignisse rund um das “Sonnenblumenhaus” 22 Jahre danach einer breiten Öffentlichkeit weiterhin präsent sind, ist nicht zuletzt den internationalen Fotografen und Kamerateams zu verdanken. Qurbanis Film zeigt, wie diese Bilder entstanden sind. Das TV-Team, das im Plattenbau mit den Vietnamesen ausharrte, ist ebenso Teil der Inszenierung wie der Rostocker, der im Deutschland-Trikot mit vollgepisster Jogginghose den Arm zum Hitler-Gruß hebt. Kunstvoll flechtet der Regisseur zudem historische Zeitdokumente – TV- und Hörfunk-Reportagen – in die Inszenierung ein.

Stefans Vater kann nicht fassen was geschieht. Foto: Zorro
Stefans Vater kann nicht fassen was geschieht. Foto: Zorro

Der Film ist wuchtiges deutsches Kino. Die Produzenten scheuten weder Kosten noch Mühen. Gedreht wurde nicht in Rostock, sondern in Halle-Neustadt, wo ein ähnlicher Plattenbau kurz vor dem Abriss stand. Die Produzenten stellten die Geschehnisse der Nacht vom 24. auf den 25. August 1992 mit zahlreichen Komparsen nach. Entstanden sind eindrucksvolle Massenszenen, wie sie hierzulande fast schon Seltenheitswert haben. Die Darsteller-Riege macht ihren Job durchweg sehr gut. Hauptdarsteller Jonas Nay zählt spätestens jetzt zu den großen Nachwuchshoffnungen des deutschsprachigen Films.

“Wir sind jung. Wir sind stark” ist ein wichtiger deutscher Film, weil er schonungslos offenbart, zu welchen Gewaltexzessen blinder Fremdenhass letzten Endes führt. Sein Sujet ist leider dieser Tage, in denen wieder – ja, wie soll man sie eigentlich nennen – gegen Ausländer oder den Islam auf die Straße gehen, so aktuell wie im Spätsommer 1992.

D 2014, R: Burhan Qurbani, D: Jonas Nay, Trang Le Hong, Saskia Rosendahl, Devid Striesow, 128 Min, FSK 12.

Derzeit zu sehen in den Passage Kinos.

Offizieller Trailer

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