Es ist nach wie vor ein engagiertes Projekt, das "Regjo", Magazin für Wirtschaft und Kultur in Mitteldeutschland. Quartalsweise erscheint es, über 130 Seiten stark - im Grunde die einzige Publikation zwischen Magdeburg und Vogtland, die die Metropolregion Mitteldeutschland einigermaßen ernst nimmt. Sie tut es nicht nur auf räumliche Weise.

Das ist immer noch das einfachste – man sammelt einfach Kultur- und Firmengeschichten ein aus den drei Bundesländern. Das füllt locker dicke Hochglanzmagazine. Und es gibt ja auch noch ein paar andere, die es genau so machen. Das ist die übliche Art, das Geld zum Fenster rauszuschmeißen. Gefällt zwar dem ein oder anderen Lackschuhträger, wenn er sich in so einem Heft als “Sonnenkönig” und “Macher” gefeiert sieht. Aber alle diese Publikationen können die Leser nicht darüber hinwegtäuschen, dass es klemmt im Getriebe, dass es zwar mittlerweile ein gemeinsames Regionenmarketing der Großstädte gibt. Aber bei allen anderen Strukturen tut sich nichts.

Keine einzige politische Kraft in der Region treibt die politische Vernetzung ernsthaft voran. Zu lieb geworden sind die Pfründen. Und die Signale aus der Wirtschaft, dass es ohne eine echte Vernetzung nicht weiter voran geht, werden nicht ernst genommen. Nicht in Dresden, nicht in Magdeburg, nicht in Erfurt.

Es überrascht nicht, dass es andere Städte sind, die die Metropolregion Mitteldeutschland wenigstens versuchen mit Leben zur erfüllen: Leipzig, Halle und Jena.

Das war mal in einem der vergangenen “Regjo”-Hefte Thema. Gut gemacht, zurückhaltend, optimistisch. Man will ja niemanden auf den Fuß treten in dieser Region, wo ein grummelnder Verbandssekretär den Verlust von drei, vier wichtigen Werbekunden bedeuten kann, wo ein Provinzfürst mit ein paar Hinterzimmergesprächen dafür sorgen kann, dass sich Türen, die sich gerade einen Spalt weit geöffnet haben, wieder ganz in der Stille schließen.
Nicht jedes “Regjo”-Heft trifft den Nagel auf den Kopf. Das letzte Heft – “Zeit Reisen” – fand auch die L-IZ nicht ganz so spannend. Manchmal bewegen einen selbst die Themen nicht, die anderen gerade wichtig werden. Aber das Heft war irgendwie wohl auch der Nukleus für das Heft Nummer 2/2012, das jetzt herauskam: “Mehr Werte”. Denn wer sich mit unserem heutigen Umgang mit Zeit, Zeitbudgets, Lebenszeit und Zeitmanagement beschäftigt, der stolpert unweigerlich über die Frage: Was fangen wir eigentlich an mit der Zeit? Was ist sie uns wert? Was ist uns überhaupt etwas wert?

Eine Frage, die sich gerade wie ein außer Kontrolle geratener Brennstab durch die Kruste unserer Gesellschaft brennt.

Denn Innovation, Auslandserfolge und Spitzenprodukte sind das eine – aber was hilft das, wenn es die menschlichen Reserven auffrisst? Wenn die Sachsen, Thüringer und Sachsen-Anhalter jeden Tag zu Hunderttausenden zur Arbeit pendeln müssen – in die Nachbarländer Bayern, Hessen und Niedersachsen zumeist, weil das Lohnniveau dort deutlich höher ist. Im Gegenzug leiden die hiesigen Firmen unter Fachkräftemangel – sie können mit den West-Gehältern nicht konkurrieren. Stehen aber unter dem selben Zeit- und Wettbewerbsdruck. Was auch in diesem Fleckchen Erde heißt: Immer weniger Arbeitskräfte müssen das leisten, was noch vor wenigen Jahren vielfach größere Belegschaften herstellten. Die Arbeitszeiten dehnen sich aus bis in die Abend- und Nachtstunden. Der Einzelne wird immer mobiler und flexibler, steht immer öfter rund um die Uhr in Bereitschaft. Oder verdient armselige Kröten in atypischen Tätigkeiten, wie es so schön heißt.

Ergebnis auch in dieser Ecke der Welt: Eine zunehmende Zahl von Erkrankungen, die man oft unter dem Sammelbegriff Burnout fasst.
Dazu kommt das, was einige Leute immer so leichthin “demografischer Wandel” nennen. Was eben nicht nur bedeutet, dass Menschen immer älter werden und dass wegen zu weniger Geburten die Bevölkerungszahl sinkt. Das hat Einfluss auf Versorgungsstrukturen. Und das zwingt auch die kleinste Firma noch zum Nachdenken über das Thema Familiengerechtigkeit. Man darf längst nicht mehr nur freundlich sein zu Familien, man muss (wieder) so wirtschaften, dass Beruf und Familiengründung sich vertragen miteinander.

Denn die niedrige Geburtenrate im Land hat ja nicht nur mit der importierten Ego-Philosophie der modernen Werbung zu tun. Sie hat auch damit zu tun, dass Hunderttausende in der Angst um die eigene Existenz und im Lavieren zwischen prekären Beschäftigungsverhältnissen ihre Träume von einer Familiengründung erst verschoben und dann ganz aufgegeben haben.

Und so findet man viele Beiträge im Heft, die sich mit Arbeit als Teil des Lebens beschäftigen – und der durchaus berechtigten Frage, ob man nun tatsächlich platt neoliberal lebt, um zu arbeiten. Und: Welche Erfüllung darf und soll man denn eigentlich in seiner Arbeit finden? Was wäre, wenn immer mehr Mittelländler anfingen, einfach ihre eigenen Vorstellung vom Arbeiten umzusetzen?

Ein paar Beispiele sind im Heft. Manche auch recht kritisch zu betrachten. Denn nicht alles, was manchen Mitmenschen Spaß macht, ist nachhaltig und umweltverträglich.

Die nachhaltigen Teile der mitteldeutschen Forschungslandschaft rücken ins Bild. Denn es ist ja nicht so, dass alle Unternehmen einfach immer so weiter machen wollen im alten, fossilienergieverschlingenden Szenario. Es gibt auch die anderen, die oft nicht die lauteste Lobby haben – und die trotzdem schon zeigen, wie nachhaltig mitteldeutsche Wirtschaftszukunft aussehen könnte.

So wird auch das ein bisschen beleuchtet, was man so “Energiewende” nennt, und was derzeit von einer völlig überforderten Bundesregierung kräftig vergeigt wird.Weil sie eben doch meist mit den falschen Wirtschaftsvertretern spricht. Die Großen und Dicken sind nicht immer diejenigen, die wirklich die besseren Rezepte haben.

Mehrere Texte beschäftigen sich auch mit Künstlern, die sich des Themas Arbeit angenommen haben. Einige auch mit der Arbeit nach der Arbeit. Denn mancher Mittelländler engagiert sich nach acht, zehn Stunden im Job auch noch im Verein oder bei der Freiwilligen Feuerwehr, gibt seinem Leben einen zusätzlichen Sinn.

Was natürlich immer weiter führt – bis hin zu der Frage, wie man Beschäftigung eigentlich organisieren muss in einer Welt, in der die Industrieproduktion so rationell geworden ist, dass sie mit einem Zehntel der ursprünglichen Beschäftigtenzahl auskommt. Die Frage ist eine der drängendsten Zukunftsfragen und kann hier nur angeschnitten werden. Aber natürlich hat sie mit dem “Mehr Wert” zu tun, den die “Regjo”-Mannschaft diesmal aufs Titelblatt geschrieben hat. Dem Mehr-Wert, der die klassische Mehrwerterzeugung in der modernen Industrie weiterdenkt. Hin zu den Werten, die das Leben jedes Menschen tatsächlich bereichern.

Denn wenn Menschen ausbrennen, dann hat das damit viel zu tun – mit der Unmöglichkeit, die eigenen Lebensträume zu erfüllen, dem Nicht-mehr-belohnt-Fühlen in einer immer zeitfressenderen Arbeit und in der Verzweiflung, sich in der bunten Konsumwelt selbst nicht mehr wiederzufinden, weil das Eigentliche fehlt.

Und es ist schön zu lesen, dass auch mitteldeutsche Unternehmer darüber vermehrt nachdenken.

www.regjo-leipzig.com

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