Wagner kann einen närrisch machen. Oder besonnener. Am 22. Mai werden eine Reihe Leute in Leipzig wieder ganz närrisch, schütteln sich die Hände, enthüllen ein Denkmal, lauschen im strengen Anzug einem Festkonzert oder klatschen Beifall, wenn im Opernhaus der Schriftsteller Friedrich Dieckmann den ersten Richard-Wagner-Preis bekommt.

Zum 200. Geburtstag von Richard Wagner wird in seiner Geburtsstadt Leipzig bei einem Festakt in der Oper erstmals der Richard-Wagner-Preis verliehen. Die Leipziger Richard-Wagner-Stiftung ehrt mit dem undotierten Preis intensives künstlerisches Wirken für und im Sinne des großen Sohns der Stadt, teilt die Richard-Wagner-Stiftung mit. Die sich damit auch ein klein wenig vom Wagner-Denkmal Verein abgrenzt, denn der Preis ist eine dem Wagner-Denkmal von Max Klinger nachempfundene 35 Zentimeter hohe Skulptur. Das also, was Klinger nach vielen Bauchschmerzen nicht als Wagner-Denkmal umsetzen konnte, weil er selbst uneins war mit diesem Entwurf. Der Künstler Stephan Balkenhol hat die Silhouette dieses Entwurfs zum “Schatten” seines Wagner-Denkmals gemacht, das am 22. Mai um 9 Uhr am Dittrichring feierlich enthüllt wird.

Der Wagner-Preis soll künftig alljährlich zu Wagners Geburtstag alternierend in den Kategorien Musik und Publizistik und stets für einen Nachwuchskünstler verliehen werden.

Erster Preisträger in der Kategorie Publizistik ist 2013 der Schriftsteller Friedrich Dieckmann. Er wurde 1937 in Landsberg/Warte geboren, wuchs in Dresden auf und studierte Germanistik, Philosophie und Physik in Leipzig. Dieckmann hat Bücher über Friedrich Schiller, Franz Schubert, Richard Wagner und Bertolt Brecht sowie einen Band mit Essays zur deutschen Oper von Mozart bis Wagner veröffentlicht.Er trägt schon den Heinrich-Mann-Preis (1983), das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse (1993), den Johann-Heinrich-Merck-Preis (2001) und den Verdienstorden des Freistaates Sachsen (2007). Er ist Mitglied der Akademien der Künste in Berlin, Dresden und Leipzig sowie der Akademie für Sprache und Dichtung. Dieckmann lebt in Berlin-Treptow. Sein gerade im Insel Verlag erschienenes Buch trägt den Titel “Das Liebesverbot und die Revolution – Über Wagner”.

Thomas Krakow, Vorsitzender der Richard-Wagner-Stiftung Leipzig, dazu: “Die Verbotenes Begehren ist auch eine Grundkonstellation in fast allen Opern Richard Wagners. Der Zusammenstoß elementarer Kräfte bestimmt das radikalpolitische Engagement des Künstlers. Es ist kein Zufall, dass er die Partitur des ‘Lohengrin’, das Drama einer trügerischen Rettung, gerade in dem Augenblick fertig stellt, als die demokratische Revolution des Jahres 1848 Sachsen erreicht. Im Mai 1849 wird der sächsische Aufstand von den herrschenden Mächten niedergeschlagen. An vorderster Front der Kämpfenden an den Barrikaden in Dresden steht der königliche Kapellmeister Wagner. Er wirft sein Leben und seine berufliche Existenz in die Waagschale und findet sich wenig später als steckbrieflich verfolgter politischer Flüchtling wieder. Die Niederlage wird zum Ursprung des Trauerspiels vom ‘Ring des Nibelungen’. Dieckmanns Buch beleuchtet eine fundamentale Krisenzeit im Leben des Weltdramatikers.”Der Preis für den Nachwuchskünstler wird erstmals an Ammiel Bushakevitz verliehen. Er wurde 1986 in Jerusalem, Israel, geboren. Bushakevitz kann auf die erfolgreiche mit zahlreichen 1. Preisen gewürdigte Teilnahme an internationalen Wettbewerben verweisen. Er ist Stipendiat verschiedener
Einrichtungen, so des Deutschen Akademischen Austausch Dienstes, des Oppenheimer Memorial Trust, der Ad Infinitum Stiftung und des Richard-Wagner-Verband Leipzig. Zudem ist er Ehrenmitglied des Richard-Wagner-Verband Südafrikas. Als Solist, Kammermusiker und Liedbegleiter konzertierte Bushakevitz weltweit. Als Musikwissenschaftler beschäftigt er sich vor allem mit der Wagner-Forschung.

Der Festakt zum 200. Geburtstag Wagners findet am Mittwoch, 22. Mai, um 11 Uhr in der Oper Leipzig statt.

Da beginnt parallel auch die große Geburtstagsfeier auf dem Richard-Wagner-Platz.

Aber wer den “Weltdramatiker” in seiner Welt-Konstellation begreifen möchte, der kann seit dem 15. Mai die Ausstellung “Weltenschöpfer” im Bildermuseum besuchen.Die Frage, die sich Museumsdirektor Hans-Werner Schmidt ursprünglich stellte, ist natürlich die Frage nach dem großen Topf, in dem Wagner heranreifte und kochte: Was verbindet Wagners Opernwerk mit Mays Abenteuergeschichten und Klingers druckgrafischen Zyklen? – “Weltenschöpfer” versucht auf drei sehr unterschiedlichen Wegen eine Antwort. Erstmals wird der Vorstellungskosmos der drei Sachsen in Dialog zur romantisch besetzten Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts gesetzt.

Der Hintergrund: das zwischen Nihilismus und Weltuntergangsdramatik und spätromantischem Biedermeier schwankende Kunstempfinden des neureichen Bürgertums, das spätestens ab 1871 zunehmend die Geschicke des Landes bestimmte. Und die Kulturentwicklung zwangsläufig auch: Reich wurden jene Künstler, die den Kunstgeschmack dieser neuen großen Bürger trafen. Das kann man im Untergeschoss des Bildermuseums gleich beim Eintritt sehen: Die emotionale Besetzung von Natur veranschaulichen 70 Gemälde, Zeichnungen und Druckgrafiken. Von goldgerahmten Kunstschinken, wie sie in bürgerlichen Wohnstuben üblicherweise überm Kanapee hingen, bis hin zu den idealisierenden “Winnetou”-Illustrationen von Sascha Schneider (1870-1927).Die Installationskünstlerin und Bühnengestalterin rosalie hat drei begehbare, großdimensionierte experimentelle Gesamtkunstwerke entwickelt, die den Künstlern als “Sehnsuchtslandschaften” gewidmet sind. Die Räume sind innovative und mediale Licht- und Klangskulpturen, die unter Einsatz neuester Technologien simultan Form, Farbe, Bewegung, Rhythmus, Licht und Klang vernetzen. Aber sie sind auch – von einer Künstlerin geschaffen, die über mehrere Jahre die Wagner-Festspiele in Bayreuth ausstattete – Gegenentwürfe zu dem, was meistens als Wagner-Inszenierung auf deutschen Bühnen zu sehen ist. Bis hin zu der völlig vergeigten “Tannhäuser”-Inszenierung von Burkhard C. Kosminski an der Düsseldorfer Rheinoper, wo sich der 51-Jährige am Kostümrepertoire der Nazis bediente und damit – wieder einmal – die Einvernahme der Hitler-Apologeten bestätigte. Das Publikum protestierte zu Recht. Wer versucht, Wagner über Hitler zu begreifen, der hat gar nichts begriffen. Der ist nur drauf reingefallen.

Einer wie Hans-Werner Schmidt kennt aber die deutsche Kunst- und Rezeptionsgeschichte. Und der weiß, dass Wagner nicht das einzige bunte Huhn war, das aus dieser Ideen-Kiste kroch. Mit Karl May und Max Klinger hat er noch zwei solcher unfertiger “Weltenschöpfer” ausgewählt für seine Wagner-Jubiläums-Wunsch-Ausstellung. Rosalie hat die drei eindrucksvoll inszeniert.

Und dass die Bilderwelten der drei fortwirken, durften drei junge Gegenwartskünstler in eigenen Kabinen zeigen. “Archivräume” nennt es Schmidt. Denn natürlich sind die Träume und Albträume des 19. Jahrhunderts nicht tot (nur zugepanscht mit Hitler-Soße zum Beispiel).

Die Bücher von Karl May stehen mindestens noch in Papas Bücherregal (wenn er seinen Sohnemann noch nicht hat zum Lesen überreden können). Wagner wird von jüngeren (und klügeren) Regisseuren wie Renaud Doucet (“Die Feen”, Oper Leipzig) mittlerweile lust- und phantasievoll inszeniert. Und Max Klinger animiert Grafiker bis heute, die schablonierte Wirklichkeit nicht für die Grenze des Vorstellbaren zu halten.

Den “Archivraum” zu Wagner hat der Universitätsmusikdirektor David Timm gestaltet, den zu Max Klinger der Künstler Max Haberkorn, den zu Karl May der Leipziger Schriftsteller Clemens Meyer gemeinsam mit dem Kunstvermittler Uwe-Karsten Günther – diese “Archivräume” reflektieren das kulturelle Erbe aus einer zeitgenössischen Perspektive ebenso subjektiv wie authentisch. Sie zeigen, wie man mit den Kunstwerken und Ikonen des 19. Jahrhunderts im 21. Jahrhundert umgehen kann. Und so beiläufig zeigen sie auch, wie verdächtig ähnlich die merkelsche Bundesrepublik dem wilhelminischen Kaiserreich mental schon wieder ist.

So gesehen ist der Leipziger Teil des Wagner-Gedenkens auch der Versuch eines Kontrapunktes. Hier wird nicht wirklich der “Meister” gefeiert wie in Bayreuth, sondern der junge, unmutige Wagner, der seit 1830, seit er die Unruhen auf Leipzigs Straßen miterlebte, vom Revolutionsfieber angesteckt war. Und der ab 1849, als auch dieser Revolutionsversuch in die Hose ging, den Wunsch zur Weltveränderung “sublimierte”, um mal Herrn Freud aus Wien zu zitieren, und die Rettung ins Idealreich des Musiktheaters verlegte. Nur sah das immer schöner betuchte Publikum das Ganze eher als Bestätigung für sein eigenes Ganz-schön-weit-Gekommensein. Der Zwiespalt steckt bis heute in diesem Werk.

Im Untergeschoss des Bildermuseums kann man das erleben.

Nächste Veranstaltungen in der Ausstellung:

Samstag, 25. Mai, 16 Uhr: Führung in der Ausstellung

Mittwoch, 29. Mai, 18 Uhr: Künstlergespräch mit David Timm

www.richard-wagner-stiftung-leipzig.de

www.mdbk.de

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