Vor einem Jahr, im August 2012, starteten die beiden Leipziger Kora Beyer und Django Meyer ihren Literaturpodcast "Die Buchhaltung". Seitdem besprechen sie monatlich eine Neuerscheinung, einen Klassiker oder eine Literaturverfilmung, werbefrei und nicht kommerziell. "Ein echter Zeitfresser", sagt Kora Beyer. Aber einer, der Spaß macht.

“Im Gegensatz zu zahlreichen Literaturbloggern und Rezensionsplattformen schreiben wir unsere Leseeindrücke nicht auf, sondern nähern uns der Literatur im Gespräch. Im schlechtesten Fall sind wir dabei einer Meinung, im besten Fall ergänzen sich unsere Eindrücke und lassen ein neues Bild entstehen, das uns selbst überrascht. Wie jedes Buch ist auch jedes Gespräch ein neues Abenteuer, von dem wir nicht wissen, wohin es uns führt”, erläutert Kora, was die beiden da in emsiger Freude tun. “So sind wir bei der Unterhaltung über Rainald Goetz? Johann Holtrop schließlich bei Dostojewski angekommen, Abe Kobos Schachtelmann hat uns über die Beschaffenheit von Klassikern nachdenken lassen, und im Großen Gatsby sind wir durch die Zeit gewirbelt.”

Kora Beyer und Django Meyer sind beide Anfang der 1980er Jahre geboren und haben in Potsdam und Leipzig Geisteswissenschaften studiert. Wenn sie sich mit dem Aufnahmegerät in Koras Küche setzen, die sich im Leipziger Stadtteil Plagwitz befindet, dürfen sie nie vergessen, den Kühlschrank auszuschalten. Sonst wird die Aufnahme von seinen Seufzern untermalt, und das passt nicht zu jedem Buch. Aber was bringt zwei junge Plagwitzer zu so einem Zeitvertreib? – Die L-IZ hat mal nachgefragt. Kora Beyer hat geantwortet.

Wann ging es genau los? Wer hatte Idee? Wer kümmerte sich um die Umsetzung?

Die Idee kam uns auf einer Fahrradtour im Sommer 2012. Django hört viele Podcasts, Kora hatte Erfahrung darin, Rezensionen zu schreiben. Über Bücher haben wir schon immer viel gesprochen. Einen reinen Literaturpodcast kannte Django nicht, so sind wir auf die Idee gekommen, einen eigenen zu machen, und während wir in die Pedale traten, sind wir auf den Namen gekommen. Das erste Gespräch haben wir im Juli 2012 gemacht, online ging das Ganze im August 2012. Seitdem besprechen wir monatlich ein Buch.

Gemeinsam suchen wir die Bücher heraus (s.u.), Django ist für die technische Seite verantwortlich, ich mache Presse und Kommunikation mit den Verlagen.

Ist die Weißenfelster Straße Büroadresse oder sitzen Sie da beide im Schaukelstuhl und lesen und sprechen ins Mikro?

Wir wohnen in der Weißenfelser Straße, leben, lesen und machen die Aufnahmen dort.
Und: Was lesen Sie? – Wie ich sehe, zum Glück nicht nur die aktuellen Bestseller, sondern scheinbar Bücher, die Sie einfach interessant finden. Gibt es da Unterschiede zwischen Ihnen beiden? Besondere Vorlieben?

Ich lese viel Zeitgenössisches, allerdings nicht unbedingt Neuerscheinungen, eher die letzten fünfzig Jahre. Ich liebe Genazino, Hartmut Lange, Peter Stamm. Django mag unter anderem J. D. Salinger oder Jonathan Franzen. Ich lese schneller als Django, deshalb mehr. Django liest langsamer, merkt sich aber dafür alles besser. Er kennt sich besser in der Literaturgeschichte aus, ich bin firmer auf dem Buchmarkt und in der Gegenwartsliteratur.

Bei den Neuerscheinungen schauen wir einfach, was uns beide interessiert und was wir gut besprechen können, und einigen uns dann auf ein Buch. Wir besprechen eher jüngere Autoren, für die wir nicht ein ganzes Werk als Vorwissen brauchen. Wenn ich einen Autor bespreche, möchte ich so viel wie möglich von seinen vorigen Werken gelesen haben, bei Walser oder Grass kann ich das schlecht aufholen.

In den ersten Folgen haben wir noch die Handlung zusammengefasst, aber die Reaktionen darauf waren nicht so gut. Mittlerweile setzen wir die Handlung als bekannt voraus bzw. gehen davon aus, dass sie sich im Laufe des Gesprächs einigermaßen erschließt, wie auch bei gedruckten Rezensionen. Deshalb besprechen wir im Moment noch bekanntere Bücher – es macht sicher mehr Spaß, den Podcast zu hören, wenn man das Buch kennt, und so halten wir die “Hörschwelle” tief.

Die Klassiker bestimmen wir immer abwechselnd. Dabei versuchen wir Bücher zu nehmen, die nicht allzu bekannt sind, möglichst Bücher, zu denen es keinen Wikipedia-Eintrag gibt. Es kann passieren, dass einer von uns ein Buch grandios findet und der andere nicht so viel damit anfangen kann, das war zum Beispiel bei Julien Green der Fall.

Was steht noch auf der Lese-Wunsch-Liste in nächster Zeit?
Als nächstes kommt das neue Buch von Helene Hegemann, dann kommt “Franny und Zooey” von Salinger. Was danach kommt, wissen wir noch nicht.

Den jüngsten Preisträger der Leipziger Buchmesse haben Sie auch gelesen – und für zu leicht befunden. Haben Sie sich auch mit den anderen Preisträgern schon beschäftigt?

Ich verfolge den Buchmarkt und mich interessiert, wer für preiswürdig befunden wird und wer nicht. Über die Qualität sagt das nicht so viel aus, glaube ich. Ich glaube aber auch nicht, dass alle Preisträger “zu leicht” sind, da sind auch welche dabei, die mir sehr gut gefallen. “Die Nacht, die Lichter” (von Clemens Meyer, Anm. d. Red.) mochte ich sehr, “Sand” von Wolfgang Herrndorf ist eines der besten Bücher, die ich in letzter Zeit gelesen habe, auch “Parallelgeschichten” fand ich grandios, das den Preis für die beste Übersetzung bekommen hat. Wir haben auch “Der Winter tut den Fischen gut” gelesen, das mit David Wagner auf der Liste stand.

Oder reizt das nun nicht mehr, weil bei den Buchpreisträgern nicht wirklich mit Überraschungen zu rechnen ist?

Ich glaube nicht, dass man das so pauschal sagen kann. Überraschend sind sie meistens nicht, aber das heißt ja nicht, dass sie schlecht sein müssen. Zudem gibt es so viele Literaturpreise, dass man eigentlich kaum einen Autor ohne Preis erwischt.

Oder ist die Frage auf den Preis zur Leipziger Buchmesse bezogen? Lokalpatriotismus liegt uns fern – wenn es bei diesem Preis einen interessanten Titel gibt, lesen wir ihn gern, das machen wir aber auch beim Deutschen Buchpreis oder wir holen uns Inspirationen von den Autoren, die in Klagenfurt gelesen haben, usw.

Und wie kommt’s überhaupt: Sind Sie beide durch Ihr Studium zum emsigen Lesen gekommen (Wer hat eigentlich was studiert?)?

Wir lesen einfach schon immer, das Studium hat damit nichts zu tun.

Studiert haben wir beide Germanistik, ich dazu noch Hispanistik, Django Anglistik.

Oder sind Sie schon von klein auf mit dem Lesevirus infiziert und erfüllen sich jetzt einfach einen Traum?

Ich würde Lesen oder die Buchhaltung nicht als Traum bezeichnen, Lesen ist Alltag. Der Podcast ist eine Art Nebenprodukt, das wir mit Freude betreiben. Auch Lesevirus finde ich zu hoch gegriffen, ich kann mir einfach kein Leben ohne Lesen vorstellen.

Und vor allen Dingen: Wo soll die Reise hingehen. Gibt es weitere Pläne für den Webauftritt? Oder sind Sie schon glücklich mit Ihren Besuchern, weil Sie fleißig lesen und die Audios abrufen?

Mehr Hörer zu finden, wäre schön. Ansonsten wird sich die Buchhaltung wohl nicht verändern, außer dass Django immer am Auftritt herumbastelt und die Technik auf den neuesten Stand bringt. Wir werden bei dem Rhythmus ein Buch pro Monat bleiben, ab und zu eine Literaturverfilmung. Es geht ums Lesen und das Gespräch darüber, nicht mehr und nicht weniger. Das Design wird zurückhaltend bleiben, und man wird uns auch in Zukunft nur in Rückenansicht sehen.

Und forsch nachgehakt: Was tun Sie im richtigen Leben in Leipzig? Oder haben Sie mit Buchhaltung eine geheime Geldquelle gefunden?

Wir arbeiten beide als freie Lektoren und Übersetzer, unsere Auftraggeber sind Verlage aus ganz Deutschland. Eine Geldquelle ist die Buchhaltung nicht, eher ein Zeitfresser, aber das ist in Ordnung, das haben wir nicht anders erwartet.

www.buchhaltung-podcast.de

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