Arno Mahnke (Name geändert, d.Red.) ist seit 2021 Straßenbahnfahrer bei den LVB. Emanuel Petereit, seit einem halben Jahr bei #WirFahrenZusammen aktiv, ist leidenschaftlicher Fahrgast. Es gibt zwar jetzt einen Tarifabschluss, der die Arbeitsbedingungen für LVB-Fahrer/-innen an einigen Stellen verbessert. Aber der große Wurf war es aus ihrer Sicht und der von #WirFahrenZusammen doch noch nicht. Und auch nicht wirklich ein großer Meilenstein für die Verkehrswende.

Die Tarifauseinandersetzungen sind jetzt zu Ende, die Tarifkommission hat das Angebot der Arbeitgeberseite angenommen. Wie zufrieden seid ihr mit dem Tarifergebnis?

Arno: Vor allem ist mir wichtig, wie stark wir in Leipzig waren. Die Streikbereitschaft ist über die Verhandlungsrunden immer weiter gestiegen.

Den Tarifabschluss finde ich allerdings nicht gut. Die erreichten Verbesserungen sind eher „niedrig hängende Früchte“. So viel bringen sie mir nicht in meinem Arbeitsalltag. Außerdem haben wir uns eine sogenannte absolute Friedenspflicht eingefangen.

Was bedeutet diese Friedenspflicht?

Arno: Wir dürfen bis April nächsten Jahres nicht streiken. Das heißt, dass wir während der Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst, der uns auch betrifft und am 31. März planmäßig enden soll, dann also immer noch in dieser Friedenspflicht hängen und nicht gemeinsam mit den Kolleg/-innen aus beispielsweise Kitas oder Stadtverwaltung streiken dürfen. Letztes Jahr waren wir dort als größter Betrieb die treibende Kraft.

Es besteht jetzt natürlich die Angst, dass die Arbeitgeberseite immer wieder auf solche Friedenspflichten pochen wird. Unsere Befürchtung vor dem Abschluss war, dass genau das passiert. Wenn sie einmal merken, dass sie mit dieser Methode Erfolg haben, werden sie es immer wieder anwenden.

Also würdest du auch sagen, dass durch den Abschluss keine Entlastung in deinem Arbeitsalltag passiert?

Arno: Die Entlastung ist wirklich minimal. Finanzielle Ausgleiche für Wochenendarbeit und Entschädigung für geteilte Dienste werden etwas besser, an den Arbeitsbedingungen ändert sich kaum etwas. Hauptsächlich hatten wir aber auch neue Regelungen zu den Ruhezeiten, Wegezeitvergütungen und Altersteilzeit gefordert.

Emanuel: Als #WirFahrenZusammen unterstützen wir natürlich die Forderungen der Beschäftigten. Außerdem fordern wir von der Politik 16 Milliarden Euro jährlich bundesweit in den Nahverkehr zu investieren. Wir fordern Mobilität für alle. Das bedeutet konkret: Wir alle, ob mit Rollator oder Kinderwagen, sollen Bus und Bahn uneingeschränkt nutzen können.

Ein Streikposten an der Angerbrücke. Foto: LZ
Streikposten an der Angerbrücke. Foto: LZ

Die Tarifkommission hat das Angebot der Arbeitgeber angenommen, ist das damit nun final?

Arno: Ja, das ist final. Wir können daran nicht mehr rütteln. Ich persönlich hätte mir mehr Mitspracherecht bei der Entscheidung über die Annahme des Angebots gewünscht. Dazu gab es im Nachhinein aber zumindest schonmal eine konstruktive Rekapitulation im Kreis von Verdi und Tarifkommission. Wir lernen.

Wie geht es jetzt mit der #WirFahrenZusammen Kampagne weiter? Soweit ich weiß, gab es noch keine Investitionen in den Nahverkehr, welche Konsequenz zieht ihr daraus?

Emanuel: Die Kampagne ist mit dem Ende dieser Tarifrunde vorbei. Dennoch werden wir unser übergeordnetes Ziel, Investitionen in die öffentliche Daseinsfürsorge und einen sozial gerechten Klimaschutz, weiterhin verfolgen. Konkret sehen wir in den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst nächstes Jahr einen guten Anknüpfungspunkt.

Ich teile auch die Enttäuschung von Arno. Mich lässt das Gefühl nicht los, dass da noch was drin gewesen wäre. Sowohl in den Tarifverhandlungen als auch in der gesellschaftlichen Kampagne.

Was mich freut, ist, dass wir durch die Zusammenarbeit den sozialen Aspekt des Klimakampfes mehr in den Vordergrund rücken konnten. Wir konnten auch zeigen, wie viele Leipziger/-innen hinter den Bus- und Bahnfahrer/-innen stehen und ihren Arbeitskampf unterstützen. Aber mit dem Ziel einer sozial gerechten Verkehrswende mit fairen Arbeitsbedingungen haben wir uns eine Mammut-Aufgabe vorgenommen. Wir konnten viele Erfahrungen machen, an die wir auch mit Blick auf die Verhandlungen im öffentlichen Dienst anknüpfen können.

Arno: Ich fand die Kampagne, also die Unterstützung von #WirFahrenZusammen super. Das hat uns auf jeden Fall viel Schwung gegeben, da wir im Gegensatz zu den Streiks im öffentlichen Dienst vor eineinhalb Jahren diesmal „nur“ zusammen mit den anderen Verkehrsbetrieben in Sachsen gestreikt haben.

Ulf Middelberg, Sprecher der LVB Geschäftsführung, sagte in der LVZ, dass die Mehrkosten durch eure Forderungen eine Herausforderung für die Fahrkartenpreise darstelle. Was denkst du dazu?

Arno: Für mich ist das eine Rechnung, die hinten und vorne nicht stimmt. Es wird der Anschein erweckt, als sei der Fahrkartenpreis die einzige Stellschraube, über die unsere Forderungen finanziert werden können. Andere Städte können mittlerweile einen kostenlosen ÖPNV bieten und haben gleichzeitig weitaus bessere Arbeitsbedingungen als wir.

Es sollte der Anschein erweckt werden, wir würden zu viel fordern. Man muss sich jedoch vor Augen halten, dass der ÖPNV in Leipzig Jahrzehnte lang kaputtgespart wurde und damit sind nicht nur die maroden Strecken betroffen gewesen. Wir fordern nur das, was alle anderen schon haben. Wir waren der am schlechtesten bezahlte ÖPNV in der gesamten Bundesrepublik, einhergehend mit suboptimalen Arbeitsbedingungen.

Sicherlich gibt sich der Betrieb auch an einigen Stellen Mühe. Letztendlich geht es ums Geld, das können der Betrieb und die Stadt gar nicht alleine stemmen. Es sollte vor allem das Land Sachsen in Verantwortung gezogen werden, wo laut Bundesrechnungshof die Regionalisierungsmittel seit Jahren unverhältnismäßig zurückgehalten und sogar für zweckfremde Anliegen zur Refinanzierung genutzt werden. Dieses Geld muss eingefordert werden, nicht das Geld der Fahrgäste!

Ein Streikposten an der Angerbrücke. Foto: LZ
Streikposten an der Angerbrücke. Foto: LZ

Außerdem hat Ulf Middelberg an eure Verantwortung für die Verkehrswende appelliert. Laut ihm solltet ihr eure Forderungen zurückstellen, um die Verkehrswende nicht in Gefahr zu bringen.

Emanuel: Wenn Ulf Middelberg die Fahrgäste und die Verkehrswende so sehr am Herzen liegen, dann frage ich mich, warum er nicht mit uns auf der Straße stand, um mehr Investitionen einzufordern. Das ist Doppelmoral.

Die Forderung, dass ausgerechnet die Fahrer/-innen, die täglich unter Dauerstress stehen und für Verbesserungen kämpfen, sich zurücknehmen sollen, finde ich frech. Das zeigt eine unfaire Dynamik: In Krisenzeiten werden Menschen, die in systemrelevanten und sozialen Berufen arbeiten, eher dafür bestraft, anstatt dass sie Entlastung erhalten.

Gute Arbeitsbedingungen sind eine Voraussetzung für die Verkehrswende. Die Aussage von Herrn Middelberg ist für mich ein Paradebeispiel dafür, wie Klima und Soziales gegeneinander ausgespielt werden. Es wird gesagt: Verkehrswende oder bessere Arbeitsbedingungen. Das gaukelt uns eine Alternativlosigkeit vor, die so eigentlich nicht existiert. Genau das Gegenteil haben wir durch #WirFahrenZusammen doch bewiesen.

Was im Moment ja wieder etwas hinten herunterfällt: Die Finanzierung des Deutschlandtickets über dieses Jahr hinaus ist noch unsicher. Wie steht ihr denn zum Deutschlandticket?

Emanuel: Ich finde das Deutschlandticket super wichtig. Zum einen erleichtert es das Reisen ungemein, da sich Fahrgäste nicht mehr mit Tarifzonen und unterschiedlichen Ticketmodellen herumschlagen müssen. Andererseits sind fast 50 Euro für einige Menschen immer noch viel Geld. Deshalb finde ich es schwierig, wenn das Deutschlandticket als das Sozialprojekt dargestellt wird und sich die Bundesregierung damit brüstet. Das Deutschlandticket ist ein Minimum. Eigentlich sollten wir auf einen kostenlosen Nahverkehr hinarbeiten.

Arno: Ich stimme dir zu. Ich würde sogar einen Schritt weiter gehen: Auch andere Bereiche der öffentlichen Daseinsfürsorge sollten kostenlos sein. Wenn wir es schaffen über Steuern eine Rüstungsindustrie zu fördern, dann könnten wir doch auch mehr Geld in Pflege oder Wohnungslosenhilfe stecken, davon hätten wir zumindest alle etwas.

Wie stellt ihr euch den Nahverkehr in Zukunft in Leipzig vor?

Emanuel: Ich stelle mir einen kostenlosen Nahverkehr vor, der für alle nutzbar ist, der soziale gerecht ist und keinen Unterschied nach Vierteln macht, der bis aufs Land ausgebaut ist und nicht auf Kosten der Beschäftigten funktioniert.

Arno: Dazu sollte es mehr Fahrer und Fahrerinnen geben und eine Verkehrsplanung, die Bus und Bahn bevorzugt. Dazu gehören zum Beispiel mehr Park and Ride Möglichkeiten, die die Rushhour entzerren und somit auch zu weniger Unfallzahlen führen. Ich persönlich wünsche mir außerdem eine Erweiterung des Netzes, die Pläne dafür existieren teilweise seit Jahrzehnten, es scheitert jedoch an der Umsetzung.

Warum engagiert ihr euch bei ver.di und #WirFahrenZusammen?

Arno: Es ist für mich selbstverständlich, dass ich Mitglied in der Gewerkschaft bin. Ich denke, dass wir als Arbeiter/-innen uns zusammenschließen müssen, um überhaupt eine Chance zu haben gegen Dumping-Löhnen und immer weiteren Verschärfung der Arbeitsbedingungen anzukommen. Mit #WirFahrenZusammen erhoffe ich mir eine neue Art der Bewegung, in der ich als Straßenbahnfahrer mit Aktivisten wie Emanuel zusammenkomme. Wir können voneinander lernen und ein gemeinsames Potenzial entwickeln.

Emanuel: Es gibt viele Ideen für eine lebenswerte Zukunft. Das Problem ist, dass viele ihre Kämpfe dahin alleine führen. Ich sehe viel Potenzial im Zusammenschluss zwischen Klimabewegung und Arbeiter/-innen.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Redaktion über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar