Diese junge Dame hat mittlerweile 26! Preise und Ehrungen für ihr klassisches Spiel, national sowie international, eingefahren. Das lässt staunen und bringt Volly Tanner natürlich auf Fragen, schließlich saß sie mit ihren wundervollen Gedichten letztens auf der HelHEIM-Lesebühne. Ein Universum eröffnete sich. Faszinierend, würde Spock sagen. Tanner sagt: ein Genuss.

Guten Tag Ann-Helena. Es ist eine wundervolle Erfahrung, für einen Altpunk wie mich, Dich zu treffen. Du bist eine der fingerfertigsten Klassikerinnen die ich kenne und erarbeitest Dir auch gerade im literarischen, lyrischen Metier eine Stellung. Dazu gibt’s auch noch Verweise nach Leipzig – über die wir sprechen wollen. Nun aber zu meiner ersten Frage: Du bist eine Deutsch-Schwedin namens Schlüter. Wo ist denn da in Dir das Schwedische?

Vielen Dank! Meine Mama kommt aus Schweden, aus Jönköping, das ist da, wo ich jetzt gerade bin und heute ein Konzert spiele. Die Familie meiner Mama stammt aus Jönköping und Umgebung seit Generationen. Ich besuche mindestens einmal pro Jahr meine schwedischen Wurzeln. Dann spreche ich nur schwedisch, esse schwedisch, Bulle und Köttbullar, pflücke Pilze oder Pflaumen wie jetzt im Herbst und genieße es, bei Freunden oder Verwandten zu sein. Mein Papa kommt aus Torgau und hat lange in Osnabrück und Nürnberg unterrichtet. Daher ist mein Vorname schwedisch und mein Nachname deutsch.

Deine ganze Familie ist im musikalischen Sektor erfolgreich – und ich meine wirklich erfolgreich – wolltest Du da niemals ausbrechen? Vielleicht mit einer Black Metal Band die Festivals berocken oder mit einer Zirkustruppe durch die Lande ziehen? Oder ganz anders Betriebswirtschaft studieren?

Doch, ich wollte schon ausbrechen, allerdings erst recht spät, da war ich in Köln mitten im Studium. Ich bin froh, dass mir gute Freunde geraten haben, meinen Weg erst mal zu Ende zu gehen, nicht einfach etwas abzubrechen, was so sehr zu meinem Leben gehört. Ich hatte damals so etwas wie Mentoren-Großeltern, die sich wie richtige Großeltern um mich gekümmert haben. Für mich war es schon etwas ganz Neues, dann Musikwissenschaft zu beginnen – was etwas ganz anderes ist als ein künstlerisches Musikstudium, und dort kam ich mir oft wie eine fliegende Untertasse vor. Oder Gedichte schreiben – und – zwar nicht Zirkus, aber Pferde reiten.

Von Kunst in jeglicher Hinsicht aber war ich immer sehr angezogen, und das steigert sich eher, als dass es weniger wird – jetzt, wo es meins wird.

Auch musikalisch bist Du komponierend unterwegs, es gibt wundervoll berührende Stücke von Dir im Netz und auf Album. Wirst Du mehr als Klassikerin oder als Songwriterin wahrgenommen?
Ein großer Teil nimmt mich vor allem als Klassikerin wahr, denn das bin ich ja seit meinem vierten Lebensjahr und das habe ich bis zur letzten Note und letztem Papier (alle Diplome) studiert. Und ein großer Teil meiner Konzerte ist auch klassische Musik. Aber mehr und mehr dringt das Komponieren, Schreiben und Improvisieren in mein künstlerisches Leben ein, da dies wahrscheinlich den wahren und größten Teil meines Seins ausmacht. In der Klassik bin ich sehr zuhause, die andere Welt ist noch ein geheimnisvolles Land.

Nun ist auch Dein literarisches Erstwerk “Flügelworte” mit 162 Betrachtungen und Gedichten auf dem Gabentisch der Kulturwelt gelandet. Du selber nennst Dein Schaffen dort PianoLyrik – sind Deine Texte besonders leise? Was hat’s mit den vielen Ortsangaben im Buch auf sich?

Ja, vielleicht ist meine Lyrik eher leise, oder hell, fein, darüber habe ich noch nicht nachgedacht, manchmal wie Gebete. Aber der Titel und die Ortsangaben haben auch damit zu tun, dass ich viel unterwegs bin mit Konzerten deutschlandweit und in Europa, und darüber hinaus, und sehr viele Gedichte unterwegs entstehen, wenn nicht gerade direkt am Klavier, beim Üben, so im Zug oder im Flugzeug, beim Laufen, Spazieren, wenn ich die Welt sehe. Das inspiriert mich.

Derzeit promovierst Du ja in Leipzig über Bach. Da sagt der Leipziger, der von den Stadtoberen gern auch mal mit Bach bombardiert wird: Oooooch nööööö, schon wieder Bach! Wieso denn nicht Bartholdy zum Beispiel? Was macht für Dich die Faszination Bach aus? Ganz konkret.

Ja, Bach liebe ich sehr. Ich habe viele Komponisten gespielt, sehr schwere, wundervolle Werke, auch Mendelssohn-Bartholdy, Liszt, Brahms, Schubert, Haydn, Beethoven – die Liebe für Bach ist gewachsen bei mir. Schon als Kind war ich fasziniert von seiner Musik, aber natürlich wirkt seine Musik erst einmal überwältigend für rohe Ohren, schwer. Je mehr ich von seinem Leben erfahren habe, von seiner Entwicklung, seiner Beständigkeit, zum Beispiel unter jedes Werk Soli Deo Gloria zu schreiben – Gott allein zur Ehre – die demütige Genialität, besonders die letzten Jahre seines Lebens – desto mehr schätzte und bewunderte ich ihn.

Er sticht deutlich mit seiner Musik und seinem Leben von allen Komponisten ab. Er hat sehr gelitten in Leipzig, und ich hoffe, dass eines Tages jährlich öffentliche, symbolische Entschuldigungsworte ausgesprochen werden. Aber gerade in diesem Leid hat Bach mein Herz gewonnen und zeitlose unübertreffbare Musik geschrieben, spirituelle, kluge, symbolische Musik, nie ohne Botschaft. Bach war ein Lyriker und ein Maler. Es ist jedoch nicht nur seine Genialität, es ist auch seine Demut und seine menschliche Entwicklung, die hinter seiner Musik steht.
Ich schreibe über Bachs Kunst der Fuge, ein 100 min-Werk, das ich gleichzeitig in Berlin auf CD aufnehme, als Doppel-CD, mit Improvisationen zum Werk, während ich darüber meine Dissertation schreibe. Auch viele meiner Gedichte handeln von und um Bach – aber meist versteckt.

Im Dezember wirst Du am 14.12. im Helheim einen Soloabend mit Musik und Literatur bestreiten. Dafür hast Du Dir letztens den Laden im Leipziger Westen angeschaut. Solch ein Metalladen ist ja nun was anderes als ein Konzertsaal in London, Kopenhagen oder Paris. Wie fühltest Du Dich im Schoß der Subkultur? Aufgenommen? Gemocht?

Leipzig und seine verschiedenen Welten faszinieren mich, auch das Helheim und die Welt darum herum. Ich habe mich angenommen und gemocht gefühlt und sehr interessante Gespräche geführt. Ich lese dort gern im Dezember und bin gespannt. Manchmal staune ich darüber, was es für Welten in Leipzig gibt. Das gibt es so in Würzburg nicht.

Wir freuen uns über Dein Hiersein Ann-Helena; und drücken Dir für Dein Buch alle Daumen der Welt.

Ich freue mich sehr, dass die Flügelworte herausgekommen sind, und ich hoffe, dass sie andere inspirieren.

www.Ann-Helena.de

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